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Subklinisches Vorhofflimmern: Zurückhaltung mit oraler Antikoagulation [CME]

Ein erhöhtes Schlaganfallrisiko nach dem CHA2DS2-VASc-Score (≥ 1 bei Männern, ≥ 2 bei Frauen) ist ein anerkanntes Kriterium, um zu entscheiden, welchen Patienten mit Vorhofflimmern (Vofli) eine Dauerantikoagulation verschrieben werden sollte. Bei paroxysmalem Vofli ist aber unklar, ab welcher konkreten „Vofli-Last“ (Zahl und Dauer der Episoden) der Nutzen einer Dauerantikoagulation (= reduzierte thromboembolische Ereignisse) das Risiko (= vermehrt Blutungsereignisse) überwiegt. Wir haben über diese Problematik mehrfach berichtet [1] – zuletzt über zwei Studien, die an älteren Personen ohne bekanntes Vofli erstmals kontrolliert und randomisiert untersuchten, ob ein Screening auf Vofli (STROKESTOP: intermittierendes „Daumen-EKG“; LOOP: implantierter Loop-Rekorder) und eine davon abhängige Antikoagulation einen klinischen Netto-Nutzen hat [2][3]. Dies war nicht der Fall.

Dieses Thema hat in den vergangenen Jahren im Wesentlichen durch zwei unterschiedliche technische Entwicklungen an Aktualität gewonnen:

  1. Bei immer mehr kardiologischen Patienten werden elektronische Geräte implantiert, mit deren Hilfe auch sehr kurzdauernde und seltene Arrhythmien entdeckt werden können (sogenannte Loop-Rekorder oder primär aus anderer Indikation implantierte Geräte wie antibradykarde Schrittmacher, Resynchronisationssysteme, Defibrillatoren).
  2. Immer mehr Patienten und gesunde Personen nutzen tragbare Geräte („Wearables“, z.B. in Form von Smartwatches), die teilweise mit hoher Sensitivität und Spezifität auch Arrhythmien entdecken können.

Die so diagnostizierten subklinischen Vofli-Paroxysmen werden mittlerweile als eigene Entität angesehen und zur Unterscheidung vom klinischen Vofli als „Atrial High-Rate Episodes“ (AHRE) bezeichnet.

Die klinische Bedeutung von AHRE ist noch nicht endgültig geklärt. Die aktuellen Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) widmen dem Thema ein eigenes Kapitel [4]. Sehr kurze Episoden (10 bis 20 Sekunden pro Tag) sind demnach als nicht klinisch relevant einzuschätzen, während längere Episoden (≥ 5 bis 6 Minuten pro Tag) als bedeutsam angesehen werden, weil sie mit späterer Entwicklung zu „klinischem Vofli“, erhöhtem Schlaganfallrisiko sowie erhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität assoziiert zu sein scheinen. Das Risiko dürfte allerdings deutlich niedriger sein als bei klinischem Vofli und hängt von individuellen Begleitfaktoren ab. Die Nutzen-Risiko-Einschätzung einer Schlaganfallprophylaxe mittels oraler Antikoagulation ist daher komplex. Die ESC empfiehlt, „eine orale Antikoagulation in Erwägung zu ziehen bei länger dauernden Episoden von AHRE bzw. subklinischem Vofli > 24 Stunden und einem als hoch eingeschätzten individuellen Schlaganfallrisiko“ (CHA2DS2-VASc-Score ≥ 2 bei Männern, ≥ 3 bei Frauen). Evidenz aus kontrollierten randomisierten Studien (CRT) gab es zu dieser Frage allerdings bisher nicht.

Aktuell wurde nun mit NOAH-AFNET 6 eine randomisierte kontrollierte Studie publiziert, die erstmals den Effekt einer Antikoagulation bei mittels implantierbarer Geräte nachgewiesene AHRE untersuchte [5]. Die multizentrische und internationale Studie (206 Zentren, 18 europäische Länder) wurde von der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf durchgeführt und war „investigator-driven“. Abgesehen von den zur Verfügung gestellten Arzneimitteln gab es kein Sponsoring durch die pharmazeutische Industrie.

