Artikel herunterladen

Hydrokortison bei schwerer ambulant erworbener Pneumonie ohne Schock: doch eine Therapieoption?[CME]

Die schwere ambulant erworbene Pneumonie („severe community-aquired pneumonia“ = sCAP) ist häufig mit einer Behandlung auf der Intensivstation verbunden wegen invasiver Beatmung, septischem Schock und/oder akutem Atemnot-Syndrom (ARDS). Trotz adäquater antibiotischer Therapie sterben selbst in Ländern mit hohem Bruttosozialprodukt etwa 12% dieser Patienten ([1]), bei Beatmung sogar bis zu 30% ([2]). Für die hohe Sterblichkeit werden anhaltende Entzündungsprozesse verantwortlich gemacht. Könnten deshalb immunmodulierende Arzneistoffe, beispielsweise Glukokortikosteroide – in der Frühphase der Erkrankung eingesetzt – die (überschießende) Immunreaktion abfangen und damit die Prognose verbessern?

Eine Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien (RCT) an Patienten mit CAP unterschiedlichen Schweregrads hatte gezeigt, dass Glukokortikosteroide zwar die Zeit bis zur klinischen Stabilisierung sowie den stationären Aufenthalt verkürzen, die Letalität aber nicht reduzieren ([3]). In einer anderen Metaanalyse zeigte sich ein positiver Einfluss auf das Überleben, aber nur mit schwacher Evidenz ([4]). Aktuelle Leitlinien sprechen daher keine Empfehlung aus bei CAP ([5]), außer bei zunehmender Obstruktion bei COPD oder Asthma als Grunderkrankung. Bei Patienten im septischen Schock formuliert die Leitlinie, dass „von einer Verwendung von intravenösem (i.v.) Hydrocortison (HC) bei der Behandlung von Patienten mit septischem Schock abgesehen wird, sofern eine adäquate Flüssigkeitssubstitution und hoch dosierte Vasopressor-Therapie in der Lage sind, die hämodynamische Stabilität wiederherzustellen. Für den Fall, dass dies nicht erreichbar sein sollte, schlagen wir den Einsatz von i.v. HC bei einer Dosis von 200 mg pro Tag vor“ ([6]).

Zur sCAP sind in diesem Zusammenhang zwei weitere Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen erschienen. In einer 2022 veröffentlichten US-amerikanischen Studie ([7]) erhielten 586 Patienten mit sCAP, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, Methylprednisolon in einer Startdosis von 40 mg/d i.v. über 7 Tage, danach in ausschleichender Dosis über 20 Tage versus Plazebo. Die 60-Tage-Sterblichkeit war nicht signifikant unterschiedlich (16% vs. 18%; p = 0,61); das galt auch für alle Subgruppen. Aktuell wurde die doppelblinde randomisierte kontrollierte CAPE-COD-Studie aus Frankreich zur 28-Tage-Letalität der sCAP unter HC veröffentlicht ([8]).

Studiendesign: In einer auf Überlegenheit ausgerichteten Studie wurden an 31 Zentren Erwachsene > 18 Jahre eingeschlossen, die wegen einer sCAP auf einer Intensivstation behandelt werden mussten. Für die Einstufung als sCAP musste mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein: eine maschinelle invasive Beatmung oder eine nicht-invasive (NIV) Maskenbeatmung, beide mit einem positiven endexpiratorischen Druck ≥ 5 cm H2O, oder Beatmung mit nasaler „Highflow“-Kanüle mit einer inspiratorischen Sauerstoffkonzentration (FiO2) ≥ 50%, einem unter Beatmung gemessenen Quotienten aus arteriellem O2-Partialdruck (paO2):FiO2 < 300 oder ein Punktescore des „Pulmonary Severity Index“ (PSI) von > 130, der den höchsten Schweregrad der Erkrankung mit der höchsten Letalität abbildet ([9]).

