Eine renale Anämie bei chronischer Niereninsuffizienz („chronic kidney disease“ = CKD) wird u.a. verursacht durch eine unzureichende Bildung von Erythropoietin im Nierenparenchym, einem Wachstumsfaktor, der die Erythropoese stimuliert. Bei Patienten mit CKD und symptomatischer Anämie (Luftnot, eingeschränkte Belastbarkeit, Müdigkeit) kann eine Therapie mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen (ESA) indiziert sein ([1], vgl. [2]). Eingesetzt werden u.a. Epoetin alfa, Epoetin beta und Darbepoetin alfa, die teils auch als Biosimilar verfügbar sind (vgl. [3]). Im August 2021 wurde mit Roxadustat (EvrenzoTM) von der Europäischen Kommission erstmals ein Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit symptomatischer Anämie bei CKD zugelassen, der zu den Inhibitoren der Hypoxie-induzierbaren Faktor-Prolylhydroxylase (HIF-PHI) gehört [4]. HIF ist ein Proteinkomplex, der eine Balance zwischen zellulärem Sauerstoffbedarf und der Sauerstoffversorgung herstellt. Bei einem Sauerstoffmangel wird vermehrt HIF gebildet, bei ausreichender Sauerstoffversorgung wird HIF durch eine Prolylhydroxylase inaktiviert. HIF-PHI wie Roxadustat verhindern das und aktivieren dadurch die Kompensationsreaktion des Körpers auf einen verminderten Sauerstoffgehalt der Gewebe. Im Unterschied zu anderen ESA, die die endogene Wirkung von Erythropoietin ergänzen, stimulieren HIF-PHI die Transkription des Erythropoietin-Gens in den Nieren und der Leber, was zu einer Erhöhung des endogenen Erythropoietin-Spiegels führt. Außerdem wird die Mobilisierung und Resorption von Eisen verstärkt und die Bildung von Hepcidin („hepatical bactericidal protein“) verringert, einem in der Leber gebildeten makromolekularem Eiweiß, das eine wichtige Rolle in der Regulation des Eisenstoffwechsels spielt. Für die Entdeckung und Beschreibung des zugrunde liegenden physiologischen Mechanismus wurde 2019 der Nobelpreis für Medizin verliehen [5].
Die Zulassung von Roxadustat basiert auf den Ergebnissen von acht randomisierten Phase-III-Studien, von denen vier bei Patienten mit dialysepflichtiger CKD und vier bei Patienten mit nicht dialysepflichtiger CKD durchgeführt wurden [4]. In drei Studien mit Patienten mit nicht dialysepflichtiger CKD wurde Roxadustat mit Plazebo verglichen. Die Ergebnisse der drei Studien waren konsistent und zeigten insgesamt, dass ca. 80% der Patienten (1.899 von 2.389), die Roxadustat erhielten, in den ersten sechs Monaten nach Therapiebeginn den angestrebten Hämoglobinwert erreichten (11 g/dl und Anstieg gegenüber dem Ausgangswert um mindestens 1 g/dl bzw. um mindestens 2 g/dl bei Patienten mit Ausgangswerten < 8 g/dl), verglichen mit ca. 9% (163 von 1.886) der Patienten, die Plazebo erhielten. In der vierten Studie bei Patienten mit nicht dialysepflichtiger CKD wurde Roxadustat mit dem ESA Darbepoetin alfa verglichen. Die Ergebnisse waren ähnlich und zeigten, dass Roxadustat diesem ESA nicht unterlegen war.
In den vier Studien, die an > 4.700 Dialysepatienten durchgeführt wurden, die zuvor einen ESA erhielten, wurde die Hälfte der Patienten auf Roxadustat umgestellt. Die Ergebnisse waren in allen vier Studien konsistent und zeigten, dass Roxadustat hinsichtlich der Veränderung des Hämoglobinspiegels gegenüber dem Ausgangswert im Vergleich zu ESA nicht unterlegen war (im Durchschnitt ein Anstieg von 0,6 g/dl mit Roxadustat gegenüber einem Anstieg von 0,3 g/dl mit ESA). Auch der Anteil der Patienten, die in den ersten sechs Monaten die angestrebten Hämoglobinwerte erreichten, war in beiden Gruppen ähnlich.
