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Antibiotische Prophylaxe als Standard bei unkomplizierter vaginaler Entbindung?

Die Sepsis zählt weltweit zu den drei häufigsten Ursachen für postpartale bzw. neonatale Sterblichkeit, insbesondere in Ländern mit niedrigerem Pro-Kopf-Einkommen. Ihrer Prävention und Bekämpfung werden seitens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hohe Priorität beigemessen. Bereits seit vielen Jahren ist eine Antibiotikaprophylaxe Standard vor elektivem oder ungeplantem Kaiserschnitt, nachdem zahlreiche Studien eine Reduktion des mütterlichen Infektionsrisikos belegt haben [1]. Bevorzugt werden Cephalosporine der ersten Generation verwendet, seit einigen Jahren wird auch die zusätzliche Einmal-Gabe von Azithromycin diskutiert und in manchen Ländern empfohlen. Dies basiert auf der C/SOAP-Studie, die signifikante Vorteile hinsichtlich maternaler Infektionen im Vergleich zu einer alleinigen Standard-Antibiose gezeigt hatte [2].

Dieselbe Forschergruppe hat nun in einer großen randomisierten kontrollierten Studie (Akronym A-PLUS), die aktuell im N. Engl. J. Med. publiziert wurde, den Effekt einer präventiven Einmalgabe von Azithromycin auf Mutter und Kind bei normaler vaginaler Entbindung in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen untersucht [3]. Die A-PLUS-Studie wurde von den „National Institutes of Health“ finanziert und von der „Bill and Melinda Gates Foundation“ unterstützt.

Methodik: Eingeschlossen wurden Gebärende mit ≥ 28 Schwangerschaftswochen und vorgesehener vaginaler Entbindung in 8 Zentren in 7 Ländern in Asien (Bangladesch, Indien, Pakistan), Afrika (Sambia, Kenia, Demokratische Republik Kongo) und Lateinamerika (Guatemala). Ausschlusskriterien waren Risikofaktoren für komplizierten Verlauf, bestehender Infekt, Herzrhythmusstörungen, Kardiomyopathie sowie Makrolid-Unverträglichkeit. Die Probandinnen wurden doppelblind randomisiert für Azithromycin (Az) 2 g vs. Plazebo (P), jeweils als Einzeldosis. Die beiden primären Endpunkte waren (a) eine Kombination von Sepsis (nach WHO-Definition) oder Tod der Mutter sowie (b) eine Kombination von Totgeburt, Sepsis (nach WHO-Definition) oder neonataler Tod des Kindes. Die Nachbeobachtungszeit betrug 6 Wochen nach der Geburt.

Ergebnisse: Es wurden 29.278 Gebärende (Asien 55%, Afrika 40%, Lateinamerika 5%) eingeschlossen, die in der Folge 29.469 Kinder zur Welt brachten. Der mütterliche kombinierte Endpunkt trat signifikant seltener in der Az- als in der P-Gruppe auf (1,6% vs. 2,4%; Relatives Risiko = RR: 0,67; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,56-0,79; p < 0,001), ganz überwiegend bedingt durch eine geringere Inzidenz der Sepsis (1,5% vs. 2,3%; RR: 0,65; CI: 0,55-0,77). Beim kombinierten Endpunkt, der die Kinder betraf – und auch in seinen Einzelkomponenten – gab es keinen Unterschied (10,5% vs. 10,3%; RR: 1,02; CI: 0,95-1,09; p = 0,56). Bei Müttern und Kindern gab es keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) von Az. Die Studie wurde aufgrund des signifikanten Vorteils für die Mütter vorzeitig beendet; geplant war ursprünglich die Randomisierung von 34.000 Frauen.

In den Subgruppen zeigte sich die Wirkung von Az im Wesentlichen konsistent, mit Ausnahme eines günstigeren Effekts in Afrika (RR: 0,47) als in Asien (RR: 0,88). Analysen der sekundären Endpunkte zeigten, dass die Ursachen der Sepsen (Endometritis, Wundinfektionen, Pyelonephritis und andere Infektionen) durch Az korrelierend mit dem primären Endpunkt reduziert wurden.

