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Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern: niedrig dosiertes Digoxin ist bei älteren Patienten mit Herzinsuffizienz dem Betablocker Bisoprolol gleichwertig

Die Frequenzkontrolle bei chronischem Vorhofflimmern (cVoFli) erfolgt gemäß den gültigen Leitlinien in erster Linie mit einem Betablocker (BB). Allerdings vertragen nicht alle Patienten einen BB; ältere Patienten leiden häufiger unter Nebenwirkungen wie Schwindel und orthostatischem Blutdruckabfall. Daher wird bei ihnen nach Alternativen gesucht. Digitalisglykoside sind in der Indikation Frequenzkontrolle zwar eine Alternative zu BB, sind jedoch in den letzten Jahren aus den folgenden Gründen stark in den Hintergrund getreten. Die aktuellen Leitlinien der europäischen kardiologischen Gesellschaft (1) schreiben hierzu: „Digoxin und Digitoxin sind bei Patienten mit erhöhtem Sympathikotonus nicht wirksam, und Digoxin wurde in Beobachtungsstudien bei VoFli mit einer erhöhten Mortalität in Verbindung gebracht. Dies ist aber wahrscheinlich auf einen Selektions- und Verschreibungsbias zurückzuführen und nicht auf schädigende Effekte von Digoxin“ (vgl. 2).

Die Wirkung von Digitalisglykosiden auf generalisierte Ödeme („dropsy“) wurde von William Withering vor 230 Jahren in Birmingham untersucht. Der Legende nach experimentierte der Arzt mit der Pflanzenrezeptur einer ihm bekannten heilkundigen Frau (Mother Hutton) aus Shropshire im Westen von Birmingham und identifizierte Fingerhut als Hauptwirkstoff für die entwässernde Wirkung. Er wies dies systematisch an 156 Patienten nach und veröffentlichte seine Ergebnisse 1785. Über den derzeitigen Stellenwert von Digitalis in der Behandlung der Herzinsuffizienz haben wir zuletzt 2019 berichtet (vgl. 3).

Nun wurde der Nutzen von Digoxin (Digo) zur Frequenzkontrolle bei älteren Patienten mit symptomatischem VoFli untersucht. Zur Indikation Frequenzkontrolle bei VoFli mit niedrig dosierten Digitalisglykosiden gab es bisher erstaunlicherweise keine randomisierten kontrollierten Studien. Die Studie trägt das Akronym RATE-AF, wurde mit öffentlichen Geldern bezahlt und ebenfalls in Birmingham durchgeführt (4).

Eingeschlossen wurden Patienten ≥ 60 Jahre mit permanentem VoFli und Symptomen einer Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse ≥ 2). Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit einer anderen Indikation für einen BB (z.B. Herzinfarkt in den zurückliegenden 6 Monaten) sowie mit Bradykardie oder obstruktiver Kardiomyopathie. Eine reduzierte Pumpleistung war kein Ausschlusskriterium.

Die Patienten erhielten zur Frequenzkontrolle offen (open label) entweder niedrig dosiert Digo (Zieldosis 0,125-0,25 mg/d) oder Bisoprolol (= Biso; Zieldosis 10 mg/d). Ziel der Studie war, eine Nicht-Unterlegenheit von Digo nachzuweisen. Primärer Studienendpunkt war die selbst berichtete Lebensqualität nach 6 Monaten, gemessen mit dem SF-36-Selbstevaluierungsbogen (36 Fragen in 8 Domänen zu verschiedenen Aspekten des Lebens; 0-100 Punkte, je höher der Wert desto besser die Lebensqualität; vgl. 5). Für sekundäre Endpunktanalysen kamen weitere Fragebögen zum Einsatz (EQ-5D-5L, AFEQT), echokardiografische Parameter, NT-proBNP-Werte, Ruheherzfrequenz und Frequenz nach einem 6-Minuten-Gehtest.

Ergebnisse: Es wurden 551 Patienten mit VoFli gescreent, 161 randomisiert, und 145 vollendeten die Studie. Die Daten von 150 Patienten gingen in die „Intention-to-treat“-Analyse ein (= 93% der randomisierten). Das mittlere Alter betrug 76 Jahre, 46% waren Frauen. Die meisten Patienten hatten sie selbst beunruhigende und/oder den Alltag beeinträchtigende VoFli-Symptome: 47% EHRA IIb, 40% EHRA III. Der Score der European Heart Rhythm Association (EHRA) erfasst folgende Gruppen: I = keine Symptome; IIa = milde Symptome ohne Einschränkung der Alltagstätigkeiten; IIb = moderate, beunruhigende Symptome ohne Einschränkung von Alltagstätigkeiten; III = einschränkende Symptome, die zum Abbruch der Alltagstätigkeiten führen (vgl. 1). Bei Studienbeginn hatten 52% klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz. Die mittlere NYHA-Klasse betrug 2,4, der NT-proBNP-Wert bei Studienbeginn im Mittel 1.057 pg/ml (normal < 150 pg/ml bei Frauen und < 100 pg/ml bei Männern), die Ruhe-Herzfrequenz im Mittel 100/min. Nach Auftitrieren der Studienmedikation betrug die Herzfrequenz unter Digo 79/min und unter Biso 74/min.

