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Wirksamkeit und Sicherheit niedrigdosierter Azetylsalizylsäure bei Polycythaemia vera

Bei etwa 40% der Patienten mit Polycythaemia vera (PV) treten Thrombosen auf, häufig bereits vor oder zum Zeitpunkt der Diagnose (1). Betroffen hiervon sind vor allen Dingen periphere Arteriolen sowie zerebrale und abdominelle Gefäße. Arterielle Thromben in kleinen Gefäßen führen zu charakteristischen Beschwerden der PV, wie brennende Schmerzen und Erytheme der Hände bzw. Füße (Erythromelalgie) sowie okuläre Migräne. Der Stellenwert von Azetylsalizylsäure (ASS) zur Primärprophylaxe thromboembolischer Komplikationen ist umstritten (2). Während amerikanische Hämatologen eher eine durch ASS induzierte Blutungsneigung fürchten (3, s.a. 5), wird von europäischen Studiengruppen auf Grund der bei PV verstärkten, durch ASS unterdrückbaren Synthese von Thromboxan eine prophylaktische Gabe empfohlen. Die „European Collaboration on Low-Dose Aspirin in Polycythemia Vera” (ECLAP) hat in einer multizentrischen doppeltblinden, plazebokontrollierten Studie bei 518 Patienten mit PV die Wirksamkeit und Sicherheit einer niedrigdosierten Gabe von ASS (100 mg/d) prospektiv untersucht (4). Patienten wurden eingeschlossen, wenn bei ihnen keine eindeutigen Indikationen oder Kontraindikationen für ASS vorlagen. Alle Patienten waren vorbehandelt, und während der Beobachtungsdauer lagen Hämatokrit mit ≤ 0,48 (Median: 0,46) und Thrombozyten mit Werten ≤ 460 x 109/l (Median: 321 x 109/l) bei den meisten Patienten nahe bei den angestrebten Zielwerten. Kombinierte primäre Endpunkte der Studie zur Beurteilung der Wirksamkeit von ASS umfaßten einerseits die kumulative Rate tödlich verlaufender Myokardinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskulär bedingter Todesfälle sowie andererseits die kumulative Rate nicht-tödlich verlaufender Myokardinfarkte, Schlaganfälle, von Lungenembolien, venöser Thrombosen und kardiovaskulär bedingter Todesfälle. Sekundäre Endpunkte waren u.a. tödlich oder nicht-tödlich verlaufende zerebrovaskuläre Ereignisse sowie nicht schwerwiegende thrombotische Komplikationen (z.B. Erythromelalgie). Die Auswertung erfolgte entsprechend dem „Intention-to-treat”-Prinzip, und die mediane Beobachtungsdauer betrug ca. 3 Jahre. Leider wurde die Studie nach einer geplanten Zwischenanalyse, die eine zu geringe Rekrutierung (ca. 25% der ursprünglich geplanten Patientenzahl) ergab, vorzeitig beendet. Niedrig dosierte ASS führte hinsichtlich der beiden kombinierten primären Endpunkte der Studie zu einer Risikoreduktion von etwa 60% gegenüber Plazebo. Aufgrund der geringen Zahl an Ereignissen unterschieden sich die Behandlungs- und Kontrollgruppe nur im zweiten kombinierten Endpunkt (kumulative Rate nicht-tödlich verlaufender Myokardinfarkte, Schlaganfälle, von Lungenembolien, venöser Thrombosen und kardiovaskulär-bedingter Todesfälle) signifikant. Schwerwiegende zerebrovaskuläre Ereignisse (3 versus 10; p = 0,08), Thrombosen (17 versus 41; p = 0,003) und thrombotische Komplikationen wie transiente ischämische Attacken oder Erythromelalgie (10 versus 22; p = 0,049) traten unter ASS z.T. signifikant seltener auf als unter Plazebo. Blutungen waren erwartungsgemäß unter ASS häufiger (23 versus 14; p = 0,08), betrafen jedoch fast ausschließlich kleinere Komplikationen wie Epistaxis oder klinisch nicht bedrohliche gastrointestinale Blutungen. In einem begleitenden, sehr lesenswerten Artikel unter dem Titel („Täglich Aspirin – nur die halbe Antwort”) werden die pathophysiologischen Mechanismen diskutiert, die zu Thrombosen bei Patienten mit PV führen können (1). Gleichzeitig hinterfragt J. Spivak die klinische Relevanz dieser Studie, da die Patienten intensiv vorbehandelt waren und die wesentliche Aussage – die prophylaktische Gabe niedrigdosierter ASS ist wirksam und sicher hinsichtlich Vermeidung thrombotischer Komplikationen – nur für Patienten mit PV und Hämatokrit- bzw. Thrombozytenwerten nahe dem Normbereich gilt.

Fazit: Niedrig dosierte ASS (100 mg/d) vermeidet bei vorbehandelten Patienten mit PV und Hämatokrit bzw. Thrombozyten im Bereich der heute empfohlenen Werte (Hämatokrit: Männer < 0,45, Frauen < 0,42 bzw. Thrombozyten: < 400 x 109/l) thrombotische Komplikationen. Schwerwiegende Blutungen treten unter ASS nicht signifikant häufiger auf als unter Plazebo. Bei Patienten mit PV ohne Kontraindikationen kann heute (auch auf Grund eigener Erfahrungen) niedrigdosierte ASS zur Thromboseprophylaxe empfohlen werden.

Literatur

  1. Spivak, J.: N. Engl. J. Med. 2004, 350, 99.
  2. Spivak, J.L.: Br. J. Haematol. 2002, 116, 243.
  3. Streiff, M.B., et al. (PVSG = Polycythemia Vera Study Group): Blood 2002, 99, 1144.
  4. Landolfi, R., et al. (ECLAP = European Collaboration on Low-dose Aspirin in Polycythemia vera): N. Engl. J. Med. 2004, 350, 114.
  5. AMB 2002, 36, 60a.