Angststörungen (AngSt) sind nach Depressionen die zweithäufigste psychiatrische Störung. Bis zu 12% der US-Amerikaner sollen unter einer Angststörung leiden, und bis zu 20% der Patienten in der Primärversorgung erfüllen die diagnostischen Kriterien [1]. Frauen sind häufiger betroffen als Männer (Lebenszeitprävalenz 40% vs. 26%). AngSt haben während der COVID-19-Pandemie erheblich zugenommen [2]. Die Mehrzahl der AngSt gilt als un- oder fehldiagnostiziert. Die „US Preventive Services Task Force“ empfiehlt daher ein Screening aller Erwachsenen im Alter von 18-64 Jahren [3]. Hierzu stehen verschiedene Tests zur Verfügung, wie beispielsweise der in wenigen Minuten durchführbare „Generalized Anxiety Disorder-7“ (GAD7; [4]).
Nach der S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“ [5] sind diese zu unterteilen in Generalisierte AngSt (F 41.1), Sozialphobie (F 40.1), Panikstörung (F 41.0), Agoraphobie (F 40.0) und spezifische Phobien (F 40.2). Die häufigsten Symptome neben der Angst sind übermäßige Nervosität und Sorgen, Herzrasen, Atemnot, Schwindel und Muskelverspannungen. AngSt können auch zur Entwicklung oder Verschlechterung von anderen Erkrankungen beitragen, wie beispielsweise Herz- und Magen-Darm-Erkrankungen oder chronische Schmerzsyndrome. In einem Bericht im Deutschen Ärzteblatt mit dem Untertitel „Großes Leid und hohe Kosten“ wird verwiesen auf die hohe Krankheitslast von AngSt (3-5 Lebensjahre mit Behinderung), die hohen Behandlungskosten (viertteuerste psychische Erkrankung) und die häufig anzutreffende Komorbidität Alkoholismus [5].
Zu den Zielen der Behandlung zählen die Verminderung der Angstsymptome und von Vermeidungsverhalten, eine Verbesserung der sozialen Integration und die Wiederherstellung der beruflichen Leistungsfähigkeit [6]. Zur Erstlinientherapie zählen Arzneimittel (Antidepressiva, Benzodiazepine, bestimmte Antikonvulsiva) sowie auf kognitiver Verhaltenstherapie (KVT) basierende psychotherapeutische Verfahren. Etwa 45-65% der Patienten sprechen auf eine Erstlinientherapie an, eine komplette Remission ist jedoch seltener zu erzielen. Nach einer Metaanalyse von Antidepressiva-Studien ist bei 16% mit einem Rückfall innerhalb eines Jahres zu rechnen, besonders nach dem Absetzen der Medikation [7]. Die Therapiewahl sollte sich orientieren an den Präferenzen des Patienten, aktuellen und früheren Behandlungen, den Komorbiditäten, dem Alter sowie dem Zugang zur Behandlung und den Kosten [5]. In der täglichen Praxis sind Medikamente die Option mit der niedrigsten Schwelle.
Es gibt aber auch indirekte Hinweise aus randomisierten, meist plazebokontrollierten Studien, dass eine Behandlung mit Antidepressiva die höchsten Remissionsraten hat (s.u.). Allerdings geben die Autoren eines Cochrane Reviews zu bedenken, dass die meisten dieser Studien nur kurze Nachbeobachtungszeiten haben und von der pharmazeutischen Industrie initiiert und bezahlt wurden [8]. Eine Auswertung von 234 Interventionsstudien ergab für verschiedene Therapieverfahren folgende Behandlungseffekte (Prä-Post-Vergleiche mit verschiedenen Diagnoseverfahren: der Wert 1 bedeutet keine Veränderung, > 1 eine Besserung der Symptome und < 1 eine Verschlechterung): Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SNRI) 2,25; Benzodiazepine 2,15; Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 2,09; trizyklische Antidepressiva 1,83; Plazebotabletten 1,29. Unter den nicht medikamentösen Maßnahmen betrugen die Behandlungseffekte: Achtsamkeitstherapie 1,56; Entspannungstherapie 1,36; individuelle KVT 1,30; Sport 1,23, Gruppentherapie 1,22; Therapien ohne persönlichen Kontakt (z.B. webbasiert) 1,11. Die Werte für psychologische Scheinbehandlungen betrugen 0,83 und für keine Behandlung („Warteliste“) 0,20 [9].
Nun wurde im „JAMA Psychiatry“ eine randomisierte kontrollierte Studie publiziert, in der eine Pharmakotherapie mit Escitalopram (Esc) verglichen wurde mit einer auf Achtsamkeitsübungen basierenden KVT (sog. „Mindfulness Based Stress Reduction“ = MBSR). Die Studie mit dem Akronym TAME wurde aus Mitteln des gemeinnützigen „Patient-Centered Outcomes Research Institute“ finanziert [10]. Die Studienleitung lag beim „Department of Psychiatry“ der Georgetown Universität in Washington D.C.
Bei einer MBSR werden verschiedene Übungen zur Körperwahrnehmung, Yoga und Meditation angewendet, mit dem Ziel, den Alltagsstress besser bewältigen zu können. Esc wird bei AngSt sehr häufig verordnet. Es hat, gemeinsam mit Sertralin, in einer kürzlich publizierten Netzwerk-Metaanalyse mit 87 kontrollierten Studien und 12 verschiedenen Arzneimitteln hinsichtlich Remission und Verträglichkeit die besten Ergebnisse erzielt [11].
