Es gibt keinen Zweifel daran, daß Diät (bei Übergewicht mit Kalorienrestriktion) die Grundlage der Therapie des Typ-2-Diabetes mellitus ist. Über die Frage, ob Patienten, die mit Diät allein schlecht einzustellen sind, zunächst mit Tabletten (Sulfonylharnstoffe, Metformin) oder frühzeitig mit lnsulin behandelt werden sollten, gehen die Meinungen erheblich auseinander. Der Grund für die therapeutische Unsicherheit ist der Mangel an verläßlichen Langzeitstudien, in denen die Effizienz der verschiedenen Behandlungsmethoden sowohl hinsichtlich der Blutzucker(BZ)- und HbA1-Kontrolle, besonders aber hinsichtlich diabetischer Folgeerkrankungen untersucht wurden. Die vor 20 Jahren veröffentlichte US-amerikanische Studie des University Group Diabetes Program (UGDP) hatte bei 1000 über 5,5 Jahre verfolgten Typ-2-Diabetikern gezeigt, daß eine verbesserte BZ-Kontrolle – mit welcher Methode auch immer – nicht besser als Diät kardiovaskuläre Komplikationen verringert (1). Bei den mit Sulfonylharnstoffen oder Biguaniden behandelten Patienten nahmen kardiovaskuläre Komplikationen sogar zu. Die UGDP-Studie ist wegen unzureichender statistischer „Power“ und aus anderen Gründen oft kritisiert worden, führte aber dazu, daß in Großbritannien vom Medical Research Council und vom National Health Service neue umfangreiche und im Design sehr ausgeklügelte Studien begonnen wurden, deren Ergebnisse jetzt schrittweise publiziert werden. Im Oktoberheft berichteten wir bereits über die UKPDS-Publikationen 38, 39 und 40, in denen die deutliche Effektivität einer antihypertensiven Behandlung bei hypertensiven Typ-2-Diabetikern bewiesen wurde (2). Jetzt sollen drei weitere Veröffentlichungen der UKPDS referiert werden. Einen genauen graphischen Gesamtüberblick über diese komplizierte „Jahrhundert-Studie“ zu geben, ist unmöglich, weil die jeweiligen Vergleichsgruppen offenbar sehr verschachtelt sind. Deshalb geben wir zum Verständnis der Ergebnisse das Design der Einzelstudien in Abbildungen wieder, ohne daß damit erklärt werden kann, warum die Patientenzahlen in Therapiegruppen, die sich entsprechen, unterschiedlich ist.
UKPDS 24: Randomisierte, kontrollierte 6-Jahres-Studie über die Effektivität der Therapie mit Sulfonylharnstoffen, Insulin oder Metformin bei neu entdeckten Typ-2-Diabetikern, die mit Diät allein nicht kontrolliert werden konnten (3).
Die Untersuchung wurde multizentrisch in 15 Polikliniken durchgeführt. Patienten mit akuter koronarer Herzkrankheit, mit höhergradiger Niereninsuffizienz, mit schwer kontrollierbarer Hypertonie oder fortgeschrittener Retinopathie wurden von der Studie ausgeschlossen.
Von insgesamt 4075 Typ-2-Diabetikern mit im Alter von 25-65 Jahren neu entdeckter Erkrankung erwiesen sich 560 als primär nicht mit Diät allein behandelbar (Nüchtern-Blutzucker = NBZ > 15 mmol/l = > 270 mg/dl; Gruppe 1). Gruppe 2 war mit Diät gut behandelbar (NBZ < 6 mmol/l = < 108 mg/dl), während Gruppe 3 die Haupt-Randomisierungsgruppe bildete (2769 Patienten mit NBZ von 6-15 mmol/l unter Diät), die in verschiedene Behandlungsarme aufgeteilt wurde (s. Abb. 1). In dieser Studie interessiert besonders Gruppe 1, von der 458 Patienten 6 Jahre lang weiter verfolgt werden konnten. Von diesen 458 Patienten waren 171 adipös (> 120% des ldealgewichts) und 287 (etwa 63%) nicht adipös.
Von den Gruppe-1-Patienten ohne Übergewicht erhielten 56% Sulfonylharnstoffe (SH; Chlorpropamid oder Glibenclamid) und 44% Insulin (Ultralente, bei Bedarf zusätzlich Normalinsulin). Die adipösen Patienten erhielten zu 42% SH, zu 32% Insulin und zu 26% Metformin (jeweils zusätzlich zur Diabetes-Diät).
