Manche Menschen sind müde, kaum belastbar und neigen zu Depressionen, ohne daß eine erkennbare Ursache vorliegt. Für das CFS wurden 1994 genaue Kriterien festgelegt (1). Folgende Definition ist zur Zeit gültig: Ausgeprägte unerklärte Ermüdbarkeit seit mehr als 6 Monaten mit definierbarem Anfang der Beschwerden, nicht zurückzuführen auf starke Belastung, nicht behebbar durch Ruhe und zu einer erheblichen funktionellen Beeinträchtigung führend. Hinzu kommen müssen vier oder mehr der folgenden acht Symptome: Konzentrationsstörungen, Halsschmerzen, geschwollene Lymphknoten, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und extreme Müdigkeit nach körperlichen Belastungen.
Als mögliche Ursachen wurden eine persistierende Epstein-Barr-Virus-lnfektion und subtile immunologische Störungen diskutiert. Andere Autoren fanden eine gewisse Beeinträchtigung der Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, z.B. etwas erniedrigte Kortisol-Ausscheidung im Urin und etwas geringere Stimulierbarkeit der Nebenniere durch ACTH oder Kortikotropin-Releasing-Hormon. Um die Rolle eines möglichen milden Kortisol-Mangels ex juvantibus zu klären, wurden kürzlich zwei Therapiestudien mit Hydrokortison vs. Plazebo durchgeführt.
Die Autoren der einen Studie sind R. McKenzie et al. aus den USA (2). Sie behandelten 56 Frauen und 14 Männer im Alter von 18 bis 55 Jahren, welche die Kriterien eines CFS erfüllten, entweder mit 13 mg/m2 Körperoberfläche Hydrokortison morgens und 3 mg/m2 nachmittags oder mit Plazebo ungefähr 12 Wochen lang. Endpunkt der Studie war eine auszufüllende Befindensskala. Am Ende der Medikationsperiode wurden ACTH-Tests durchgeführt, um zu erkennen, ob die Nebennierenfunktion supprimiert war. 54,3% der 35 mit Plazebo behandelten Patienten und 66,7% der 30 mit Hydrokortison behandelten Patienten gaben Besserung ihres Befindens an. In der Hydrokortison-Gruppe war das Ausmaß der Besserung jedoch deutlich größer als in der Plazebo-Gruppe (p = 0,06). Nebenwirkungen wurden kaum beobachtet; jedoch hatten 12 Patienten, die Hydrokortison erhalten hatten, am Ende der Studie einen pathologischen ACTH-Test. Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, daß einige Patienten mit CFS günstig auf Hydrokortison reagieren, daß aber eine so dosierte Behandlung wegen der Suppression der Nebennierenfunktion nicht praktikabel sei.
Eine zweite Studie wurde kürzlich im Lancet von A.J. Cleare et al. (3) vorgestellt. 32 Patienten, welche die strikten Kriterien eines CFS erfüllten, wurden einen Monat lang mit täglich 5 mg oder 10 mg Hydrokortison als Einzeldosis und einen anderen Monat lang mit Plazebo behandelt. Die Reihenfolge Plazebo/Verum war randomisiert. Endpunkt waren Änderungen der Beschwerde-Intensität aufgrund eines ausgefüllten Fragebogens. Die Beschwerde-Intensitär nahm während der Hydrokortison-Behandlung um 7,2 Punkte der Beschwerde-Skala ab, während der Plazebo-Behandlung um 3,3 Punkte. Neun der 32 mit Hydrokortison behandelten Patienten erreichten Punktzahlen wie bei Normalpersonen. Das gleiche war nur bei drei von 32 Patienten nach Plazebo der Fall. Am Ende der Hydrokortison-Behandlungsphase durchgeführte Insulin-Hypoglykämie-Tests mit Messung des Plasma-Kortisols zeigten keine Suppression der Nebennierenfunktion.
In einem begleitenden Editorial von W.J. Jeffcoate (4) werden die Ergebnisse beider Studien kommentiert. Es wird hervorgehoben, daß die endokrinologischen Befunde bei CFS-Pat[enten sich meist noch im normalen Referenz-Bereich bewegen. Die Minderung der Beschwerden nach Einnahme von Hydrokortison könne auch durch den euphorisierenden Effekt des Steroids erklärt werden, das, ohne durch eine Blut-Hirn-Schranke limitiert zu werden, steroidsensitive Hirnareale, z.B. das limbische System, erreichen könne. Eine generelle Therapieempfehlung im Sinne einer Hydrokortison-„Substitution“ kann nicht gegeben werden. Allerdings sollte bei Patienten, welche die CFS-Kriterien erfüllen, neben anderen Basis-Untersuchungen auch die Hypophysen-Nebennieren-Achse geprüft werden, da die Symptome auch Ausdruck einer nicht klar erkennbaren Nebennieren-Insuffizienz sein können.
Fazit: Die Ursachen des CFS bleiben unklar. Die Rolle einer mäßig verminderten Stimulierbarkeit der Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse in der Pathogenese des Syndroms ist ungewiß. Bei einigen Patienten mit CFS führt eine niedrig dosierte Behandlung mit Hydrokortison zur Besserung der Symptome, jedoch könnte dieser Effekt auch auf die euphorisierende Wirkung von Hydrokortison zurückzuführen sein.
Literatur
1. Fukuda, K., et al.: Ann. Intern. Med. 1994, 121, 953.
2. McKenzie, R., et al.: JAMA 1998, 280, 1061.
3. Cleare, A.J., et al.: Lancet 1999, 353, 455.
4. Jeffcoate, W.J.: Lancet 1999, 353, 424.