Eine Depression hat oft neben dem Verlust an Aktivität und Lebensfreude noch andere nachteilige Folgen wie beispielsweise die Abnahme kognitiver Fähigkeiten und ein erhöhtes Sturzrisiko, besonders im Alter. Etwa 30% der Patienten, die medikamentös behandelt werden, sprechen nicht auf übliche Antidepressiva (AD) wie selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) an [1]. Zur Therapie-Eskalation empfiehlt die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) zur unipolaren Depression [2] nach einer Evaluation möglicher Ursachen (Interaktionen, Adhärenz) zunächst ein Anpassen der Dosis und im Weiteren u.a. die Kombination mit Psychotherapie (starke Empfehlung!), einem weiteren Wirkstoff („Augmentation“) oder den Wechsel auf ein anderes AD („Switch“). Zu den weiteren AD zählen z.B. Bupropion (Bup), ein selektiver Dopamin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer [3], Lithium, Nortriptylin (Nor) oder auch das atypische Antipsychotikum Aripiprazol (Ari; [4], [5]). Lithium und Nor müssen anhand von Kontrollen der Blutspiegel dosiert werden und sind für Patienten mit kardialer Vorerkrankung oder Niereninsuffizienz wenig geeignet. Die Einnahme von mehr als einem AD hat überdies deutlich mehr Neben- und Wechselwirkungen zur Folge; darüber haben wir mehrfach berichtet [6].
Von Therapieresistenz spricht man, wenn eine Depression nach Behandlung mit zwei verschiedenen AD nacheinander und in adäquater Dosierung fortbesteht [7]. Da alte Menschen selten in Studien eingeschlossen werden und ihre Ergebnisse nicht uneingeschränkt auf multimorbide Menschen übertragen werden können, besteht Unklarheit darüber, wie bei Therapieresistenz am besten zu verfahren ist. Das Kapitel „ältere Patient*innen“ in der NVL befindet sich derzeit noch in Bearbeitung. Jetzt wurde zu dieser Thematik eine Studie veröffentlicht, die „Optimizing Outcomes of Treatment-Resistant Depression in Older Adults“ (OPTIMUM)-Studie, und in einem Editorial kommentiert [8], [9]. Sie wurde an fünf Zentren in den USA durchgeführt und aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Studiendesign: Eingeschlossen wurden Patienten ≥ 60 Jahre mit einer Depression, die sich nach mindestens zwei Behandlungsversuchen mit einem AD in adäquater Dosis und Dauer nicht gebessert hatte. Der Schweregrad wurde eingestuft nach dem Patient Health Questionnaire-9-Score (PHQ 9) zwischen 0 und 27 Punkten, wobei höhere Ziffern eine schwerere Depression anzeigen. Einschlusskriterium waren mindestens 6 und nach Protokolländerung 10 Punkte. In einer therapeutischen 1. Stufe wurden Patienten in einem offenen Design in 3 Gruppen 1:1:1 randomisiert: entweder in eine Erweiterung ihrer bestehenden AD-Therapie um 2,5 mg Ari/d (das bis auf maximal 15 mg/d gesteigert werden konnte) oder in eine Erweiterung mit retardiertem Bup (150 bis maximal 450 mg/d) oder in eine Gruppe mit Ausschleichen des therapeutisch unbefriedigenden AD mit Wechsel auf retardiertes Bup (150 bis maximal 450 mg/d). Alle Patienten, die in Stufe 1 keine Remission erzielten oder die nicht eingeschlossen werden konnten, weil sie schon einen Therapieversuch mit Ari oder Bup gehabt hatten, wurden in einer 2. Stufe erneut 1:1 randomisiert: entweder in eine Erweiterung ihrer bestehenden AD-Therapie um Lithium (150 mg/d oder 300 mg/d bis max. 1.200 mg/d, so dass ein therapeutischer Blutspiegel von 0,6 mmol/l erreicht wurde) oder in ein Ausschleichen des bisherigen AD mit Wechsel auf Nortriptylin (Nor) 25 mg/d bis zu einer Dosis von 1 mg/kg Körpergewicht rsp. einem Blutspiegel von 80-120 ng/ml. Beide Therapiestufen verliefen über 10 Wochen. Alle 2 Wochen wurden die Teilnehmer erneut evaluiert.
