Am 22. März 2004 teilte die U.S. Food and Drug Administration auf ihrer Web-Site mit (4), daß sie die Hersteller von Antidepressiva aufgefordert hat, einen Warnhinweis in die Patienteninformation aufzunehmen: Unter der Therapie könne sich die Depression verschlimmern, bis hin zur Suizidalität. Die betroffenen Medikamente sind: Fluoxetin (z.B. Fluctin®), Sertralin (z.B. Gladem®, Zoloft®), Paroxetin (z.B. Seroxat®), Fluvoxamin (z.B. Fevarin®), Citalopram (z.B. Sepram®, Serital®), Bupropion (Zyban®), Mirtazapin (Remergil®) und einige weitere, die in Deutschland nicht im Handel sind. Die Ärzte werden aufgefordert, bei rascher Veränderung der depressiven Symptomatik immer daran zu denken, daß dies auch Folge der Therapie sein kann. Patienten, bei denen sich unter der Therapie die Symptomatik deutlich ändert, sind besonders von Suizidalität bedroht. In solchen Fällen sollte die Therapie dann nicht brüsk abgesetzt, sondern „ausgeschlichen” werden.
Besonders verantwortungsvoll ist die Therapie von manisch-depressiven Patienten mit diesen Substanzen, weil der spontane Verlauf der Erkrankung oft nur schwer abgrenzbar ist von der UAW. Deswegen muß in solchen Fällen meist eine Zweifachtherapie empfohlen werden. Für die Behandlung von Kindern ist nur Fluoxetin in den USA zugelassen. Die Behandlung von Kindern mit anderen Antidepressiva wird von der FDA weiter untersucht; mit Ergebnissen ist im Laufe des Sommers zu rechnen.
Die Warnhinweise wurden von einem speziell ausgewählten, unabhängigen Beratergremium erarbeitet. Eine besondere Schwierigkeit für dieses Gremium bestand darin, unerwartete Ereignisse während der Therapie als Ausdruck einer durch das Arzneimittel induzierten Suizidalität zu erkennen. Die Terminologie ist nicht gut definiert, und unrichtige Klassifizierungen sind daher programmiert. Suizidalität wird nach den Erkenntnissen des Gremiums oft nicht richtig erkannt. So wurde es z.B. als Unfall angesehen, daß sich ein behandeltes depressives Kind mit einem Bleistift in den Hals stach. Für die Auswertung der Studien mußte zunächst versucht werden, eine allgemeingültige Definition der Suizidalität zu finden. Es ist sicher sehr positiv, daß sich endlich eine hochkarätige Expertengruppe mit diesem Thema beschäftigt. Man wird die Warnhinweise der FDA sehr ernst nehmen müssen, d.h. alle Indikationen für eine antidepressive Therapie sind kritisch zu stellen und aufmerksam zu begleiten. Ob sich z.B. die Empfehlung einiger Gynäkologen durchsetzt, Patientinnen mit „Depressivität” in der Postmenopause mit Antidepressiva anstatt mit Hormonen zu behandeln, muß vor diesem Hintergrund bezweifelt werden. Auf die Warnhinweise der FDA in den USA weist auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hin (5).
Beim Treffen der europäischen Mitglieder der International Society of Drug Bulletins (ISDB) im November 2003 in Berlin (6) berichteten A. Herxheimer und C. Medawar über Nachuntersuchungen der UAW-Meldungen von Antidepressiva in Großbritannien. Auch sie stellten fest, daß die Ärzte bei ihren Meldungen keine klaren Definitionen von Erkrankungen und Symptomen verwenden, so daß die Übertragung in eine datenbanktaugliche Terminologie nicht gelingt und UAW als solche nicht erkannt und so in den offiziellen Statistiken nicht erfaßt werden können. Die Häufigkeit von Suizidalität und Suizid wird unterschätzt. Andererseits gibt es in Großbritannien Strafverfahren, in denen untersucht wird, ob die plötzliche Aggressivität eines Täters mit seiner antidepressiven Therapie in Zusammenhang stand (9).
Jetzt gibt es in Deutschland eine wichtige Änderung des Zulassungsstatus des Antidepressivums Paroxetin (1). Es ist neuerdings bei Kindern und Jugendlichen mit depressiven Erkrankungen kontraindiziert. Die Hersteller haben einen entsprechenden Vermerk in die Fach- und Gebrauchsinformation aufgenommen. In einer Metaanalyse der britischen Arzneimittelbehörde (3) hatte sich ergeben, daß bei der Anwendung von Paroxetin bei Kindern und Jugendlichen die Suizidalität im Vergleich zu Plazebo erhöht war, eine antidepressive Wirksamkeit insgesamt nicht nachzuweisen war und häufig psychische Phänomene (emotionale Labilität, selbstschädigendes Verhalten, Suizidversuch) beim Absetzen auftraten, auch wenn die Paroxetin-Behandlung ausschleichend beendet wurde.
Die neuen Erkenntnisse zu möglicherweise erhöhter Suizidalität unter Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI), auch bei Erwachsenen, waren Anlaß, in der EU ein Risikobewertungsverfahren einzuleiten, in dem die Indikationen von Paroxetin in allen Altersgruppen und die möglicherweise erhöhte Suizidalität sowie die beschriebenen Absetzphänomene einer Nutzen/Schaden-Bewertung unterzogen wurden. Die Einschränkungen für die Verordnung von Paroxetin wurden im Wesentlichen bestätigt (10).
Fazit: Ärzte, die SSRI, speziell Paroxetin, verordnen, sollten sorgfältig auf UAW achten und sie dem BfArM bzw. der AkdÄ auf den Berichtsbögen mitteilen, die dem Ärzteblatt regelmäßig beiliegen. Kritische Stimmen, die zur Vorsicht mahnen, haben die ausufernde Therapie mit Antidepressiva immer begleitet (2, 7, 8). Sie bestätigen sich offenbar jetzt.
Literatur
- www.bfarm.de/de/Arzneimittel/am_sicher/am_sicher_asi/index.php
- SSRIs: Suicide risk and withdrawal: Lancet 2003, 361, 1999.
- http://medicines.mhra.gov.uk
- http://www.fda.gov/cder/drug/antidepressants/classificationProject.htm
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Newsletter 2004-053.
- Paroxetin-withdrawal effects and suicidality. Lessons from the yellow cards: Pharmakovigilanz-Workshop. Berlin 2003. S.a. AMB 2003, 37, 95b.
- Müller-Oerlinghausen, B., und Berghöfer, A.: J. Clin. Psychiatry 1999, 60 Suppl.2, 94.
- Medawar, C., Herxheimer, A., et al.: Int. J. of risk & safety in medicine 2002, 15, 161.
- Herxheimer, A.: persönliche Mitteilung.
- EMEA Press release 22.4.2004.