Ergebnisse: Verglichen mit der gut mit Diät kontrollierbaren Gruppe 2 waren die Patienten der Gruppe 1 (primäre Diätversager = Diät-refraktär) jünger, weniger adipös, hatten niedrigere Nüchtern-Insulinspiegel und damit eine stärker reduzierte Betazell-Funktion und waren bereits stärker von einer Retinopathie betroffen. In dieser Gruppe 1 hatten Patienten, die mit Insulin behandelt worden waren, nach 6 Jahren zwar etwas niedrigere NBZ als mit oralen Medikamenten Behandelte, die HbA1C-Werte waren aber gleich. Bei 48% der Patienten von Gruppe 1, die SH oder Metformin einnahmen, ließ sich der HbA1C-Wert unter 8% halten. Nach 6 Jahren benötigten 51% der Patienten, die mit Ultralente-Insulin begonnen hatten, zusätzlich Normalinsulin, um symptomfrei oder mit dem NBZ unter 15 mmol/l (270 mg/dl) zu bleiben. 66% der Patienten, die primär der SH- oder der Metformin-Gruppe zugeteilt wurden, benötigten später zusätzlich Metformin (nur bei Übergewicht) oder SH oder Insulin, um symptomfrei oder mit dem NBZ unter 15 mmol/l (270 mg/dl) zu bleiben.
Patienten, die primär Insulin bekamen, nahmen mehr an Gewicht zu und hatten häufiger schwere Hypoglykämien als Patienten des SH-Therapie-Arms. Patienten, die primär Metformin bekamen, nahmen am wenigsten zu und hatten die wenigsten Hypoglykämien. Bemerkenswerterweise war in allen Therapie-Armen (auch im lnsulin-Arm) der Gruppe 1 (primär Diät-refraktär) die Kontrolle von NBZ und HbA1C schlechter als in der Hauptrandomisierungsgruppe 3 bei vergleichbarer Therapie.
Fazit der UKPD5-24-Autoren: Weil die initiale Insulintherapie häufiger zu Hypoglykämien und zu einer Gewichtszunahme führte als andere Medikamente ohne den Stoffwechsel deutlich besser zu kontrollieren, könnte es vernünftig sein, bei primär Diät-refraktären Typ-2-Diabetikern mit oralen Antidiabetika zu beginnen und erst dann auf Insulin überzuwechseln, wenn die Therapieziele (BZ-Kontrolle und Beschwerdefreiheit) nicht erreicht werden.
UKPDS 33: Einfluß der Behandlung mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin auf das Komplikations-Risiko bei Typ-2-Diabetes mellitus (4).
Die Kenntnis der bisher referierten UKPDS 24 erleichtert das Verständnis der nun zu besprechenden Studie. Es ist bekannt, daß eine gute BZ-Kontrolle bei Diabetes mellitus die Entwicklung oder das Fortschreiten mikrovaskulärer diabetischer Komplikationen verzögert. Der Einfluß einer guten glykämischen Kontrolle auf makrovaskuläre Komplikationen (Atherosklerose) ist jedoch unklar; zumal es Hinweise dafür gibt, daß hohe Insulinkonzentrationen die Atherombildung fördern können.
3867 neu entdeckte Typ-2-Diabetiker im Alter von 48-60 Jahren, die nach 3 Monaten Diättherapie (konventionelle Behandlung) symptomfrei waren und BZ-Werte zwischen 6 und 15 mmol/l (108 und 270 mg/dl) hatten, wurden mindestens 10 Jahre lang in folgenden Therapiegruppen beobachtet (s. Abb. 2): Gruppe 4: Weiterhin nur Diät. Gruppe 5: Diät plus Sulfonylharnstoff (SH, Chlorpropamid oder Glibenclamid oder Glipizid). Gruppe 6: Diät plus Insulin. In Gruppe 4 (hier konventionelle Therapie genannt) war das Therapieziel das Erreichen des bestmöglichen NBZ (< 15 mmol/l = 270 mg/dl), in den anderen Gruppen (hier intensivierte Therapie genannt) jedoch ein NBZ < 6 mmol/l (108 mg/dl). Wenn im Laufe der Jahre das Therapieziel in der Gruppe 5 nicht erreicht werden konnte, durften die Patienten zusätzlich Metformin erhalten oder auf Insulin umgestellt werden. Patienten der Gruppe 6 erhielten zunächst nur lnsulin-Ultralente, konnten aber bei unzureichender Kontrolle zusätzlich Normalinsulin zu den Mahlzeiten spritzen. Untersuchte Endpunkte waren a. alle mit Diabetes assoziierten Komplikationen (z.B. Tod durch Hyper- oder Hypoglykämie, Herzinfarkt, Glaskörperblutung, Notwendigkeit der Lichtkoagulation der Retina usw.), b. durch Diabetes direkt oder indirekt verursachter Tod und c. alle Todesfälle. Ergebnisse: In den Gruppen 5 und 6 war über 10 Jahre das HbA1C im Mittel 7,0%, in der Diät-Gruppe 4 hingegen 7,9%. In den Gruppen 5 und 6 war das Risiko, den Endpunkt a (alle mit Diabetes assoziierten Komplikationen) zu erreichen um 12% geringer als in Gruppe 4(p = 0,029). Hierbei spielte die Reduktion mikrovaskulärer Komplikationen die größte Rolle, während die Reduktion makrovaskulärer Ereignisse nicht signifikant war. In den mit SH oder Insulin behandelten Gruppen 5 und 6 war die Wahrscheinlichkeit, am Diabetes zu sterben (Endpunkt b) oder überhaupt zu sterben (Endpunkt c) gegenüber der Diät-Gruppe 4 um 10% (p = 0,34) bzw. 6% (p = 0,44), d.h. nicht signifikant reduziert. Zwischen den mit Insulin, Chlorpropamid oder Glibenclamid behandelten Gruppen gab es hinsichtlich der Endpunkte keine wesentlichen Unterschiede.