Primärer Wirksamkeitsendpunkt war das subjektive Lebensgefühl, erfasst nach den „National Institutes of Health Toolbox Emotion Battery subscales for Positive Affect and General Life Satisfaction“ [10], wobei ein höherer Score bessere psychische Gesundheit widerspiegelt. Eine Remission wurde definiert für > 10 Punkte der maximal 60 Punkte umfassenden „Montgomery-Åsberg-Depression-Rating Scale“ (MADRS) nach Ablauf von 10 Wochen. Die psychiatrische Evaluation erfolgte ohne Kenntnis der Zuordnung in der Randomisierung. Primärer Sicherheitsendpunkt waren Sturzereignisse und sehr schwere Nebenwirkungen, wie lebensbedrohliche Erkrankungen, Krankenhausaufnahme, bleibende Behinderung oder Tod.
Ergebnisse: Das mittlere Alter im gesamten Kollektiv betrug 69 Jahre, und knapp 70% waren Frauen. Die Gruppen waren in ihren Charakteristika etwa gleich. Im Durchschnitt hatten die Teilnehmer bei Einschluss einen PHQ-9-Score von 16 bzw. 14 und waren zuvor mit im Mittel 2,3 bzw. 2,5 AD behandelt worden. Von den Teilnehmern hatten 40% in den letzten 6 Monaten mindestens ein Sturzereignis erlebt. In den Jahren 2017 bis 2019 wurden 619 Patienten in die Stufe 1 eingeschlossen: 211 nahmen ihr bisheriges AD plus Ari, 206 ihr AD plus Bup, und 202 wechselten zu Bup. Nach 10 Wochen wechselten 125 Patienten von Behandlungsstufe 1 in Stufe 2 und insgesamt 123 Patienten wurden primär der Stufe 2 zugeordnet, und 125 wechselten von Stufe 1 in Stufe 2.
Lebensgefühl: Unter Augmentation (Aug) mit Ari stieg der Score für das subjektive Lebensgefühl im Vergleich zum Ausgangswert um 4,83 Punkte, unter Bup-Aug um 4,33 und nach Wechsel auf Bup um 2,04 (Differenz: 2,79 Punkte zwischen Ari-Aug und dem Wechsel zu Bup; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,56-5,02; p = 0,014; s. Tab. 1). Die Unterschiede zwischen Ari-Aug und Bup-Aug sowie zwischen Bup-Aug und Wechsel auf Bup waren nicht signifikant. Von 248 Patienten in Stufe 2 wurden 127 auf eine Lithium-Aug und 121 auf Nor umgestellt. Der Score für das subjektive Lebensgefühl verbesserte sich um 3,17 Punkte unter Lithium und 2,18 Punkte unter Nor (Differenz: 0,99; CI: -1,92 bis 3,91). Eine Remission trat bei 29% nach Ari- oder Bup-Aug ein, bei 19% unter Lithium und bei 21,5% nach Wechsel zu Nor.
Sturzereignisse: Die Sturzrate war am geringsten unter Ari-Aug mit 0,33 pro Patient, d.h. ein Sturzereignis bei 3 Patienten während der 10 Wochen Therapie; sie war unter Bup-Aug mit 0,55 am höchsten. Auch die als schwerwiegend definierten Ereignisse waren unter Ari-Aug seltener (s. Tab. 1). Die Rate an Nebenwirkungen insgesamt war in allen Kollektiven etwa gleich, aber hoch. Die häufigsten waren Schwindel, gastrointestinale Nebenwirkungen, Mundtrockenheit, Schlaflosigkeit, innere Unruhe und Angst. Eine Akathisie als typische Nebenwirkung von Ari trat bei 11% der Patienten auf.