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Schmerzhafte Kalkschulter: Schulterlavage mit oder ohne subakromiale Glukokortikoid-Injektion nicht besser als eine Scheinintervention [CME]

Die kalzifizierende Tendinopathie der Schulter (syn.: Kalkschulter u.a.) wird durch passagere Ablagerungen von Kalzium (Hydroxylapatit-Kristalle) in einer oder mehreren Sehnen der Rotatorenmanschette ausgelöst. Die Erkrankung wird in 4 Phasen unterteilt: Transformationsphase: ein Teil der Sehne(n) wandelt sich fibrokartilaginär um und verkalkt; Ruhephase: die Kalkdepots sind stabil und können (Druck-)Schmerzen und/oder mechanische Probleme verursachen (z.B. Verengung unter dem Akromion, Impingement-Syndrom); Resorptionsphase: es kommt zu einer Hypervaskularisation mit Infiltration von Entzündungszellen, teilweise begleitet von einer sehr schmerzhaften Bursitis; Reparaturphase: die Kalkdepots sind resorbiert und Fibroblasten stellen das normale Kollagenmuster der Sehne wieder her ([1]). Nicht jede Kalkschulter durchläuft alle diese Phasen, und die Dauer der Erkrankung variiert zwischen einigen Wochen bis hin zu mehreren Jahren. Die Auslöser für diese Prozesse sind nur unzureichend bekannt. Assoziationen mit bestimmten Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen, Nephrolithiasis und Änderungen im Östrogenhaushalt wurden beschrieben.

Etwa die Hälfte aller Kalkschultern verursacht keine Beschwerden; sie sind Zufallsbefunde. Symptomatische Patienten haben Schmerzen bei bestimmten Armbewegungen (Elevation im Schultergelenk oder Überkopfarbeiten), in der Nacht (besonders beim Liegen auf der betroffenen Schulter) oder entwickeln motorische Störungen des Arms (Pseudoparalyse).

Die Prävalenz der Kalkschulter wird bei asymptomatischen Personen mit 3-10% und bei Patienten mit Schulterschmerzen mit 7-17% angegeben. Die Mehrzahl der Betroffenen ist zwischen 40 und 60 Jahre alt; Frauen sind häufiger betroffen als Männer ([1]).

Die symptomatische Kalkschulter heilt meist spontan bzw. unter konservativen Maßnahmen (Physiotherapie, Kühlung, entzündungshemmende Medikamente) ab. In Beobachtungsstudien waren rund 50% der Betroffenen nach einem halben Jahr und 70% nach 4 Jahren schmerzfrei. Um den Heilungsverlauf zu beschleunigen bzw. den Patienten mit hohem Leidensdruck oder langem Verlauf zu helfen, wird eine Vielzahl von Behandlungsverfahren angewendet. Dazu zählen die extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWL), Glukokortikoid-Injektionen, Gelenksspülungen (Lavage) und Operationen (z.B. Kalkentfernung und Akromioplastik). Die Evidenz für die Effektivität dieser Maßnahmen ist aber überwiegend schwach und stammt aus unkontrollierten Kohortenstudien und einigen wenigen randomisierten kontrollierten Studien (RCT). Nach einer Metaanalyse von 7 RCT aus dem Jahr 2016 hat eine Ultraschall-gesteuerte Schulterlavage die besten Ergebnisse ([2]).

Da bei solchen invasiven Eingriffen immer mit einem starken Plazeboeffekt zu rechnen ist, sollten klinische Studien möglichst auch mit einer Scheinintervention („Sham“) kontrolliert werden (vgl. [3]). Solche Studien sind jedoch aufwändig und daher sehr selten. Kollegen aus Norwegen und Schweden haben nun eine „Sham“-kontrollierte Studie bei der Kalkschulter durchgeführt und „open access“ im British Medical Journal publiziert ([4]).

