Artikel herunterladen

Zur Bedeutung von Zielvorgaben bei der Cholesterinsenkung [CME]

Wir haben schon häufiger bemängelt, dass es bei dem im ärztlichen Alltag so wichtigen Thema „kardiovaskuläre Prävention“ kaum Studien zur Senkung des Cholesterins gibt, die eine zielwertgesteuerte Behandlung mit einem Lipidsenker („Treat to Target“ = TtoT) mit einer Behandlung mit festgelegter Dosis vergleichen [1][2]. Die wenigen Ausnahmen sind die TST- [3] sowie die EMPATHY-Studie [4] aus den Jahren 2020 bzw. 2018. In der TST-Studie erhielten die Patienten entweder ein Statin, Ezetimib oder beides, in der EMPATHY-Studie eine Monotherapie mit verschiedenen Statinen.

In TST wurden 2.860 Patienten nach einem Schlaganfall auf zwei LDL-Cholesterin (LDL-C)-Zielwerte hin behandelt: 70 bzw. 90-110 mg/dl. Dabei zeigte sich, dass diese Patienten von den niedrigeren LDL-C-Zielvorgaben profitieren können: der primäre kombinierte Endpunkt trat bei 8,5% bzw. 10,9% der Patienten auf (Relatives Risiko = RR: 0,78; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,61-0,98; p = 0,04). Allerdings erreichte nur jeder 2. Patient den niedrigen Zielwert, und bei einem weiteren Drittel wurde die Behandlung vorzeitig abgebrochen (vgl. [5]). In EMPATHY wurde bei > 5.100 Patienten mit Hypercholesterinämie und diabetischer Retinopathie ein unter der Statin-Therapie erreichtes LDL-C < 70 mg/dl mit 100-120 mg/dl verglichen. Dabei wurde nach 37 Monaten klinisch kein signifikanter Vorteil gefunden: HR: 0,84; CI: 0,67-1,07 (vgl. [6]). Für die größte Gruppe mit Atherosklerose, nämlich Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK), gab es bisher unverständlicherweise keine solchen Studien.

Sowohl für TtoT als auch für eine Behandlung mit fixer Statin-Dosis gibt es Befürworter und gewichtige Opponenten. Während die nordamerikanischen, britischen und hausärztlichen Fachgesellschaften eher den pragmatischen Ansatz einer fixen Dosis verfolgen (mittlere oder höchste tolerierte Dosis), empfehlen die Europäische kardiologische Gesellschaft (ESC) und die Europäische Atherosklerosegesellschaft (EAS) eine sehr komplexe, Zielwert-gesteuerte Strategie mit aktuell drei verschiedenen Zielvorgaben: LDL-C < 100, < 70, < 55 mg/dl, je nach errechnetem Grundrisiko [7]. Dabei wurden weder der verwendete Risikorechner (SCORE2 bzw. SCORE-OP) noch die vorgeschlagenen Interventionsschwellen noch die Zielwerte in Studien prospektiv evaluiert, und der Zweck scheint hier auch viele weitere Arzneimittel zu heiligen.

Es fehlt also nicht an Empfehlungen, sondern in erster Linie an Evidenz. Dies kritisiert auch der kürzlich publizierte Leitfaden „Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse“ der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft [2].

Diese Wissenslücke wird nun ein wenig gefüllt durch eine offene, randomisierte kontrollierte Studie aus Südkorea mit dem Akronym LODESTAR [8]. Die Studie wurde von zwei pharmazeutischen Unternehmen und dem südkoreanischen „Cardiovascular Research Center“ finanziert. Eingeschlossen wurden zwischen 2016-2019 insgesamt 4.400 Patienten mit bekannter KHK. Von diesen hatten 81% schon ein kardiovaskuläres Ereignis erlebt (= Sekundärprävention nach Koronarintervention, Bypass-OP, akutes Koronarsyndrom oder Schlaganfall) und bei 19% wurde eine bis dahin asymptomatische KHK im Rahmen eines Screenings diagnostiziert (= Primärprävention). Das mittlere Alter betrug 65 Jahre, und nur 28% waren Frauen. Vorbehandelt mit einem Statin waren 84% der Studienpatienten; von ihnen hatten 25% eine hohe, 57% eine mittlere und 2% eine geringe Dosis und 11% Ezetimib. Der Ausgangs-LDL-C-Wert betrug im Mittel 86 mg/dl, das Non-HDL-C 110 mg/dl.

