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Volumentherapie bei akuter Pankreatitis [CME]

Die akute Pankreatitis ist ein häufiger Grund für eine stationäre Krankenhausaufnahme, und zwar mit steigender Inzidenz ([1], vgl. [2]). Pathophysiologisch ist sie definiert als eine primär sterile Entzündung der Bauchspeicheldrüse, gekennzeichnet durch eine unphysiologische Enzymaktivierung, die zu einer Entzündungsreaktion mit Ödem, Gefäßschädigung und Zelluntergang führt. Ausgelöst wird die akute Pankreatitis meist durch Noxen (Alkohol) oder Cholestase (Gallensteine). Nach der revidierten Atlanta-Klassifikation kann die Diagnose einer akuten Pankreatitis bei Vorliegen von mindestens 2 der folgenden 3 Kriterien gestellt werden: typische Abdominalschmerzen (akut beginnende, anhaltende Oberbauchschmerzen, oft mit gürtelförmiger Ausstrahlung in den Rücken), Erhöhung der Serum-Lipase auf mindestens das Dreifache der oberen Norm und charakteristische bildmorphologische Befunde. Die Schwere der Pankreatitis wird retrospektiv eingeteilt in leicht (ohne Organversagen), mittelschwer (transientes Organversagen < 48 h und/oder lokale Komplikationen) und schwer (persistierendes Organversagen > 48 h), oft lokale und systemische Komplikationen; [3]). Bei ca. einem Drittel der Patienten ist ein mittelschwerer oder schwerer Krankheitsverlauf zu erwarten [4]. Die schweren Verläufe erfordern ein intensivmedizinisches Management [2]. Im Rahmen der Erkrankung kann es durch exsudative Prozesse zu erheblichen Flüssigkeitsverschiebungen (Aszites, Pleuraergüsse) und zum hypovolämischen Schock kommen [2]. Ein Eckpfeiler in der Therapie der akuten Pankreatitis ist daher eine adäquate Flüssigkeitssubstitution, die unmittelbar nach Sicherung der Diagnose beginnen sollte [1]. Sowohl eine zu geringe als auch eine überschießende Flüssigkeitszufuhr verschlechtern die Prognose. Daher wird eine kontrollierte, zielgerichtete Volumentherapie empfohlen, die sich vor allem richtet nach der klinischen Einschätzung des Patienten (Schock-Symptome, Dehydratation etc.) sowie Labordaten (u.a. Hämatokrit, Serum-Harnstoff) bzw. ggf. weiteren verfügbaren Daten (Ultraschall, Echokardiografie, Hämodynamik) und individuell an den Patienten angepasst wird [1].

Zum optimalen Vorgehen bei der Volumentherapie liegen aus verschiedenen, allerdings nur wenigen randomisierten, kontrollierten Studien widersprüchliche Ergebnisse vor. Aufgrund der dürftigen Datenlage wird beispielsweise in der Leitlinie der „American Gastroenterological Association“ zwar eine zielgerichtete Flüssigkeitssubstitution empfohlen, aber es werden keine Empfehlungen zur initialen Infusionsrate und zur Menge oder Dauer der Volumentherapie gegeben [5]. Im Unterschied dazu wird in der aktuellen S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten empfohlen, initial 200-250 ml/h zuzuführen, solange keine zielgerichtete Volumentherapie durchgeführt werden kann (entspricht bei Patienten mit 70 kg Körpergewicht 2,9-3,6 ml/kg/h, ca. 5.000-6.000 ml/24h; [1]). Unter Annahme eines bereits bestehenden Flüssigkeitsdefizits wird eine initiale Bolus-Gabe als sinnvoll erachtet. Eine randomisierte Studie hat nun überprüft, ob diese initiale aggressive Volumenzufuhr bei Patienten mit akuter Pankreatitis, bei denen zum Zeitpunkt der Diagnose kein Anhalt für Komplikationen oder Organversagen besteht, einen Vorteil bringt.

In der „WATERFALL“-Studie wird eine aggressive mit einer moderaten Volumentherapie mit Ringer-Laktat-Lösung verglichen [4]. Die Untersuchung wurde von einer spanischen Forschungsgruppe organisiert, aus öffentlichen Mitteln finanziert und jüngst im N. Engl. J. Med. publiziert. Sie wurde unverblindet in 18 Zentren in vier Ländern (Indien, Italien, Mexiko, Spanien) durchgeführt. Eingeschlossen wurden erwachsene Patientinnen und Patienten mit der Diagnose einer akuten Pankreatitis nach der revidierten Atlanta-Klassifikation, die nicht länger als 8 Stunden zurückliegen durfte. Zu den Ausschlusskriterien gehörten Zeichen einer mittelschweren oder schweren akuten Pankreatitis (Schock, respiratorische Insuffizienz, Nierenversagen) und Herzinsuffizienz.

Die Patienten wurden in 2 Gruppen verteilt: 1. aggressive Volumentherapie  mit einem Bolus von 20 ml/kg (Patient 70 kg: 1,4 l) über 2 h, gefolgt von einer Infusion mit 3 ml/kg/h (Patient 70 kg: 210 ml/h, ca. 5.000 ml/24 h) oder 2. moderate Volumentherapie mit einer Infusionsrate von 1,5 ml/kg/h (Patient 70 kg: 105 ml/h, ca. 2.500 ml/24 h) und nur bei Zeichen einer Hypovolämie einem vorausgehenden Bolus von 10 ml/kg (Patient 70 kg: 700 ml). In Stunde 3 wurden alle Patienten klinisch auf Zeichen der Volumenüberlastung untersucht. In Stunde 12, 24, 48 und 72 wurden für eine zielgerichtete Therapie klinische und laborchemische Parameter erhoben und die Volumengabe angepasst, je nach Vorliegen einer Hypovolämie, Normovolämie oder Volumenüberladung. Primärer Endpunkt der Studie war die klinische Verschlechterung, also die Entwicklung einer mittelschweren oder schweren Pankreatitis, und primärer Sicherheitsendpunkt war eine Volumenüberladung.