Studiendesign: Es handelt sich um eine zweiarmige Studie mit einer 8-wöchigen Intervention. Gruppe 1 erhielt ein Training in MBSR (2,5 Std. pro Woche im Studienzentrum, ein gemeinsamer Workshop am Wochenende nach Woche 5/6, sowie tägliche Heimübungen à 45 Minuten). Das Training wurde von einem „MBSR Instructor“ angeleitet. Gruppe 2 erhielt über 8 Wochen Esc, zunächst 10 mg/d und nach 2 Wochen 20 mg/d. Die Therapieadhärenz wurde mittels Anwesenheitsprotokollen bzw. Zählen der Tabletten erfasst.
Eingeschlossen wurden Erwachsene zwischen 18-75 Jahren mit kurz zurückliegender Diagnose einer relevanten Angststörung. Zu den Ausschlusskriterien zählten u.a. andere psychiatrische Störungen wie bipolare oder psychotische Erkrankungen, Essstörungen oder Suchterkrankungen. Die Probanden sollten keine Vorerfahrungen haben mit MBSR oder Antidepressiva. Erlaubt waren Schlafmittel wie Trazodon, Zolpidem oder Benzodiazepine.
Primärer Studienendpunkt war die Verbesserung der Angstsymptomatik, gemessen mit dem unspezifischen „Clinical Global Impression of Severity Score“ (CGI-S). Hierbei erfolgt eine Fremdbeurteilung des Schweregrads der Symptome psychischer Störungen. Die Skala reicht von 1-7 Punkten, wobei 1 bedeutet, dass der Patient gar nicht und 7, dass der Betroffene sehr schwer krank erscheint. Zudem erfolgte eine Selbstbewertung der Probanden mit dem „Overall Anxiety Severity and Impairment Scale“ (OASIS). Dabei bewerten die Patienten 5 „items“ auf einer 5-stufigen Likert-Skala, wobei 0 jeweils keine und 4 extreme Angstgefühle bedeuten (Maximalwert 20 Punkte). Die Scores wurden bei Studienbeginn, sowie nach 4 und 8 Wochen und nach Ende der Intervention (Woche 12 und 24) erhoben; den Probanden war freigestellt, die Therapie weiterzuführen. Die Behandlung erfolgte unverblindet. Die erneute Erhebung der Symptome mittels CGI-S bzw. die Auswertungen der OASIS-Fragebögen erfolgten durch hinsichtlich der Gruppenzuteilung verblindete Untersucher.
Ergebnisse: 430 Personen wurden an 3 Zentren (Massachusetts General Hospital, Grossman School of Medicine, New York University und Georgetown University Medical Center, Washington, DC) gescreent und 276 randomisiert. 67 Probanden traten die Studie nicht an oder erfüllten das Protokoll nur sehr unvollständig. Somit wurden für die „Per-protocol“-Analyse nur 208 Probanden ausgewertet (102 im MBSR- und 106 im Esc-Arm). Das mittlere Alter betrug 33 Jahre; 75% waren Frauen; die Mehrzahl litt an einer generalisierten Angststörung (60%) oder einer Sozialphobie (34%); 4% nahmen regelmäßig ein Benzodiazepin ein und 3% ein anderes Schlafmittel.
Der mittlere CGI-S-Score betrug (von maximal 7) bei Studienbeginn 4,44 im MBSR-Arm bzw. 4,51 im Esc-Arm, der OASIS-Score (von maximal 20) 9,2 bzw. 9,5. Die „completion rate“ (Definition: Teilnahme an mindestens 6 von 9 MBSR-Sitzungen bzw. die Einnahme von Esc über mindestens 6 Wochen) betrug 75% bzw. 76,5%.
Nach 8 Wochen Behandlung war der CGI-S-Score im MBSR-Arm um durchschnittlich 1,35 ± 1,06 Punkte gesunken und im Esc-Arm um 1,43 ± 1,17. Der Unterschied zwischen beiden Armen war nicht signifikant. Auch sekundäre Analysen, beispielsweise nach „intention-to-treat“, zeigten eine Nichtunterlegenheit von MBSR. Auch der OASIS-Score hatte sich mit beiden Behandlungen nach 8 Wochen in ähnlichem Ausmaß verbessert und betrug im MBSR-Arm 5,8 ± 3,8 und im Esc-Arm 5,2 ± 3,5. Auch dieser Unterschied war nicht signifikant.
Nach 12 Wochen berichteten 49% aus dem MBSR-Arm, dass sie weiter regelmäßig Achtsamkeitsübungen durchführten und 78% aus dem Esc-Arm, dass sie das Medikament weiter einnahmen. Nach 24 Wochen waren es 28% bzw. 52%. Der CGI-S-Wert war zu diesem Zeitpunkt in beiden Armen weiter gesunken und betrug jeweils 2,92.
In der Studie wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse (UAE) beobachtet. Im MBSR-Arm berichteten nach 8 Wochen 15,4% der Probanden über ein UAE und im Esc-Arm 78,6%. Mit ESC wurden vermehrt (von > 5% der Probanden) Schlafstörungen, Übelkeit, Fatigue, Kopfschmerzen, Somnolenz, stärkeres Schwitzen, Angst und sexuelle Funktionsstörungen gemeldet. Im MBSR-Arm wurde nur Angst vermehrt gemeldet. Wegen UAE brachen im Esc-Arm 8% die Behandlung ab, im MBSR-Arm keiner.
Die Autoren weisen darauf hin, dass die erzielten Behandlungseffekte etwa gleich sind mit denen aus anderen Interventionsstudien mit Psychopharmaka. Als wichtigste Einschränkung nennen sie die fehlende Verblindung bzw. eine fehlende Scheinintervention im Esc-Arm. Wichtig wären auch weitere Untersuchungen zur Klärung der Nachhaltigkeit der Interventionen und zu den möglichen Folgen einer Langzeittherapie, beispielsweise Krankheitstage, Gewichtsentwicklung, Selbstwertgefühl, Entzugssymptome etc.