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Vitamin D-Therapie bei COVID-19: bei begrenzten Daten weiterhin keine Hinweise auf günstigeren Verlauf

Schon früh in der SARS-CoV-2-Pandemie geriet eine mögliche Rolle von Vitamin D3 (Cholecalciferol) in der Pathogenese und im Verlauf von COVID-19 in den Fokus vieler Untersuchungen und Spekulationen. Serum-25-OH-Vitamin D-Spiegel sind bei kritisch kranken COVID-19-Patienten im Mittel niedriger als bei weniger schwer Erkrankten [1]. Eine Kausalität ist aus dieser Assoziation per se jedoch nicht abzuleiten, zumal eine Reihe gemeinsamer prädisponierender Faktoren sowohl für Vitamin D-Mangel als auch für COVID-19 existiert (z.B. Adipositas, höheres Alter). Bisherige, überwiegend kleine Beobachtungsstudien und sehr wenige randomisierte kontrollierte Studien (RCT) ergaben widersprüchliche Ergebnisse. Aktuell befasste sich eine Metaanalyse chinesischer Forscher [2] mit der Bedeutung von Vitamin D im Zusammenhang mit COVID-19 und ging dabei folgenden beiden Fragen nach:

Ist ein niedriger 25-Hydroxy-Vitamin D-Spiegel mit einem höheren Infektions- oder Sterberisiko assoziiert? Die Metaanalyse schloss 11 Kohortenstudien mit insgesamt 536.105 Patienten ein. Zehn dieser Studien untersuchten hospitalisierte Patienten. Ein 25-Hydroxy-Vitamin D-Spiegel < 20 ng/ml (< 50 nmol/l) war demnach nicht mit einem signifikant höheren Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion (Odds Ratio = OR: 1,61; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,92-2,80; Heterogenitätsindex I2 = 92%) oder einer höheren Krankenhausletalität (OR: 2,18; CI: 0,91-5,26; I2 = 72%) assoziiert. Frühere Metaanalysen hatten Hinweise auf eine positive Assoziation von niedrigen 25-Hydroxy-Vitamin D-Spiegeln und schlechterem klinischen Verlauf bei COVID-19 erbracht, umfassten aber Fall-Kontroll-Studien und waren nicht statistisch adjustiert nach potenziellen Störfaktoren.

Verbessert eine Vitamin D-Substitution die Prognose? Dazu fanden die Autoren 2 RCT mit insgesamt 316 hospitalisierten Patienten. In diesen wurde durch eine Vitamin D-Gabe weder das Risiko der Aufnahme auf eine Intensivstation (OR: 0,14; CI: 0,00-4,90; I2 = 90%) noch die Letalität (OR: 0,57; CI: 0,04-7,78; I2 = 64%) signifikant gesenkt. Eine dieser beiden Studien ist ein RCT aus Brasilien, das bei 240 moderat erkrankten Patienten den Effekt einer Einmal-Dosis von 200.000 I.E. (= 5 mg) Vitamin D3 versus Plazebo untersuchte [3]; die andere ist eine kleine spanische Pilot-Studie mit 76 Patienten, die randomisiert die Gabe von 25-Hydroxy-Vitamin D3 (Calcifediol; einmal 0,532 mg, dann 0,266 mg an den Tagen 3 und 7 nach Krankenhausaufnahme, dann wöchentlich) versus alleiniger „Standardtherapie“ (ohne Plazebo) verglich [4].

Die vorliegende Metaanalyse findet somit weder Hinweise für einen negativen Effekt niedriger 25-Hydroxy-Vitamin D-Spiegel auf Wahrscheinlichkeit oder Verlauf von COVID-19, noch für einen positiven Effekt einer Vitamin D-Gabe auf den Verlauf von COVID-19 bei hospitalisierten Patienten. Es sind allerdings zahlreiche Einschränkungen zu bedenken: Die zugrundeliegenden, ganz überwiegend retrospektiven Beobachtungsstudien und kleinen RCT sind heterogen, was Studiendesign, Patientencharakteristika (einschließlich zugrundeliegendem Vitamin D-Status, soweit überhaupt angegeben), Vitamin D-Verabreichungsformen und Endpunkterfassung betrifft. Aufgrund der zahlreichen Einflussfaktoren auf den Vitamin D-Stoffwechsel, die teilweise auch Risikofaktoren für COVID-19 sind, ist trotz multivariater Analysen mit zahlreichen potenziellen Störfaktoren zu rechnen. Insgesamt ist die Evidenz für die Rolle von Vitamin D somit weiterhin als unzureichend anzusehen und die Ergebnisse laufender größerer RCT abzuwarten.