Die Patienten wurden in zwei Gruppen gelost: 1. TtoT mit einem LDL-C-Ziel zwischen 50 und 70 mg/dl, beginnend mit einer moderaten bzw. mit der vorbestehenden Statin-Dosis und ggf. nachfolgender Dosisanpassung oder 2. Hochdosis-Statin-Behandlung mit einer fixen Dosis von 20 mg/d Rosuvastatin oder 40 mg/d Atorvastatin (= Kontrollgruppe). Die Behandlung erfolgte offen. Der primäre Studienendpunkt war eine Kombination aus Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Koronarintervention innerhalb von 3 Jahren.

Die Studienhypothese war, dass bei einer TtoT-Strategie seltener eine Hochdosis-Statin-Behandlung erforderlich ist und sich somit Vorteile für die Patienten ergeben, z.B. hinsichtlich von Behandlungsverträglichkeit und -sicherheit. Entsprechend wurde LODESTAR als Nichtunterlegenheitsstudie konzipiert.

Ergebnisse: Insgesamt 4.341 Patienten (98,7%) beendeten die 3-jährige Nachbeobachtung. In der TtoT-Gruppe blieb die Statin-Dosis bei 73% der Patienten unverändert, wurde bei 17% erhöht und bei 9% reduziert. Nach 3 Jahren nahmen 56% eine hohe Statin-Dosis ein und 20% zusätzlich Ezetimib. Letzteres war im Rahmen der Studie zwar erlaubt, aber kein empfohlener Teil des therapeutischen Managements. In der Kontrollgruppe-Gruppe nahmen nach 3 Jahren 89% eine hohe Statin-Dosis ein und 11% Ezetimib. Die übrige kardiovaskuläre Medikation war in den beiden Behandlungsarmen etwa gleich.

In der TtoT-Gruppe wurden die LDL-C-Zielwerte über die gesamte Studiendauer von < 60% der Teilnehmer erreicht. Der durchschnittliche LDL-C-Spiegel betrug nach 3 Jahren 69,1 ± 17,8 mg/dl. In der Kontrollgruppe war der Wert nahezu identisch (68,4 ± 20,1 mg/dl). Auch hinsichtlich des kombinierten Studienendpunkts waren die Ergebnisse nicht signifikant unterschiedlich: 177 Patienten (8,1%) in der TtoT-Gruppe und 190 (8,7%) in der Kontrollgruppe erreichten diesen (p <  0,001 für Nichtunterlegenheit).

Es gab 54 Todesfälle in beiden Gruppen (jeweils 2,5%), 1,6% Myokardinfarkte bei TtoT bzw. 1,2% in der Kontrollgruppe sowie bei 0,8% bzw. 1,3% Schlaganfälle. Diese Unterschiede waren alle nicht signifikant und auch konsistent in den untersuchten Subgruppen, einschließlich der nach Protokoll behandelten Patienten.

Hinsichtlich der Behandlungssicherheit waren signifikante Vorteile für die TtoT-Strategie feststellbar: der kombinierte Sicherheitsendpunkt (neu aufgetretener Diabetes mellitus, Aminotransferase- oder Kreatinkinase-Erhöhung oder terminale Niereninsuffizienz) trat seltener auf als in der Kontrollgruppe (6,1% vs. 8,2%; 95 %-Konfidenzintervall = CI: -3,6 bis -0,5; p =  0,009), wobei dieser Unterschied in erster Linie durch den häufiger diagnostizierten Diabetes mellitus in der Hochdosisgruppe erreicht wurde (5,6% vs. 7,0%). Die Statin-Behandlung wurde von 92 Patienten in der TtoT- bzw. von 94 in der Kontrollgruppe (jeweils 4,2%) abgesetzt, davon bei 31 bzw. 46 wegen Nebenwirkungen.