Ausschlusskriterien waren das Verbot einer Intubation in der Patientenverfügung, eine nachgewiesene Influenza-Infektion (wegen Sicherheitsbedenken bei der HC-Therapie) sowie ein septischer Schock. Die HC-Infusion musste innerhalb von 24 Std. seit Erfüllen von mindestens einem Einschlusskriterium begonnen worden sein (200 mg/d kontinuierlich i.v. über 4 Tage) oder eine Plazebo-Infusion (1:1 randomisiert). Darüber hinaus war jedem Zentrum die Auswahl der Antibiotika und die Art der Standardtherapie überlassen worden. Eine mikrobiologische Untersuchung war nicht Pflicht. Nach 4 Tagen konnte, dem Zustand des Patienten entsprechend, entschieden werden, ob die Therapie auf 8 oder 14 Tage in ausschleichender Dosierung ausgedehnt oder wegen klinischer Besserung bereits beendet werden sollte. Der primäre Endpunkt war Tod jeglicher Ursache bis Tag 28. Sekundäre Endpunkte waren Tod jeglicher Ursache bis Tag 90, Dauer des Intensiv-Aufenthalts, Intubation im Verlauf oder Eskalation der Beatmungshilfe im Vergleich zur Situation bei Studieneinschluss, Einleitung einer Vasopressor-Therapie bis Tag 28, die Zahl beatmungsfreier sowie Vasopressor-freier Tage bis Tag 28, die Veränderung des Quotienten paO2:FiO2 sowie des „Sequential Organ Failure Assessment“ (SOFA)-Scores ([10]), der 7 wichtige Organfunktionen abbildet, am Tag 7 und die Lebensqualität auf einer 36-Punkte-„Short-Form Health Survey“-Skala ([11]).

Die Studie wurde aus öffentlichen Mitteln des französischen Gesundheitsministeriums finanziert und Ende 2015 begonnen. Sie war wegen der COVID-19-Pandemie unterbrochen und nach der geplanten Interimsanalyse im Juli 2021 beendet worden.

Ergebnisse: Von 5.948 gescreenten Patienten mit sCAP wurden 5.148 ausgeschlossen, darunter 1.200 wegen eines septischen Schocks. 800 Patienten wurden randomisiert, 795 konnten ausgewertet werden. Davon hatten 400 HC und 395 Plazebo erhalten; das mittlere Alter betrug 67 Jahre, 70% waren Männer; etwa ein Viertel hatte eine COPD, gut 20% Diabetes mellitus und knapp 7% waren immunsupprimiert. Fast die Hälfte hatte einen PSI von > 130 als Ausdruck der sehr schweren Erkrankung. Gut 20% waren bereits zu Beginn invasiv beatmet. Am Tag 28 waren unter HC 25 der 400 Patienten gestorben (6,2%; 95%-Konfidenzintervall = CI: 3,9-8,6), demgegenüber 47 von 395 unter Plazebo (11,9%; CI: 8,7-15,1; absolute Differenz -5,6 Prozentpunkte; CI: -9,6 bis -1,7; p = 0,006). Bis zum Tag 90 stieg die Letalität auf 9,3% vs. 14,7%. Auch bei allen weiteren Endpunkten waren die Ergebnisse in der Verumgruppe besser als unter Plazebo: Unter HC wurden 40 von 222 (18%) im Verlauf intubiert gegenüber 65 von 220 (29,5%) unter Plazebo (Hazard Ratio = HR: 0,59; CI: 0,40-0,86). Kreislaufunterstützende Vasopressoren mussten bis zum Tag 28 bei 55 von 359 Patienten (15,3%) unter HC eingesetzt werden und bei 86 von 344 (25%) unter Plazebo (HR: 0,59; CI: 0,43-0,82). Unerwünschte Ereignisse (Sicherheitsendpunkt), wie beispielsweise im Krankenhaus erworbene Infektionen, waren in beiden Kollektiven annähernd gleich (9,8% vs. 11,1%); gastrointestinale Blutungen waren in beiden Gruppen sehr selten. Unter HC war der Bedarf an Insulin in der ersten Woche höher als in der Plazebo-Gruppe (35 vs. 20 I.E./d).

