In unserem Hauptartikel aus dem Jahr 2004 zur Osteoporose-Therapie (1) wurde festgestellt, dass die Prävention von Frakturen durch Einnahme von Kalzium oder Kalzium plus Vitamin D3 überwiegend bei Menschen über 80 Jahre ohne bisherige Frakturen sinnvoll ist und Frakturen mit einer Number needed to treat (NNT) von etwa 40 pro Behandlungsjahr verhindern kann (2, 3). Da Menschen in diesem Alter oft unzureichende Mengen Kalzium und Vitamin D zu sich nehmen und eine niedrige Knochendichte haben, wird diese Behandlung „Sekundärprävention” genannt.
Im Lancet erschien jetzt eine umfangreiche Metaanalyse aller von den australischen Autoren erreichbaren randomisierten Studien mit Personen über 50 Jahre, in denen die Auswirkung der Einnahme von Kalzium oder Kalzium plus Vitamin D3 auf die Frakturrate (alle Lokalisationen) oder auf die Knochendichte nach im Mittel 3,5 Jahren Behandlung untersucht worden war (4). Sie werteten auch unveröffentlichte und noch nicht abgeschlossene Studien und Daten des National Institute of Health (USA) und des britischen Department of Health aus, diese Daten sind jedoch nicht erkennbar in den tabellarisch erfassten Ergebnissen von insgesamt 29 Publikationen in Zeitschriften. In die Studien waren insgesamt knapp 64 000 Personen (meist nur Frauen, aber in einigen Studien Frauen und Männer ohne Differenzierung nach Geschlecht) eingeschlossen worden.
In den 17 Publikationen, die den Effekt von Kalzium mit oder ohne Vitamin D auf Frakturraten untersuchten, ergab sich im Mittel eine Reduktion um 12% im Vergleich mit Plazebo (Relatives Risiko = RR: 0,88; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,83-0,95; p = 0,0004).
Bedeutung erhält die Studie von Tang et al. (4) durch Aufschlüsselung der Ergebnisse nach verschiedenen Gesichtspunkten, die erkennen lassen, für welchen Personenkreis eine langfristige Einnahme von Kalzium mit oder ohne Vitamin D3 überhaupt sinnvoll ist. Der belgische, recht sachkundige Autor eines Kommentars (5) zu dieser Metaanalyse und wir gehen davon aus, dass die komplizierte statistische Bearbeitung der Studiendaten methodisch zulässig ist. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Effizienz einer prinzipiell wirksamen Therapie und die NNT abhängig sind vom basalen Risiko der behandelten Personen- oder Behandlungsgruppe. So zeigt auch diese Auswertung, dass eine Intervention mit Kalzium mit oder ohne Vitamin D sich prinzipiell erst oberhalb des 70. Lebensjahrs, mehr noch jenseits des 80. Lebensjahrs, lohnt (s. Tab. 1). Je besser die (in vielen Studien und in der täglichen Praxis niedrige) Compliance, umso besser das Ergebnis. Je geringer die nach der Ernährungsanamnese abgeschätzte Kalzium- und Vitamin D-Zufuhr einer Personengruppe, um so effektiver ist die Intervention. Dass der Effekt bei Personen in Altersheimen deutlich besser war als bei noch allein oder in Familien lebenden alten Menschen, führen die Autoren auf die Arzneimittelgabe durch Hilfspersonal zurück und/oder auf die geringere nutritive Kalzium- bzw. Vitamin-D-Versorgung dieser Menschen in Heimen. Wenn diese Prophylaxe verordnet wird, dann sollten täglich mindestens 1200 mg Kalzium und 800 IU Vitamin D eingenommen werden, da niedrigere Dosen nur marginal wirksam waren. Die Einnahme von Kalzium plus Vitamin D war nur geringfügig wirksamer als von Kalzium allein. Im Einzelfall ist es wahrscheinlich sinnvoll und kosteneffektiv, vor Beginn einer solchen Prophylaxe die Konzentration von 25-OH-Vitamin D im Serum zu bestimmen.
Fazit: Die Einnahme von Kalzium oder Kalzium plus Vitamin D3 zur Prophylaxe von Knochenbrüchen bei Personen ohne bisherige Frakturen oder nachgewiesene Osteoporose scheint erst ab dem 70. Lebensjahr, sehr deutlich jedoch nach dem 80. Lebensjahr, wirksam zu sein, besonders bei geringer nutritiver Versorgung mit Vitamin D und Kalzium. Eine gute Compliance und die Einnahme von täglich mindestens 1200 mg Kalzium und mindestens 800 IU Vitamin D3 sind Voraussetzung für eine Wirksamkeit dieser Prophylaxe. Vermutlich ist eine solche Prophylaxe auch nur unter diesen Voraussetzungen kosteneffektiv.
Literatur
- AMB 2004, 38, 33. Link zur Quelle
- Chapuy, M.C., et al.: N. Engl. J. Med. 1992, 327,1637. Link zur Quelle
- Dawson-Hughes, B., et al.: N. Engl. J. Med. 1997, 337, 670. Link zur Quelle
- Tang, B.M., et al. Lancet 2007, 370, 657. Link zur Quelle
- Reginster, J.Y.: Lancet 2007, 370, 632. Link zur Quelle