Diskussion: Aus Registerstudien ist bekannt, dass vorgegebene LDL-C-Zielwerte nur von einem Teil der Patienten erreicht werden und dass diese Quote umso geringer ist, je ambitionierter die Vorgaben sind (vgl. [9]). Bemerkenswert ist, dass auch unter den Bedingungen einer Studie < 60% der Patienten den vorgegebenen LDL-C-Zielwert von 50-70mg/dl erreichen. Die Autoren nennen hierfür drei mögliche Gründe: das Fehlen einer entsprechenden Empfehlung im Studienprotokoll, das Fehlen einer entsprechenden Empfehlung in den koreanischen Behandlungsleitlinien zum Zeitpunkt der Studiendurchführung sowie eine generelle Zurückhaltung der Patienten gegenüber einer cholesterinsenkenden Mehrfach- und Intensivtherapie.

Ob das Problem der schlechten Umsetzung von Zielvorgaben durch PCSK9-Hemmer oder andere neuere Cholesterinsenker besser in den Griff zu bekommen ist, bleibt offen. Mit diesen Medikamenten lassen sich die LDL-C-Werte ja teilweise sehr effektiv senken, nur sind sie teilweise sehr teuer, haben hohe Verordnungshürden und es fehlt der Nachweis, dass sie das Leben verlängern [10]. Hinzu kommt nun auch, dass mit der LODESTAR-Studie kein Nachweis erbracht werden konnte, dass bei Patienten mit KHK die zielwertgesteuerte Statin-Behandlung der Behandlung mit einer festgelegten Statin-Dosis überlegen ist.

Fazit

In einer offenen, randomisierten Studie mit 4.000 Personen mit koronarer Herzkrankheit (81% in der Sekundär- und 19% in der Primärprävention) war eine cholesterinsenkende Statin-Behandlung mit adaptiver Dosierung auf einen LDL-C-Zielwert von 50-70 mg/dl („Treat to Target“) gegenüber einer fixen Hochdosisbehandlung („Fire and Forget“) nicht unterlegen. Es gibt Hinweise auf eine etwas bessere Langzeitverträglichkeit, aber weiterhin keine Beweise für einen Vorteil von „Treat to Target“. Auch in dieser Studie erwies sich die Umsetzung als unbefriedigend, denn weniger als 60% erreichten die Zielwerte. Andere Lipidsenker wurden in dieser Studie nicht untersucht.

Literatur

  1. AMB 2022, 56, 65. AMB 2023, 57, 27. (Link zur Quelle)
  2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Leitfaden „Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse“, 1. Auflage (März 2023): (Link zur Quelle)
  3. Amarenco, P., et al. (TST = Treat Stroke to Target): N. Engl. J. Med. 2020, 382, 9 (Link zur Quelle)
  4. Itho, H., et al. (EMPATHY = The standard versus intEnsive statin therapy for hypercholesteroleMic Patients with diAbetic retinopaTHY): Diabetes Care 2018, 41, 1275. (Link zur Quelle)
  5. AMB 2020, 54, 5. (Link zur Quelle)
  6. AMB 2022, 56, 65. (Link zur Quelle)
  7. Mach, F., et al.: Eur. Heart J. 2020, 41, 111. (Link zur Quelle)
  8. Hong, S.-J., et al. (LODESTAR = Low-Density Lipoprotein Cholesterol-targeting Statin Therapy Versus the Intensity-based Statin Therapy in Patients With Coronary Artery Disease): JAMA 2023, 329, 1078. (Link zur Quelle)
  9. AMB 2020, 54, 65 (Link zur Quelle)
  10. 10. AMB 2022, 56, 33. (Link zur Quelle)