Diskussion: Das Ergebnis dieser großen multizentrischen doppelblinden plazebokontrollierten Studie in Ländern mit niedrigen bis mittleren Einkommen ist eindeutig: Wenn 125 Gebärende mit Az behandelt werden, wird bei einer Mutter eine Sepsis verhindert (= number needed to treat). Der Effekt wird von den Autoren auf die breite antimikrobielle Wirkung von Az zurückgeführt, die auch Ureaplasmen, Mykoplasmen und einige Anaerobier einschließt. Bakteriologische Analysen (Kulturen, Antibiogramme) wurden jedoch im Rahmen der Studie nicht durchgeführt, sodass hier wesentliche Informationen fehlen. Auch die Frage, ob ein anderes oder zusätzliches Antibiotikum – analog zur Prophylaxe vor einem Kaiserschnitt (vgl. [2]) – zu noch günstigeren Ergebnissen führen könnte, bleibt offen. Auffällig ist, dass sich die deutliche Senkung des Risikos für Sepsis durch Az bei den Müttern nicht auch die Mortalität gesenkt hat. Offenbar waren die Verläufe der Sepsen in beiden Gruppen erfolgreich zu behandeln.

Als nachteilige Effekte einer breiten Umsetzung einer routinemäßigen Antibiotika-Prophylaxe mit Az vor vaginaler Entbindung führen die Studienautoren potenzielle gastrointestinale UAW sowie Leberfunktionsstörungen und Wechselwirkungen an. Außerdem sind ungünstige Wirkungen auf die Mikrobiome bei Müttern und Kindern möglich. Zwar gab es weder in der A-PLUS-Studie noch in bisherigen Studien zu Az als Einzeldosis entsprechende Warnhinweise, doch müsste diese Problematik in weiteren Studien abgeklärt werden. Az ist seit langem generisch verfügbar und kostengünstig, doch in Ländern mit sehr niedrigem sozioökonomischem Status möglicherweise doch ein finanzielles Problem.

Bedenken gegen eine solche generelle antibiotische Prophylaxe bestehen hinsichtlich vermehrter Bildung von bakteriellen Resistenzen in (Schwellen-)Ländern, die ohnehin einen (zu) hohen Antibiotikagebrauch haben. Bei häufigen Erregern des Puerperalfiebers (Streptokokken, Gonokokken, Enterobacter, E. coli, Ureaplasmen, Mykoplasmen) werden zunehmend Resistenzen gegen Antibiotika – einschließlich Az – beobachtet, wie ein begleitendes Editorial kritisch anmerkt [3].

Die Frage, unter welchen klinischen und/oder sozioökonomischen Bedingungen eine generelle präventive Antibiotika-Einmalgabe vor einer vaginalen Entbindung insgesamt vorteilhaft ist, wird von den Autoren nicht beantwortet.

Fazit

In der A-PLUS-Studie wurde in Ländern mit niedrigen bis mittleren Einkommen durch eine intrapartale orale Einmaldosis von Azithromycin das mütterliche Sepsisrisiko nach normaler vaginaler Entbindung um ein Drittel gesenkt verglichen mit Plazebo. Überraschenderweise wurde die Mortalität hingegen nicht reduziert. Bei den Neugeborenen wurde weder das Sepsisrisiko noch die Mortalität beeinflusst. Eine klare Empfehlung für eine solche Prophylaxe kann derzeit aufgrund verschiedener noch ungeklärter Fragen nicht gegeben werden. Unter bestimmten (noch zu definierenden) klinischen und/oder sozioökonomischen Bedingungen könnte diese aber möglicherweise von Vorteil sein.

Literatur

  1. Smaill, F.M., et al.: Cochrane Database Syst. Rev. 2014, 10, CD007482. (Link zur Quelle)
  2. Tita, A.T.N., et al. (C/SOAP = Cesarean Section Optimal Antibiotic Prophylaxis): N. Engl. J. Med. 2016, 375, 1231. (Link zur Quelle)
  3. Tita, A.T.N., et al. (A-PLUS = Azithromycin-Prevention in Labor Use Study): N. Engl. J. Med. 2023, 388, 1161. (Link zur Quelle)