Dies deckt sich mit dem Fazit bisheriger ähnlicher Analysen und Expertenempfehlungen, wie einem Cochrane-Review aus dem Mai 2021 [5] und den gültigen britischen NICE-Empfehlungen [6]. Auch das Robert Koch-Institut gibt auf dieser Datenbasis in seiner aktualisierten Stellungnahme zur COVID-19-Therapie folgende Empfehlungen zur Vitamin D-Gabe [7]:

  • Keine Empfehlung zur routinemäßigen Verwendung von Vitamin D zur Prophylaxe oder adjuvanten Therapie von SARS-CoV-2-Infektionen.
  • Bei kritisch kranken Patienten mit nachgewiesenem Vitamin D-Defizit (25-Hydroxy-Vitamin D: ≤ 30 nmol/l = 12 ng/ml; vgl. auch [8]) Substitution entsprechend der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie sowie den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin [9].
  • Substitution aller Hypovitaminosen bei Patienten mit nachgewiesenem oder vermutetem Mangel, bei denen ein erhöhtes Risiko für COVID-19 besteht oder bereits vorliegt.

Ein unkontrollierter Einsatz von Vitamin D – wie zuletzt während der SARS-CoV-2-Pandemie im alternativ- und paramedizinischen Milieu fundamentalistischer Impfskeptiker vermehrt beobachtet – kann zu einer Intoxikation mit bedrohlichen Komplikationen (Hyperkalzämie, Niereninsuffizienz, Kalkablagerungen in Weichteilen) führen und sollte nicht stattfinden. Nach expliziter Propagierung durch eine österreichische Oppositionspartei vor wenigen Wochen waren (neben Ivermectin-) auch Vitamin D-Überdosierungen mit akutem Nierenversagen Ursachen für Aufnahmen auf Intensivstationen (z.B. [10], vgl. auch [11]).

Fazit

Vitamin D hat nach derzeitiger Evidenzlage weder in der Prävention noch in der Therapie von COVID-19 einen Stellenwert, sofern kein substitutionspflichtiger Vitamin D-Mangel besteht. Mehr Klarheit werden die Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien bringen. Von einer Selbstmedikation ist dringend abzuraten.

Literatur

  1. Jain, A., et al.: Sci. Rep. 2020, 10, 20191. (Link zur Quelle)
  2. Chen, J., et al.: Nutr. J. 2021, 20, 89. (Link zur Quelle)
  3. Murai, I.H., et al.: JAMA 2021, 325, 1053. (Link zur Quelle)
  4. Entrenas Castillo, M., et al.: J. Steroid Biochem. Mol. Biol. 2020, 203, 105751. (Link zur Quelle)
  5. Stroehlein, J.K., et al.: Cochrane Database of Systematic Reviews. 24 May 2021. https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD015043/full (Link zur Quelle)
  6. https://www.nice.org.uk/guidance/ng187 (Link zur Quelle)
  7. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/Therapieuebersicht.pdf?__blob=publicationFile (Link zur Quelle)
  8. AMB 2016, 50, 93. AMB 2010, 44, 64. (Link zur Quelle)
  9. https://www.dge.de/uploads/media/DGE_Fachinfo_VitaminD_COVID-19_Stand_Januar_2021.pdf (Link zur Quelle)
  10. https://www.diepresse.com/6062738/frau-nach-ivermectin-einnahme-auf-intensivstation-steirer-hat-nierenversagen-nach-vitamin-d-uberdosis (Link zur Quelle)
  11. Temple, C., et al.: N. Engl. J. Med. 2021, 385, 2197. (Link zur Quelle)