Die eingeschlossenen Patienten waren durchschnittlich 57 Jahre alt, 56% waren Frauen. In beiden Gruppen bestand bei etwas mehr als der Hälfte eine Hypovolämie (53% vs. 51%), der durchschnittliche Body-Mass-Index betrug 27 kg/m2. Geplant war der Einschluss von 744 Patienten, jedoch wurde die Studie nach einer geplanten Zwischenanalyse und Behandlung von insgesamt 249 Patienten aus Sicherheitsgründen abgebrochen: Die 122 Patienten mit aggressiver Volumentherapie hatten signifikant häufiger Zeichen einer Volumenüberladung (20,5% vs. 6,3%; adjustiertes RR: 2,85; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,36-5,94; p = 0,004) mit Luftnot (18,0% vs. 7,9%), peripheren Ödemen (9,8% vs. 3,1%), pulmonalen Rasselgeräuschen (24,6% vs. 10,2%) und Stauungszeichen im Röntgen-Thorax (10,7% vs. 5,5%). Sie hatten in den ersten 48 Stunden im Median 7,8 l Ringer-Laktat-Lösung erhalten, verglichen mit 5,5 l in Gruppe 2.

Bei Studienabbruch und zum Zeitpunkt der Zwischenanalyse ergab sich zwischen den beiden Gruppen kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Entwicklung eines schwereren Verlaufs (adjustiertes relatives Risiko = RR: 1,30; CI: 0,78-2,18; p = 0,32); in der Gruppe mit aggressiver Volumentherapie wurde das tendenziell sogar häufiger beobachtet (22,1% vs. 17,3%). Auch bei anderen Endpunkten zur Wirksamkeit bestand kein signifikanter Unterschied, darunter auch die mediane Dauer des Krankenhausaufenthalts (6 vs. 5 Tage).

Die Aussagekraft der Studienergebnisse ist unter anderem eingeschränkt durch die geringe Zahl eingeschlossener Patienten, die eine abschließende Beurteilung der Wirksamkeit unmöglich macht. Das Überwachungsgremium der Studie („data and safety monitoring board“) hielt es jedoch für nicht vertretbar, weitere Patienten der Gefahr der Volumenüberladung auszusetzen. Außerdem kann das offene Studiendesign zu Verzerrungen geführt haben. Insbesondere die Beurteilung des Volumenstatus der Patienten wäre durch verblindete Prüfer vorteilhaft gewesen [6]. Timothy B. Gardner schließt in einem Kommentar aus den Ergebnissen, dass die Infusionsgeschwindigkeit nicht mehr als 1,5 ml/kg/h betragen sollte, nach einem Bolus von 10 ml/kg nur bei Zeichen der Hypovolämie [7]. Diesem Resümee eines weltweit anerkannten Pankreatologen können wir uns anschließen. Außerdem sollten die Patienten in den ersten 72 Stunden nach der Aufnahme sorgfältig auf Zeichen der Volumenüberladung überwacht werden. Gardner weist in seinem Kommentar daraufhin, dass nun in weiteren Studien nicht mehr die Volumenzufuhr im Vordergrund stehen sollte, sondern neue pathophysiologische Ansätze zur Behandlung der akuten Pankreatitis geprüft werden sollten [7].

Fazit

In einer randomisierten Studie zur Volumentherapie bei Patienten mit akuter Pankreatitis ohne Anhalt für Komplikationen oder Organversagen zum Zeitpunkt der Diagnose kam es in der Gruppe mit aggressiver Therapie im Vergleich zur moderaten Therapie signifikant häufiger zu einer Volumenüberladung, so dass die Studie nach einer geplanten Zwischenanalyse abgebrochen werden musste. Signifikante Unterschiede hinsichtlich des primären Endpunkts, Entwicklung einer mittelschweren oder schweren Pankreatitis, bestanden zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Ergebnisse zeigen, dass auch bei Patienten, die keine Risikofaktoren für eine Volumenüberladung haben, wie beispielsweise Herzinsuffizienz, eine aggressive Volumentherapie schädlich sein kann.

Literatur

  1. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/021-003 (Link zur Quelle)
  2. AMB 2011, 45, 09. (Link zur Quelle)
  3. Schreyer, A.G., et al.: Fortschr. Röntgenstr. 2021, 193, 909. (Link zur Quelle)
  4. de-Madaria, E., et al. (WATERFALL = Aggressive Versus Non-aggressive Goal-directed Fluid Resuscitation in Acute Pancreatitis): N. Engl. J. Med. 2022, 387, 989. (Link zur Quelle)
  5. Crockett, S.D., et al.: Gastroenterology 2018, 154, 1096. (Link zur Quelle)
  6. McIver, W.: N. Engl. J. Med. 2022, 387, 2199. (Link zur Quelle)
  7. Gardner, T.B.: N. Engl. J. Med. 2022, 387, 1038. (Link zur Quelle)