Die Autoren und zwei Kommentatoren ([12]) diskutieren, warum in dieser Studie – anders als in vorherigen, in denen Patienten mit Pneumonie mit HC oder äquivalenten Dosen Methylprednisolon (40 mg/d) behandelt worden waren ([7][13]) – eine Reduktion der Letalität unter HC im Vergleich mit Plazebo gefunden wurde. Lediglich eine sehr kleine Studie hatte zuvor einen geringen Überlebensvorteil durch HC nachweisen können ([14]). Ob Faktoren, wie eine stärkere mineralokortikoide Potenz von HC im Vergleich zu Methylprednisolon eine Rolle spielt, ist unklar. Patienten mit initial septischem Schock, die möglicherweise von einer frühen HC-Therapie hätten profitieren und das positive Ergebnis verfälschen können, waren sicher ausgeschlossen worden. Der Anteil an Frauen war mit 30% in dieser Studie höher als in anderen Untersuchungen. Andererseits konnten in der großen ADRENAL-Studie ([15]) mit fast 40% Frauen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede unter HC im septischen Schock gefunden werden. Der frühzeitige Einsatz von HC könnte sich aber positiv ausgewirkt haben: im Median war die Therapie < 15 Std. begonnen worden, in der US-amerikanischen Studie ([7]) < 96 Std.). Die Autoren weisen kritisch auf die niedrigere als erwartete Sterblichkeit in der Plazebo-Gruppe am Tag 28 hin (12% statt 27%), obwohl in beiden Gruppen gleichermaßen eine sehr schwere Erkrankung vorlag, wie mittels PSI und dem PaO2:FiO2-Quotienten zu Beginn ermittelt wurde. Ein Erregernachweis lag nur bei 45% der Teilnehmer vor. Selbst in Studien mit exzessiver Kultivierung gelingt dies bei bis zu 62% der Patienten nicht ([16]).

Fazit

Die Diskussion um möglicherweise günstige Auswirkungen einer Therapie mit Hydrokortison bei schwerer, intensivpflichtiger ambulant erworbener Pneumonie hat Aufwind bekommen. Eine sorgfältige randomisierte kontrollierte Multicenter-Studie aus Frankreich fand in einem repräsentativen Kollektiv bei früh einsetzender (< 24 Std.) Therapie mit 200 mg Hydrokortison/d i.v. über mindestens 4 Tage eine geringere Letalität nach 28 Tagen, verglichen mit Plazebo. Hydrokortison war genauso sicher wie Plazebo. Patienten mit initial septischem Schock, die von HC möglicherweise hätten profitieren können, waren ausgeschlossen worden.

Literatur

  1. Ewig, S., et al.: Thorax 2009, 64, 1062. (Link zur Quelle)
  2. Cilloniz, C., et al.: Eur. Respir. J. 2018, 51, 1702215. (Link zur Quelle)
  3. Briel, M., et al.: Clin. Infect. Dis. 2018, 66, 346. (Link zur Quelle)
  4. Stern, A., et al.: Cochrane Database Dyst. Rev. 2017, 12, CD007720. (Link zur Quelle)
  5. https://register.awmf.org/assets/guidelines/020-020m_S3_Behandlung-von-erwachsenen-Patienten-mit-ambulant-erworbener-Pneumonie__2021-05.pdf (Link zur Quelle)
  6. https://register.awmf.org/assets/guidelines/079-001l_S3_Sepsis-Praevention-Diagnose-Therapie-Nachsorge_2020-03_01.pdf (Link zur Quelle)
  7. Meduri, G.U., et al. (ESCAPe = Extended Steroid in CAP(e)): Intensive Care Med. 2022, 48, 1009. (Link zur Quelle)
  8. Dequin, P.F., et al. (CAPE COD = Community-Acquired Pneumonia: Evaluation of COrticosteroiDs): N. Engl. J. Med. 2023, 388,193. (Link zur Quelle)
  9. Fine, M.J., et al. (PORT = Pneumonia patient Outcomes Research Team): N. Engl. J. Med. 1997, 336, 243. (Link zur Quelle)
  10. 10. Vincent, J.-L., et al. (SOFA = Sepsis-related Organ Failure Assessment): Intensive Care Med. 1996, 22, 707. (Link zur Quelle)
  11. Ware, J.E., Sherbourne, C.D.: Med. Care 1992, 30, 473. (Link zur Quelle)
  12. Metlay, J.P., und Waterer, G.W.: N. Engl. J. Med. 2023, 388, 21. (Link zur Quelle)
  13. Wittermans, E., et al. (Santeon-CAP = Dexamethasone in Community-Acquired Pneumonia): Eur. Respir. J. 2021, 58, 2002535. (Link zur Quelle)
  14. Confalonieri, M., et al.: Am. J. Respir. Crit. Care Med. 2005, 171, 242. (Link zur Quelle)
  15. Thompson, K., et al. (ADRENAL = ADjunctive coRticosteroid trEatment iN criticAlly ilL patients with septic shock: Intensive Care Med. 2021, 47, 246., Vgl. AMB 2020, 54, 81. AMB 2019, 53, 86. AMB 2018, 52, 25. (Link zur Quelle)
  16. Jain, S., et al. (CDC EPIC = Etiology of Pneumonia In the Community): N. Engl. J. Med. 2015, 373, 415. (Link zur Quelle)