Studiendesign: In dieser multizentrischen, doppelt verblindeten RCT wurden 3 Behandlungen miteinander verglichen: 1. Ultraschall-geführte Spülung (Nadellavage) plus subakromiale Injektion von 20 mg Triamcinolonacetonid plus Lidocain; 2. Sham-Lavage plus subakromiale Injektion von 20 mg Triamcinolonacetonid plus Lidocain; und 3. Sham-Lavage plus Sham-Injektion (nur Lidocain). Die Eingriffe erfolgten ambulant durch spezialisierte Fachärzte. Alle Patienten erhielten Anweisungen für Übungen zuhause (begleitende Physiotherapie).

Zu den Einschlusskriterien zählten u.a. ein moderater bis starker Schmerz über mindestens 3 Monate, und das Vorliegen bestimmter klinischer (positiver Hawkin-Test oder Neer-Zeichen für Impingement) und bildgebender Befunde (Nachweis mehrerer Kalkdepots ≥ 5 mm auf einem Standard-Röntgenbild oder im Ultraschall). Zu den Ausschlusskriterien zählten u.a. Hinweise auf eine beginnende spontane Rückbildung der Kalkdepots, das Vorliegen einer Schulterinstabilität oder bedeutsame andere pathologische Befunde des Akromioklavikulargelenks oder der Rotatorenmanschette oder Hinweise auf eine zervikale Radikulopathie.

Die Effektivität der Verblindung wurde durch wiederholtes Befragen der Patienten beurteilt (James Index). Außerdem erfolgten die Nachuntersuchungen durch Ärzte, die keine Informationen über die Art der Behandlung hatten. Primärer Studienendpunkt war die klinische Situation nach 4 Monaten. Dies wurde bestimmt mit dem „Oxford Shoulder Score“ (OSS). Dabei handelt es sich um ein Instrument der Selbstevaluation (12 Fragen). Der OSS ist für pathologische Veränderungen der Rotatorenmanschette und der Kalkschulter validiert. Der Score umfasst 0-48 Punkte, wobei niedrigere Werte einen größeren Behinderungsgrad der Schulter anzeigen. Weitere Fragebögen und visuelle Analogskalen zur Schulterfunktion, Lebensqualität und Schmerzintensität wurden als sekundäre Endpunkte verwendet. Die Nachbeobachtungszeit betrug insgesamt 24 Monate.

Ergebnisse: Von 512 gescreenten Patienten wurden 220 randomisiert; 218 gingen in die Auswertung nach „intention to treat“ ein. Häufigste Gründe für ein „Screening Failure“ waren: Ablehnung an der Studie teilzunehmen, Hinweise auf weitere pathologische Befunde an der Schulter, zu geringe Kalkdepots in der Bildgebung oder eine vorherige Behandlung mit Glukokortikoid-Injektionen oder ESWL.

Die Patienten waren im Mittel 50 Jahre alt; 66% waren Frauen. Die Schmerzdauer betrug initial durchschnittlich 33 Monate, der Ausgangs OSS-Wert initial 29 Punkte. Die Adhärenz zur Physiotherapie war ausreichend gut: 75% derer, die ihr Übungstagebuch abgegeben hatten, hatten mindestens 80% der Übungen absolviert. Die Verblindung war offenbar zu allen Zeitpunkten gegeben.

Nach 4 Monaten zeigte sich beim primären Studienendpunkt kein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsarmen. Der OSS-Wert verbesserte sich mit Lavage plus Glukokortikoid-Injektion um durchschnittlich 3,9 Punkte, mit Sham-Lavage plus Glukokortikoid-Injektion um 5,7 Punkte und mit Sham-Lavage plus Sham-Injektion um 3,2 Punkte. Nur in den ersten 6 Wochen waren Vorteile der Verum- gegenüber Schein-Behandlungen hinsichtlich der Besserung der Schmerzen erkennbar. So besserte sich der nächtliche Schulterschmerz nach 2 Wochen um -21,6 bei Lavage plus Glukokortikoid-Injektion und um -28 bei Sham-Lavage plus Glukokortikoid-Injektion) vs. -11 mit der doppelten Sham-Prozedur auf einer 100 Punkte umfassenden visuellen Analogskala. Nach 4 Monaten glichen sich die Werte an und betrugen -12,4, -24 und -16,9 Punkte. Die Unterschiede waren nicht mehr signifikant.

