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Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel bei Patienten

In Europa ist es (noch) verboten, dass die Pharmaindustrie direkt Patienten über rezeptpflichtige Arzneimittel „informiert”. Die „Informationen” der Industrie sind, wie wir wissen, meistens Werbung und zum Teil gezielte Desinformationen, die der Umsatzsteigerung dienen sollen. Die Veranstaltung zum vierzigjährigen Jubiläum des ARZNEIMITTELBRIEFS war den raffinierten Werbemethoden gewidmet, mit denen die Ärzte umgarnt werden, um neue Medikamente zu verordnen (1). Neue Medikamente sind aber meist teurer und die Langzeitrisiken sind nicht bekannt. Patienten wissen das nicht. Sie sind durch ihre Krankheit verunsichert, unerfahren im Umgang mit Pharmawerbung und daher besonders gutgläubig. Sie werden also von ihrem Arzt erwarten, dass er das neue Medikament verordnet, von dem sie selbst durch direkte Werbung „überzeugt” wurden. Nachweislich nimmt bei Aufhebung des bestehenden Werbeverbots der Umsatz in diesem Segment zu (2).

Vor etwa fünf Jahren wurde, unterstützt von der Industrielobby, im europäischen Parlament ein Antrag eingebracht, der das Werbeverbot lockern oder gar aufheben sollte. Dieser Antrag wurde mit 494 gegen 42 Stimmen abgelehnt. Nun gibt es wieder parlamentarische Aktivitäten, die erreichen sollen, dass die „Informationen” der Industrie direkt an die Patienten gegeben werden dürfen. In einem Interview hat der Direktor derEuropean Federation of Pharmaceutical Industries, Brian Agar, die Informationspolitik auf dem Arzneimittelmarkt in Europa mit der Situation in Nordkorea verglichen: „Wir dürfen nichts sagen” (3). Leider hört man in Brüssel mehr und mehr auf die Befürworter dieser gefährlichen Informations-Werbe-Freiheit.

Anfang Mai 2007 hat daher die International Society of Drug Bulletins, der auch DER ARZNEIMITTELBRIEF angehört, zusammen mit Medicines in Europe Forum und Health Action International einen offenen Brief an die zuständigen Kommissare Günter Verheugen und Markos Kyprianou geschrieben (4). Darin wird scharf kritisiert, dass sich die Kommission in Arzneimittelangelegenheiten von einem völlig illegitimen Gremium, dem sogenannten „Pharmazeutischen Forum”, beraten lässt, in dem die Industrie mit großer Stimmenzahl vertreten ist. Das Forum beschäftigt sich z.B. mit der Vorbereitung offizieller Patienteninformationen. Es sind auch schon Probeexemplare (Diabetes Typ 2) versandt worden. Der Einfluss der Industrie wird deutlich und macht diese „Informationen” zu Werbung. So werden z.B. bei Besprechung der Glitazone die bedenklichen Nebenwirkungen nicht ausreichend dargestellt. Der offene Brief stellt fest, es sei nicht Aufgabe der Politik, sich in undurchsichtiger Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie um Patienteninformation zu kümmern.

Am 14. Juni 2007 gab es erneut Grund zur Empörung, die sich in einem zweiten offenen Brief artikulierte (5). Die Kommission hatte sich – wieder beraten vom „Pharmazeutischen Forum” – nach einer (gezielt?) stümperhaften Recherche zur Situation der Patienteninformation in Europa geäußert. Viele, vor allem die unabhängigen Informationsquellen wurden nicht genannt, z.B. die ISDB-Bulletins, die sich auch an Patienten wenden, wie unser Informationsblatt Gute Pillen – Schlechte Pillen. Der Kommissionsbericht kam kurz gefasst zu dem Ergebnis: Patienten haben ein Recht auf Information, aber Europa sei in dieser Beziehung eine Wüste; nur die pharmazeutische Industrie könne Abhilfe schaffen.

Der offene Brief stellt dazu fest, dass ein solcher methodisch intransparenter Bericht die öffentliche Meinung desinformieren könne und nicht zur Grundlage einer Gesetzgebung gemacht werden dürfe. Patienten hätten zwar ein Recht auf Information, diese müsse aber ausgewogen und vergleichend sein. Dies liege aber nicht im Interesse der Industrie, sondern sei die Pflicht der Behörden, die die Interessen der Patienten zu vertreten hätten. Zur Zeit werde durch Public private partnership die Rolle der Akteure geschickt vertuscht. Das müsse ein Ende haben. Nach der geltenden Gesetzeslage dürfen offizielle Ratschläge zu Gesundheit und Krankheit nur gegeben werden, wenn dabei Medizinprodukte (dazu gehören auch Arzneimittel) nicht angesprochen sind. Dabei solle es bleiben.