Schwere Hypoglykämien waren bei den mit SH oder Insulin behandelten Patienten häufiger als in der Diät-Gruppe (Diät: 0,7%/Jahr, Glibenclamid: 1,4%/Jahr, lnsulin: 1,8%/Jahr). Patienten der Gruppen 5 und 6 nahmen signifikant mehr an Gewicht zu als die der Nur-Diät-Gruppe, am meisten unter lnsulin-Therapie.
Fazit der UKPD5-33-Autoren: Intensivierte BZ-Kontrolle mit Insulin oder SH vermindert das Risiko mikrovaskulärer, nicht aber makrovaskulärer Komplikationen bei Typ-2-Diabetikern. Kein medikamentöses Behandlungsregime, einschließlich Insulin, erhöhte die Zahl der kardiovaskulären Endpunkte. Sowohl SH als auch Insulin erhöhten das Hypoglykämie-Risiko und förderten eine Gewichtszunahme.
UKPDS 34: Einfluß der Metformin-Therapie bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern auf diabetische Komplikationen (5).
Biguanide, zu denen Metformin gehört, können zu schweren, oft tödlichen Laktatazidosen führen. Die oben erwähnte UDGP-Studie hatte bei Einsatz von Phenformin zusätzlich erhöhte Komplikationen durch makrovaskuläre Ereignisse ergeben. Daraufhin wurden in den USA zunächst alle Biguanide verboten, während Metformin in Europa auf dem Markt blieb, weil es bei Beachtung der Kontraindikationen wahrscheinlich mit weniger Nebenwirkungen behaftet war als Phenformin. Inzwischen hat Metformin in den USA eine Renaissance erlebt. Metformin führt nicht zu vermehrter Insulinsekretion und verursacht keine Hypoglykämien. Der antihyperglykämische Effekt bei Typ-2-Diabetes beruht auf einer Hemmung der Glukoneogenese (hepatische Glukoseproduktion) und auf einer Verbesserung der peripheren Glukoseutilisation. Die UKPDS 34 sollte prüfen, ob die Therapie mit Metformin bestimmte Vor- oder Nachteile für die Patienten hat.
In 15 Diabetes-Polikliniken wurden 1704 übergewichtige Patienten (> 120% des Idealgewichtes) mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes, die nach 3 Monaten Diät symptomfrei waren und NBZ-Werte zwischen 6 und 15 mmol/l (108 mg/dl und 270 mg/dl) hatten, in die UKPDS 34 eingeschlossen (s. Abb. 3). 735 Patienten wurden rekrutiert für einen Vergleich der Behandlung mit Diät allein (n = 411; Gruppe 7) versus Diät plus Metformin (n = 342; Gruppe 8). In der Gruppe 8 wurde versucht, den NBZ unter 6 mmol/l (108 mg/dl) zu senken. Eine zweite Analyse hatte zum Ziel, Gruppe 8 mit insgesamt 951 übergewichtigen Patienten zu vergleichen, die entweder mit Chlorpropamid (Gruppe 9) oder Glibenclamid (Gruppe 10) oder Insulin (Gruppe 11) wie in der UKPDS 33 behandelt wurden. Die geprüften Endpunkte entsprachen denen unter a., b., c. von UKPDS 33 (s.o.).