Methodik: Eingeschlossen wurden Patienten im Alter von ≥ 65 Jahren, bei denen AHRE mittels eines implantierbaren Gerätes festgestellt wurden (Schrittmacher, Defibrillator, Resynchronisationsgerät oder Loop-Rekorder). Die AHRE mussten eine Vorhoffrequenz von ≥ 170/min (offenbar in Abänderung des initialen Studienprotokolls mit ≥ 180/min) und eine Dauer von ≥ 6 Minuten pro Episode haben; die Patienten mussten zusätzlich mindestens einen Risikofaktor für Schlaganfall nach dem CHA2DS2-VASc-Score haben (Herzinsuffizienz, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, arterielle Verschlusskrankheit, Schlaganfall oder TIA in der Anamnese, Alter ≥ 75 Jahre). Es erfolgte eine 1:1-Randomisierung für eine direkte orale Antikoagulation (DOAK) mit Edoxaban versus Plazebo; dieses enthielt entweder keine wirksame Substanz oder Acetylsalicylsäure (ASS), wenn bei dem betreffenden Patienten eine Indikation dafür vorlag. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall oder systemisch-arterieller Embolie. Primärer Sicherheitsendpunkt war eine Kombination aus Gesamtmortalität oder schwerer Blutung.

Ergebnisse: Es wurden 2.536 Patienten randomisiert für Edoxaban (n = 1.270) vs.  Plazebo (n = 1.266, davon ASS 683) und in eine modifizierte „Intention-to-treat“-Analyse eingeschlossen. In beiden Gruppen lag das mittlere Alter bei 78 Jahren, der mittlere CHA2DS2-VASc-Score bei 4, die mittlere AHRE-Anzahl bei 2,8 und die mittlere AHRE-Dauer bei 2,8 Stunden. Aufgrund einer höher als erwarteten UAW-Rate in der Edoxaban-Gruppe wurde die Studie nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 21 Monaten vorzeitig abgebrochen und zwar bei Erreichen von nur 184 statt der prädefinierten Zahl von 220 Ereignissen beim Wirksamkeitsendpunkt. Der kombinierte Sicherheitsendpunkt wurde dabei statistisch signifikant häufiger erreicht (5,9% vs. 4,5%; Hazard Ratio = HR: 1,31; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,02-1,67; p = 0,03), was durch eine signifikant höhere Rate schwerer Blutungen bedingt war (2,1% vs. 1,0%; HR: 2,10; CI: 1,30-3,38; p = 0,002) während die Gesamtmortalität (4,3% vs. 3,7%; HR: 1,16; CI: 0,88-1,53; p = 0,28) nicht signifikant unterschiedlich war. Auch im kombinierten Wirksamkeitsendpunkt (3,2% vs. 4,0%; HR: 0,81; CI: 0,60-1,08; p = 0,15) sowie dessen Einzelkomponenten unterschieden sich die Gruppen nicht; die Schlaganfallrate war mit 0,9% vs. 1,1% unerwartet niedrig. Subgruppenanalysen und „Per-Protocol“-Analysen ergaben etwa gleiche Resultate.

Diskussion: Obwohl in die NOAH-AFNET-6-Studie durchwegs Patienten mit hohem Thromboembolierisiko (mittlerer CHA2DS2-VASc-Score = 4) eingeschlossen waren, reduzierte die Antikoagulation mit Edoxaban thromboembolische Ereignisse nicht signifikant, führte aber zu signifikant mehr schweren Blutungen. Thromboembolische Ereignisse waren mit etwa 1% in beiden Gruppen sogar seltener als in Studien zu Patienten mit Vofli, die mit DOAK behandelt wurden (z.B. in der Edoxaban-Zulassungsstudie ENGAGE AF-TIMI 48; vgl. [6]).