In den USA ist die „Information” der Patienten über rezeptpflichtige Medikamente seit 1997 möglich. Seither sind die Ausgaben der Industrie für Werbung bei Patienten von 1,1 auf 4,2 Milliarden $ (2005) gestiegen. Zum Vergleich: für Pharmareferenten und Zeitschriftenwerbung wurden 3,9 bzw. 7,2 Milliarden, für Ärztemuster 6,0 bzw. 15,9 Milliarden, für Forschung und Entwicklung 15,5 bzw. 31,4 Milliarden $ ausgegeben (2). Die Werbung beim Patienten und die Möglichkeit der Ärzte, Arzneimittel-Muster abzugeben, wird also für außerordentlich wirksam gehalten. Das sieht man an den Steigerungsraten.

Immer wenn ein neues Medikament, das zuvor intensiv direkt bei Patienten beworben worden war, wegen gefährlicher Nebenwirkungen zurückgenommen werden musste, kam allerdings die direkte Werbung ins Gerede. Für Vioxx® war z.B. mit dem Bild einer eleganten Dame geworben worden, die trotz ihrer Arthrose anmutig mit Schlittschuhen übers Eis glitt. Nach der Rücknahme wusste man: die Werbung hatte viele Patienten auch zu Schlaganfall und Herzinfarkt verführt (6).

Zur Zeit gibt es einen neuen Fall. Ende März hat die FDA veranlasst, dass der Hersteller das Präparat Zelnorm® (Tegaserod) vom Markt nimmt (7). Es handelt sich um einen Serotoninrezeptor-Agonisten, der 2002 von der FDA zur Behandlung des irritablen Kolons zugelassen worden war (nicht von der europäischen EMEA). Nun hat sich herausgestellt, dass schwerwiegende Komplikationen (Herzinfarkt, Angina pectoris, Schlaganfall) zwar selten (0,1%), aber häufiger als bei Plazebo (0,01%) auftreten, zu häufig für die Behandlung einer gutartigen Krankheit. Für dieses Medikament war mit dem Bild einer jungen Frau geworben worden, die eine Tätowierung auf ihrem Bauch zeigt: ”I feel better”. Die Werbung war erfolgreich. 2005 gab es in den USA 2,1 Mio. Verordnungen von Zelnorm® (6).

So ist in den USA die Diskussion wieder angestoßen worden, ob neue Arzneimittel ohne Auflagen verkauft und beworben werden dürfen, und es gibt Bestrebungen, die Werbung für Arzneimittel bei Patienten wieder einzuschränken. In Europa denkt man dagegen darüber nach, das Werbeverbot zu lockern. DER ARZNEIMITTELBRIEF und seine Leser wissen, dass die Information der Hersteller von Arzneimitteln immer zum Teil Werbung ist, die nicht der Gesundheit dient. Daher muss auf allen Ebenen versucht werden, die industriefreundlichen, gesundheitsschädlichen Aktivitäten der europäischen Kommissare Verheugen und Kyprianou zu unterbinden. Die Gesundheit der Bevölkerung ist wichtiger als der wirtschaftliche Erfolg im internationalen Wettbewerb der Firmen. Mit unseren Beiträgen unterstützen wir die Kollegen, die diesen Gedanken in Brüssel Gehör verschaffen. Können Sie Ihren Europaabgeordneten informieren?

Literatur

  1. http://www.arzneimittelbrief.de/news/index.aspx Link zur Quelle
  2. http://www.gao.gov/new.items/d0754.pdf Link zur Quelle
  3. BMJ 2007, 334, 1290.
  4. http://66.71.191.169/isdbweb/pag/misleading.php Link zur Quelle
  5. Liegt der Redaktion vor.
  6. Shuchman, M.: N. Engl. J. Med. 2007, 356, 2236. Link zur Quelle
  7. http://www.fda.gov/bbs/topics/NEWS/2007/NEW01597.html Link zur Quelle