Ergebnisse: Der mittlere HbA1C-Wert in Gruppe 8 (Metformin) war nach 10 Jahren 7,4% versus 8,0% in der Nur-Diät-Gruppe 7. Im Vergleich mit Gruppe 7 fand sich in Gruppe 8 bezüglich Endpunkt a (alle mit Diabetes assoziierten Komplikationen) eine Risikoreduktion um 32% (p = 0,002), hinsichtlich Endpunkt b (Diabetes-bedingter Tod) um 42% (p = 0,017) und hinsichtlich Endpunkt c (alle Todesfälle) um 36% (p = 0,011). Metformin war im Hinblick auf die Risikoreduktion bei adipösen Diabetikern für alle Risiken, Gesamtletalität und Schlaganfall nicht nur den Sulfonylharnstoffen, sondern auch Insulin (p = 0,017) in der zweiten Analyse überlegen. Frühe Zugaben von Metformin bei bereits mit SH behandelten übergewichtigen Patienten war allerdings mit einer erhöhten Letalität infolge diabetischer Ursachen assoziiert. Eine weitere Analyse aller norm- und übergewichtigen Patienten, die bei schlechter BZ-Kontrolle unter Insulin- oder SH-Therapie zusätzlich Metformin erhalten hatten, ergab keine Verschlechterung des Endpunkt-Risikos durch Metform in.
Fazit der UKPDS-34-Autoren: Da die BZ-Kontrolle mit Metformin das Risiko diabetischer Komplikationen offenbar vermindert und mit weniger Hypoglykämien und geringerer Gewichtszunahme assoziiert ist als die Behandlung mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin, könnte Metformin die Anfangstherapie der Wahl bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern sein.
Beurteilung der UKPDS-Ergebnisse und Folgerungen: Die Ergebnisse dieser UKPDS-Teilstudien sind ein wichtiger Meilenstein in der Therapie des Typ-2-Diabetes. Sie beantworten zwar nicht alle Fragen, geben uns aber nach Jahren großer Unsicherheit eine Orientierungshilfe für Therapieentscheidungen. Der Kampf zwischen den verschiedenen Lagern von Diabetologen, die sich im wesentlichen in Anhänger von Insulin bzw. Tabletten bei der Initialtherapie des Diabetes mellitus schieden, kann vielleicht nicht ganz beendet, aber doch differenzierter geführt werden. Wenn bei jüngeren, normalgewichtigen oder nur wenig übergewichtigen Typ-2-Diabetikern die nahezu euglykämische Einstellung mit Insulin vielleicht vernünftig sein mag, so ist die Insulintherapie bei älteren, übergewichtigen und hyperinsulinämischen Patienten nicht die beste Option. Wir wissen jetzt, daß mit Metformin bei Beachtung der Kontraindikationen (Nieren-, Leber- und Herzinsuffizienz) bzw. mit Sulfonylharnstoffen und bei vorsichtiger ergebnisorientierter Dosissteigerung nicht mit schlechteren Langzeitergebnissen zu rechnen ist als bei der Insulintherapie. Am wenigsten erwartet wurde wohl das relativ günstige Ergebnis bei den mit Metformin behandelten übergewichtigen Diabetikern. Basis der Diabetestherapie bleibt eine gründliche Schulung mit den therapeutischen Zielen Diätumstellung/Kalorienrestriktion und Intensivierung der körperlichen Bewegung. Bei unzureichender BZ- und HbA1-Kon-trolle kann bei jüngeren Patienten mit Insulin oder oralen Antidiabetika begonnen werden. Bei älteren Patienten sollten Symptomfreiheit, Wohlbefinden und das Vermeiden hypo- und hyperglykämischer Komplikationen im Vordergrund stehen. Dies sind Ziele, die oft mit einer initialen oralen Therapie erreicht werden können. Bei schlechter Kontrolle bleibt die Insulintherapie immer eine Option. Bei akut kranken Patienten, auch bei solchen mit Symptomen koronarer Herzkrankheit sollte (eventuell vorübergehend) vorzugsweise auf Insulin umgestellt werden. Daß mit Studien, die vor 20 Jahren entworfen wurden, über die neueren oralen Antidiabetika (Thiazolidindione usw.) nichts ausgesagt werden kann, ist selbstverständlich.
Die medizinische Welt schuldet den britischen Kollegen, die das wahrlich dicke Brett „Therapie des Typ-2-Diabetes mellitus“ aufgebohrt haben, besonderen Dank.
Literatur
1. The University Group Diabetes Program (UPDG): Diabetes 1975, 24 Suppl.1, 65; s.a. AMB 1996, 30, 81 und 1997, 31, 72b; 96.
2. AMB 1998, 32, 76a.
3. UKPDS 24: Ann. Int. Med. 1998, 128, 165.
4. UKPDS 33: Lancet 1998, 352, 837.
5. UKPDS 34: Lancet 1998, 352, 854.