Es liegen somit erstmals Ergebnisse aus einem RCT vor, die nahelegen, dass bei Patienten mit einer AHRE-Last, wie sie der in der Studie untersuchten entspricht (Dauer mindestens 6 Minuten pro Episode; Mittel 2,8 Stunden pro Episode), von einer Antikoagulation aufgrund des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses abgesehen werden sollte. Ob sich bei einem höheren „Cut-Off“-Wert – z.B. 24 Stunden Dauer, wie in den ESC-Leilinien (s.o.) empfohlen – eine günstigere Nutzen-Risiko-Relation ergibt, sollte durch ähnliche Studien geklärt werden.

Folgende Einschränkungen sind bei der Bewertung der Ergebnisse zu beachten: Aufgrund des vorzeitigen Studienabbruchs kann ein kleiner positiver Effekt der Antikoagulation mit Edoxaban auf die Rate von Thromboembolien nicht ganz ausgeschlossen werden, was allerdings wegen der unverhältnismäßig hohen Blutungsrate nicht von klinischer Bedeutung wäre. Formal sind diese Ergebnisse mit Edoxaban nicht auf andere DOAK übertragbar. Die ARTESiA-Studie, deren Ergebnisse für 2024 erwartet werden, untersucht Apixaban in einer sehr ähnlichen Patientenpopulation [7]. Auch die Übertragung auf Vofli-Episoden, die mittels Wearables (Smartwatch) aufgezeichnet werden, ist formal nicht zulässig. Es ist aber anzunehmen, dass die Schlaganfallraten in dieser tendenziell jüngeren und gesünderen Population noch niedriger sind und die Nutzen-Risiko-Relation einer Antikoagulation damit noch ungünstiger ist als in der NOAH-AFNET-6-Studie.

Fazit

Eine aktuelle kontrollierte randomisierte Studie bestätigt, dass bei wenige Minuten oder Stunden anhaltenden „subklinischen“ Episoden von Vorhofflimmern die Indikation zur oralen Antikoagulation sehr zurückhaltend gestellt werden sollte. Sie fand keinen positiven Effekt, aber signifikant vermehrt Blutungen durch eine Antikoagulation mit Edoxaban bei sogenannten „Atrial High Rate Episodes“ mit einer mittleren Dauer von etwa 3 Stunden, die von elektronischen kardialen Implantaten bei Patienten mit hohem Schlaganfallrisiko aufgezeichnet wurden. Aktuelle Leitlinien empfehlen, dass erst ab einer Dauer von > 24 Stunden und bei hohem individuellem Schlaganfallrisiko eine dauerhafte Antikoagulation in Erwägung gezogen werden sollte. Dieses Vorgehen beruht auf Expertenkonsens und muss erst durch Studien abgesichert werden.

Literatur

  1. AMB 2019, 53, 33. AMB 2018, 52, 39. (Link zur Quelle)
  2. Svennberg, E., et al.: (STROKESTOP = Systematic ECG Screening for Atrial Fibrillation Among 75 Year Old Subjects in the Region of Stockholm and Halland, Sweden): Lancet 2021, 398, 1498. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01637-8/fulltext. Vgl. AMB 2022, 56, 22. (Link zur Quelle)
  3. Svendsen, J.H., et al.: (LOOP = Atrial Fibrillation Detected by Continuous ECG Monitoring): Lancet 2021, 398, 1507. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0140673621016986. Vgl. AMB 2022, 56, 22. (Link zur Quelle)
  4. Hindricks, G., et al.: Eur. Heart J. 2021, 42, 373. (Link zur Quelle)
  5. Kirchhof, P., et al. (NOAH-AFNET 6 = Non-vitamin K antagonist Oral Anticoagulants in patients with atrial High rate episodes-Atrial Fibrillation NETwork 6): N. Engl. J. Med. 2023. (Link zur Quelle)
  6. Giugliano, R.P., et al. (ENGAGE AF-TIMI 48 = Effective anticoagulation with Factor Xa - Next Generation in Atrial Fibrillation - Thrombolysis In Myocardial Infarction 48): N. Engl. J. Med. 2013, 369, 2093. (Link zur Quelle)
  7. Lopes, R.D., et al. (ARTESiA = Apixaban for the Reduction of Thrombo-Embolism in patients with device-detected Sub-clinical Atrial fibrillation): Am. Heart J. 2017, 189, 137. (Link zur Quelle)