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Neue Informationen zur Myokarditis nach Impfung mit mRNA-basierten Impfstoffen gegen SARS-CoV-2

Über die ersten Beobachtungen von Myokarditiden nach Impfungen mit mRNA-basierten Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 haben wir kürzlich berichtet (1). Besonders betroffen sind junge Männer nach der 2. Impfung. Die Nebenwirkung (NW) wird als Hypersensitivitäts-Myokarditis interpretiert (1). Inzwischen ist von beiden pharmazeutischen Unternehmern auf diese NW ihrer mRNA-basierten Impfstoffe mittels eines Rote-Hand-Briefs vom 31. Juli 2021 gewarnt worden (2). Demnach wurden bis zum 31. Mai 2021 im europäischen Wirtschaftsraum 145 Fälle von Myokarditis bei Personen registriert, die mit BNT162b2 (Comirnaty®; BioNTech/Pfizer), und 19 Fälle bei Personen, die mit dem mRNA-1273-Impfstoff (Spikevax®; Moderna) geimpft worden waren (2, vgl. auch 3). In den USA wurden bis zum 18. August 2021 1.339 Fälle von Myokarditis oder Perikarditis bei Personen im Alter von 30 Jahren oder jünger nach mRNA-basierten Impfstoffen gemeldet; davon konnten 778 mittlerweile durch Überprüfung durch die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bestätigt werden (4). Nun gibt es neue Erkenntnisse durch histologische Befunde (5) und auch zur Inzidenz aus Populations-basierten epidemiologischen Untersuchungen aus Israel (6).

Histologische Befunde: Bisher gab es keine genauen histologischen Befunde zur Myokarditis nach mRNA-basierten SARS-CoV-2-Impfstoffen. In einem Brief an das N. Engl. J. Med. wurden nun 2 Fälle genauer beschrieben (5).

Fall 1: Eine 45-jährige Patientin stellte sich 10 Tage nach der 1. Impfung mit BNT162b2 wegen zunehmender Luftnot und Schwindel vor. Molekularbiologische und serologische Untersuchungen auf virale Infektionen blieben negativ. Es fiel eine Tachykardie auf; im EKG fanden sich ST-Strecken-Senkungen, und die Troponin-Werte im Serum waren deutlich erhöht. Echokardiographisch zeigte sich eine schwere linksventrikuläre Dysfunktion mit einer Ejektionsfraktion (LVEF) von minimal 15%. Bei der Koronarangiographie fanden sich keine Stenosen der Koronararterien. Die histologische Untersuchung einer Biopsie des Myokards ergab entzündliche Infiltrate, hauptsächlich bestehend aus T-Zellen, Makrophagen, eosinophilen Granulozyten, B-Zellen und Plasmazellen. Die Patientin erhielt die übliche Therapie bei Herzinsuffizienz sowie Methylprednisolon (i.v. 1 g/d für 3 Tage). Eine Woche nach Beginn dieser Therapie hatte sich die Patientin erholt, und die Ejektionsfraktion war auf 60% angestiegen.

Fall 2: Ein 42-jähriger Mann stellte sich wegen Luftnot und Brustschmerzen 2 Wochen nach der 2. Impfung mit dem mRNA-1273-Impfstoff vor. Auch hier ergaben sich keine Hinweise für eine akute virale Infektion. Es bestanden eine Tachykardie und Fieber. Im EKG fanden sich diffuse ST-Strecken-Hebungen. Die Echokardiographie zeigte eine biventrikuläre Dysfunktion mit Reduktion der LVEF auf 15%. Koronarangiographisch ergaben sich keine Hinweise auf eine koronare Herzkrankheit. Der Patient erlitt nach 3 Tagen einen kardiogenen Schock und starb. Leider fehlte hier die Angabe, ob der Patient ein Glukokortikosteroid erhalten hatte. Die Autopsie ergab eine biventrikuläre Myokarditis mit gemischten Infiltraten, bestehend aus Makrophagen, T-Zellen, eosinophilen Granulozyten und B-Zellen.

Die histologischen Befunde bei beiden Patienten bestätigten das Bild der Hypersensitivitäts-Myokarditis, was gut zu einer Autoimmunreaktion nach der Impfung passt. Gerade beim 2. Patienten zeigte sich, dass diese mögliche NW der mRNA-basierten Impfstoffe durchaus ernst zu nehmen ist.

Wichtige aktuelle Informationen zur Inzidenz von Myokarditiden nach Impfung mit dem BNT162b2-Impfstoff aus epidemiologischen Untersuchungen werden aus Israel mitgeteilt (6).

Hintergrund: Die kurz- und mittelfristigen NW der SARS-CoV-2-Impfstoffe sind bisher wenig systematisch untersucht. Langzeit-NW können erst während mehrerer Jahre nach der Zulassung erfasst werden. Seltenere NW sind in Phase-III-Studien meist nicht zu ermitteln. Daher sind nach der Zulassung von Arzneimitteln verschiedene Arten von NW-Meldesystemen wichtig. Passive Meldesysteme (Vaccine Adverse Event Reporting System = VAERS) erfassen potenzielle NW, die auf freiwilliger Basis von Gesundheitsbehörden gemeldet werden (7). Zusammen mit den NW, die hier gemeldet wurden, und denen aus den Phase-III-Studien wird dann eine Liste von möglichen NW (wie z.B. Safety Platform for Emergency Vaccines = SPEAC) erstellt (8).