Als häufigste Nebenwirkungen von Roxadustat werden in der Fachinformation aus klinischen Studien berichtet: Hypertonie, Shunt-Thrombose, Diarrhö, periphere Ödeme, Hyperkaliämie und Übelkeit [6]. Zu den häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen gehören Sepsis, Hyperkaliämie, Hypertonie und tiefe Venenthrombose. Außerdem wurden Krampfanfälle als „häufig“ auftretend berichtet. Deswegen sollte Roxadustat bei Patienten mit Krampfanfällen in der Vorgeschichte mit Vorsicht angewendet werden.
Darüber hinaus gibt es grundsätzliche Sicherheitsbedenken, da Roxadustat in Zellkulturen die Bildung des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) und die Angiogenese steigert [7]. Dies könnte langfristig das Wachstum von Tumoren fördern. Die Expression von VEGF wird direkt durch eine Untereinheit von HIF induziert. VEGF ist ein Signalmolekül, das die Gefäßneubildung und die Angiogenese als Reaktion auf einen Abfall des Sauerstoffgehalts stimuliert und so zur Wiederherstellung der Sauerstoffversorgung in Geweben unter hypoxischen Bedingungen beiträgt [4].
Roxadustat wird dreimal pro Woche an nicht aufeinander folgenden Tagen oral eingenommen. Die Anfangsdosis hängt unter anderem vom Körpergewicht ab (70-200 mg dreimal/Woche). Die Dosis wird anschließend so eingestellt, dass Hb-Zielwerte von 10 bis 12 g/dl erreicht und aufrechterhalten werden. Die Roxadustat-Behandlung sollte nicht fortgesetzt werden, wenn nach einem halben Jahr kein klinisch bedeutsamer Anstieg des Hb-Werts erreicht wurde. Roxadustat darf nicht angewendet werden bei Erdnuss- oder Sojaallergie sowie während der Stillzeit und im dritten Trimester der Schwangerschaft.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) stellte fest, dass für Roxadustat (EvrenzoTM) im Vergleich zu einem ESA ein Zusatznutzen im Anwendungsgebiet symptomatische Anämie bei CKD nicht belegt ist, weil keine geeigneten Daten vorgelegt wurden [8]. Die Jahrestherapiekosten pro Patient betragen für EvrenzoTM je nach Dosierung ca. 1.615-18.290 €, für ESA je nach Wirkstoff und Dosierung ca. 1.590-23.500 €.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA lehnte eine Zulassung von Roxadustat ab [9]. Die Mitglieder des zuständigen Komitees stimmten mit 13 zu 1 gegen die Zulassung für nicht dialysepflichtige Patienten bzw. mit 12 zu 2 gegen die Zulassung für dialysepflichtige Patienten. Als Grund gaben sie Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Wirkstoffs an und forderten eine weitere klinische Studie ([9], [10]).
Die Anwendung von Roxadustat wird zurzeit auch geprüft für die Behandlung der Anämie im Zusammenhang mit myelodysplastischen Syndromen (MDS) und für die durch Chemotherapie verursachte Anämie [10]. Weitere HIF-PHI sind in Entwicklung bzw. schon in klinischer Prüfung, darunter Vadadustat, Molidustat und Daprodustat ([11], [12], [13]).
Fazit: Mit Roxadustat (EvrenzoTM) wurde der erste Wirkstoff aus der Klasse Hypoxie-induzierbarer-Faktor-Prolylhydroxylase-Inhibitoren (HIF-PHI) zur Behandlung der symptomatischen Anämie bei chronischer Niereninsuffizienz zugelassen. Er wird oral angewendet. In den Zulassungsstudien zeigte sich kein zusätzlicher Nutzen im Vergleich zu herkömmlichen Erythropoese-stimulierenden Substanzen (ESA). Außerdem bestehen Sicherheitsbedenken bei dem teuren Arzneimittel.