Auch bei allen anderen untersuchten sekundären Endpunkten fanden sich nach 4 Monaten keine Unterschiede zwischen den Behandlungsarmen. Das galt auch für eine „Per protocol“- und verschiedene Subgruppen-Analysen, z.B. hinsichtlich Größe und Menge der Kalziumdepots. Nach 24 Monaten war der OSS-Absolutwert gleich groß: 40,9, 36,9 bzw. 39,4 von maximal 48 Punkten.

Interessant ist die Beobachtung, dass die Kalkdepots 4 Monate nach der Lavage plus Glukokortikoid-Injektion in der Bildgebung bei deutlich mehr Patienten aufgelöst waren als in den beiden anderen Armen (45% vs. 8,5% bzw. 23,5%). Dies korrelierte jedoch nicht mit den Symptomen: nach 4 Monaten erhielten 63%, 71% bzw. 63% weitere Therapien gegen die Schmerzen (z.B. ESWL), und Analgetika nahmen täglich auch 14%, 9% bzw. 8% ein.

Unerwünschte Ereignisse im Rahmen der Interventionen waren selten und eher unspezifisch (Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Hämatom an der Injektionsstelle, vasovagale Reaktionen und Kapsulitis/“frozen shoulder“; vgl. [5]). Sie unterschieden sich in der Häufigkeit nicht zwischen den Gruppen (n = jeweils 6).

Die Autoren schlussfolgern, dass der berichtete Nutzen einer Schulterlavage mit oder ohne subakromiale Glukokortikoid-Injektion bei der symptomatischen Kalkschulter in erster Linie durch eine Plazebo-Reaktion ausgelöst wird.

Das begleitende Editorial ([6]) lobt die Autoren für diese Studie. Es handle sich um eine der bisher größten Untersuchungen zu diesem Thema, und bei der Durchführung der Studie gäbe es keine größeren Kritikpunkte. Sie erachten es allerdings für verfrüht, auf Grund des Studienergebnisses die ultraschallgesteuerte Gelenklavage oder die subakromiale Glukokortikoid-Injektion als Behandlung der Kalkschulter ganz ad acta zu legen: die Studienpatienten hatten durchschnittlich 3 Jahre lang Symptome und repräsentieren somit eine Subgruppe mit langem Krankheitsverlauf. Die Studie lege aber nahe, dass sich die behandelnden Ärzte mit ihrer Therapie weniger an den Bildbefunden und der Auflösung von Kalziumdepots orientieren sollten, sondern mehr an den klinischen Situationen.

Fazit

In einer der sehr seltenen, mit einer Scheinintervention („Sham“) kontrollierten Doppelblindstudie aus der Orthopädie konnte bei der Kalkschulter mit protrahierten Schmerzen (im Mittel 3 Jahre) kein anhaltender Nutzen einer Schulterlavage mit oder ohne subakromiale Glukokortikoid-Injektion nachgewiesen werden. Glukokortikoid-Injektionen in das Schultergelenk linderten nur kurzfristig die Schmerzen im Vergleich zur Schein-Injektion. Bei den meisten Patienten sind konservative Maßnahmen (Physiotherapie, nichtsteroidale Antiphlogistika) und Geduld ausreichend.

Literatur

  1. Moosmayer, S.: Calcific tendinopathy of the shoulder. Up To Date© (Zugriff am 3.11.2023)
  2. Arirachakaran, A., et al.: Eur. J. Orthop. Surg. Traumatol. 2017, 27, 381 (Link zur Quelle)
  3. AMB 2017, 51, 25 (Link zur Quelle)
  4. Moosmayer, S., et al. (KALK = Treatment of Calcific Tendinitis of the Rotator Cuff): BMJ 2023, 383, e076447 (Link zur Quelle)
  5. AMB 2021, 55, 09 (Link zur Quelle)
  6. Robinson, D.M., et al.: BMJ 2023, 383, p2248 (Link zur Quelle)