Aktive Systeme auf der Basis großer elektronisch gesammelter Meldungen (wie z.B. „Biologics Effectiveness and Safety“ = BEST) haben das Ziel, die Inzidenz solcher möglichen Ereignisse mit denen in einer historischen populationsbasierten Kontrollgruppe zu vergleichen, um einen möglichen kausalen Zusammenhang besser zu ermitteln (9). Diese Systeme haben aber meist die Schwäche, dass eine große, gut vergleichbare Kontrollgruppe fehlt. Für eine solche vergleichende Untersuchung ergaben sich in Israel gute Voraussetzungen, denn hier wurde in einem kurzen Zeitraum über die Hälfte der Bevölkerung mit dem mRNA-basierten Impfstoff BNT162b2 immunisiert.

Methodik: Grundlage der Analyse sind Daten nach der 1. Impfkampagne ausschließlich mit dem Impfstoff BNT162b2. Es wurden potenzielle unerwünschte Ereignisse erfasst, die innerhalb von 42 Tagen nach der Impfung auftraten und vorher nicht bekannt waren. Geimpfte und Ungeimpfte (Daten einer Versicherungsgesellschaft) wurden entsprechend soziodemographischer und klinischer Variablen individuell zugeordnet. In einer Kaplan-Meier-Analyse wurden „Risk Ratio“ (RR) und Risiko-Unterschiede ermittelt. Diese Ergebnisse wurden dann mit entsprechenden Personen verglichen, die symptomatisch an COVID-19 erkrankt waren.

Ergebnisse: In die Analyse gingen 884.828 Personen ein. Von allen potenziellen NW war die Impfung mit BNT162b2 am stärksten mit dem Risiko einer Myokarditis assoziiert (RR: 3,24; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,55-12,44; Risiko-Differenz: 2,7 Ereignisse pro 100.000 Personen; CI: 1,0-4,6). Die Autoren errechneten eine Steigerung der Myokarditis-Inzidenz um den Faktor 3 durch die Impfung, allerdings für die gesamte Altersgruppe. Das mediane Alter der 21 Personen, die eine Myokarditis nach der Impfung entwickelt hatten, war 25 Jahre („Interquartile range“: 20-34), und 91% waren Männer.

Diskussion: Die Erfassung seltener, zum Teil auch schwerwiegender NW ist aktuell besonders wichtig, da Druck ausübt wird, junge Erwachsene und sogar Kinder zu impfen, obwohl ihr Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 im Bereich der Inzidenz solcher NW liegt. Um eine wissenschaftlich gut begründete Empfehlung für die Impfung in dieser Altersgruppe abgeben zu können, wären Daten zur Inzidenz von beispielsweise hypersensitiver Myokarditis bei Kindern und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre in der gesunden Bevölkerung erforderlich. Sollte die Inzidenz bei annähernd null liegen, was vermutlich so ist, dann sind die Zahlen aus der israelischen Studie beunruhigend, insbesondere deshalb, weil fast alle Myokarditiden bei Personen unter 30 Jahren aufgetreten sind. Die wichtige Frage nach der Myokarditis-Inzidenz bei jungen Männern < 30 Jahre mit und ohne Impfung wurde ganz ausgeblendet, und sie kann auch durch diese Studie nicht beantwortet werden, denn die hier gewählte Vergleichsgruppe – SARS-CoV-2-infizierte Patienten im medianen Alter > 41 Jahre – ist dafür nicht geeignet; darauf wird auch in einem Kommentar zu dieser Studie hingewiesen (10). Es fehlen somit grundlegende Daten, um die weltweit beginnende Impfkampagne bei Jugendlichen und sogar Kindern als vorteilhaft für diese Altersgruppe zu begründen. Vor diesem ungelösten Problem steht auch die Ständige Impfkommission (STIKO).

Fazit: Nach unserer Einschätzung sollten die mRNA-basierten SARS-CoV-2-Impfstoffe bei jungen, sonst gesunden, männlichen Personen zurückhaltend eingesetzt werden, da die Nutzen-Risiko-Relation für diese Gruppe nach den bisher vorliegenden und wegen noch fehlender Daten unklar ist. Insbesondere die hypersensitive Myokarditis erscheint uns in dieser Altersgruppe als eine sehr relevante Nebenwirkung.

Literatur

  1. AMB 2021, 55, 59. Link zur Quelle
  2. https://www.pei.de/SharedDocs/ Downloads/DE/newsroom/ veroeffentlichungen-arzneimittel/rhb/ 21-07-19-covid-19-comirnaty-und-spikevax.pdf ?__blob=publicationFile Link zur Quelle
  3. https://www.pei.de/ SharedDocs/Downloads/DE/ newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/ sicherheitsbericht-27-12-bis-31-07-21.pdf ?__blob=publicationFile& v=4 Link zur Quelle
  4. https://www.cdc.gov/ coronavirus/2019-ncov/vaccines/safety/ adverse-events.html Link zur Quelle
  5. https://www.nejm.org/ doi/full/10.1056/NEJMc2109975? query=featured_coronavirus Hypersensitivitäts-Myokarditis Link zur Quelle
  6. Barda, N., et al.: N. Engl. J. Med. 2021, August 25. Link zur Quelle
  7. Vaccine Adverse Event Reporting System. Link zur Quelle
  8. World Health Organization. Link zur Quelle
  9. Biologics Effectiveness and Safety (BEST): Link zur Quelle
  10. Lee, G.M.: N. Engl. J. Med. 2021, August 25. Link zur Quelle