Nach 6 Monaten nahmen noch 73 von 76 Patienten Digo ein (96%; mittlere Dosis 0,16 mg/d). Biso nahmen noch 66 von 74 Patienten ein (89%; mittlere Dosis 3,2 mg/d). Wegen Nebenwirkungen wurden 7 Patienten (9%) auf einen anderen BB umgestellt. In der Digo-Gruppe benötigten 5 Patienten (6,8%) und in der Biso-Gruppe einer (1,4%) einen weiteren Wirkstoff zur Frequenzkontrolle (Diltiazem).

Es fand sich kein signifikanter Unterschied beim SF-36-Score nach 6 Monaten (31,9 mit Digo versus 29,7 mit Biso; p = 0,28). Auch bei 16 von 17 sekundären Endpunkten ergab sich kein signifikanter Unterschied. Der EHRA-Score war mit Digo nach 6 Monaten sogar signifikant besser: 53% berichteten über eine Besserung um 2 Stufen, mit Biso erreichten dies nur 9% (p < 0,001). Sowohl die Ruheherzfrequenz (76,9 vs. 74,8/min) als auch der Puls unmittelbar nach Abschluss des 6-Minuten-Gehtests (90,5/min vs. 89,8/min) waren nicht signifikant unterschiedlich. Auch nach 12 Monaten waren 8 von 20 erfassten Endpunkten signifikant zugunsten von Digo verändert, darunter auch der NT-ProBNP-Spiegel (960 vs. 1.250 pg/ml, p = 0,005).

Digo war besser verträglich als Biso. 20 Patienten mit Digo (25%) hatten mindestens ein unerwünschtes Ereignis und 51 mit Biso (64%; p < 0,001). Patienten mit Biso hatten häufiger periphere Ödeme, Hypotension, Schwindel und gastrointestinale Symptome.

Die Autoren weisen auf einige wichtige Einschränkungen hinsichtlich der Aussagekraft ihrer Studie hin. Das Ergebnis ist störanfällig, weil die Patientenzahl nicht groß ist und die Behandlung offen erfolgte, was bei subjektiven Endpunkten eine große Rolle spielt. Auch dürften die Ergebnisse keinesfalls auf Patienten mit stark eingeschränkter linksventrikulärer Funktion, fortgeschrittener oder dekompensierter Herzinsuffizienz oder schlecht kontrollierbarer Herzfrequenz übertragen werden. Entsprechend warnt auch der Kommentator der Studie davor, die aktuelle klinische Praxis vorschnell zu ändern. Größere Studien mit härteren Endpunkten sind erforderlich, wie etwa die Häufigkeit notwendiger Behandlungen im Krankenhaus und die Mortalität (6).

Fazit: Eine kleine randomisierte Studie mit 150 Personen zeigt, dass bei älteren Patienten mit symptomatischem Vorhofflimmern eine Frequenzkontrolle nur mit niedrig dosiertem Digoxin einer Therapie mit dem Betablocker Bisoprolol hinsichtlich der Lebensqualität nach 6 und 12 Monaten nicht unterlegen ist. Die Auswirkungen auf die Häufigkeit von Krankenhausbehandlungen und Mortalität wurden nicht untersucht. In Anbetracht der großen klinischen Bedeutung dieser Erkrankung sollten diese Ergebnisse in einer wesentlich größeren Studie überprüft werden. Digitalisglykoside bleiben auch in den 2020er Jahren eine Behandlungsoption bei Vorhofflimmern, insbesondere wenn Betablocker und Kalziumantagonisten nicht vertragen werden. Dabei sollten Empfehlungen zur Dosisanpassung bei Älteren und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ebenso beachtet werden wie die regelmäßige Kontrolle des Glykosid-Spiegels im Serum.

Literatur

  1. Hindricks, G., et al.: Eur. Heart J. 2020, Aug 29, ehaa612. Link zur Quelle

  2. AMB 2019, 53, 79b. Link zur Quelle

  3. AMB 2019, 53, 84. Link zur Quelle

  4. Kotecha, D., et al. (RATE-AF = RAte control Therapy Evaluation in permanent Atrial Fibrillation: JAMA 2020, 324, 2497. Link zur Quelle

  5. https://www.familienmedizin-bremen.de/ news/SF36_LQ_Fragebogen_01.pdf Link zur Quelle

  6. Curfmann, G.: JAMA 2020, 324, 2508. Link zur Quelle