Zusammenfassung: Weltweit haben sich im Jahre 2005 4,1 Millionen Menschen mit dem HIV infiziert, die meisten über heterosexuelle Kontakte. Diese alarmierende Zahl unterstreicht die Bedeutung, Maßnahmen zur Eindämmung dieser Infektion zu intensivieren. Eine kostengünstige und nachhaltige Möglichkeit aus dem Bündel präventiver Interventionsstrategien ist die Zirkumzision bei Männern. Die chirurgische Entfernung der Vorhaut ist ein kleiner, komplikationsarmer Eingriff. Die Zirkumzision verringert nicht nur die Übertragung von HIV, sondern auch von Geschlechtskrankheiten, Harnwegsinfektionen bei Knaben, die Entwicklung von Peniskarzinomen sowie Zervixkarzinomen bei den Sexualpartnerinnen. Die überzeugende Datenlage gibt Anlass, die Zirkumzision des Mannes als zusätzliche Präventivmaßnahme gegen die HIV-Pandemie in Hochrisiko-Gebieten einzuführen. Die UN und die WHO entwickeln Pläne, wie dieser chirurgische Eingriff sicher und flankiert von besserer Aufklärung in diesen Regionen eingeführt werden kann.
Die Inzidenz der HIV-Neuerkrankungen steigt weiter. Auch wenn die antiretrovirale Therapie weltweit zunehmend verfügbar ist, bleibt die Verhinderung der Infektion nach wie vor das oberste Ziel, da die Erkrankung zu einer lebenslangen Abhängigkeit von Arzneimitteln führt. Die Abhängigkeit von der Pharmaindustrie ist gerade für „Dritte-Welt-Länder” ein großes Problem. Die Therapie hat zudem viele, zum Teil schwerwiegende UAW. Bei HIV-Infizierten treten trotz Therapie gehäuft Lymphome, Analkarzinome oder andere Komplikationen auf, die die Lebenserwartung verkürzen können. Die HIV-Pandemie kann zurzeit nur durch neue Präventionsmaßnahmen eingedämmt werden, denn ein effektiver Impfstoff ist in den nächsten 15 Jahren nicht zu erwarten (1).
Datenlage: Bereits 1986 gab es erste Hinweise, dass das HIV bei Zirkumzision seltener übertragen wird (2, 3). In weiteren Studien konnte gezeigt werden, dass in Regionen, in denen das HIV hauptsächlich heterosexuell übertragen wird, die Prävalenz von HIV invers mit der Rate der Zirkumzisionen korreliert war (4-7). In über 30 „Cross-Sectional”-Studien wurde eine niedrigere HIV-Prävalenz bei Männern mit Zirkumzision im Vergleich zu unbeschnittenen gefunden (8). In weiteren 14 prospektiven Studien wurden diese Daten bestätigt. Der protektive Effekt der Zirkumzision lag in diesen Studien zwischen 48% und 88% (8, 9). Eine systematische Metaanalyse der Studien aus dem Gebiet „Sub-Sahara-Afrika” bestätigte diesen Trend (10). In einer Kohorten-Studie aus Uganda mit Paaren, bei denen die Frau HIV-infiziert und der Mann anfangs noch HIV-negativ war, infizierten sich in einem Beobachtungszeitraum von zwei Jahren 37 von 134 unbeschnittenen und keiner von 50 beschnittenen Männern (11).
Kürzlich erschienen weitere randomisierte, kontrollierte prospektive Studien, die diese Ergebnisse stützen. So wurde eine Studie mit 18-24-jährigen Männern in Orange Farm, Südafrika, nach einer Zwischenauswertung beendet, weil sie in der „Intention-to-treat”-Analyse einen 60%-igen Schutz ergab (Inzidenz 0,85 bei Beschnittenen, 2,1 bei Unbeschnittenen). Das sonstige Verhalten (Sexualpraktiken, Kondombenutzung) war in beiden Gruppen sehr ähnlich (12). Eine Longitudinal-Studie mit 745 kenianischen LKW-Fahrern hat die HIV-Übertragung pro Koitus berechnet. Diese Gruppe wurde ausgewählt, da LKW-Fahrer „berufsbedingt” häufig verschiedene Sexualpartnerinnen mit hoher HIV-Wahrscheinlichkeit haben. Auch in dieser Gruppe zeigte sich, dass Neuinfektionen mit HIV bei Unbeschnittenen deutlich häufiger waren als bei Beschnittenen (13). Eine prospektive Studie aus den USA mit 3257 Homosexuellen und hohem Risiko für eine HIV-Infektion ergab, dass auch in dieser Risikogruppe die Übertragung von HIV bei Unbeschnittenen doppelt so häufig war wie bei Beschnittenen (14). Die WHO- und die UN-Behörden warnten vor zu schnellen Rückschlüssen und wollten vor einer generellen Empfehlung für die Zirkumzision in diesen Hochrisikogebieten noch eine weitere klinische Studie abwarten. Diese Studie ist kürzlich im Lancet erschienen (15).
Sie wurde im Kisumu-Distrikt in Kenia durchgeführt. Eingeschlossen wurden Männer zwischen 18 und 24 Jahren, die bis dahin nicht beschnitten sowie HIV-negativ waren und in den nächsten zwei Jahren den Distrikt nicht verlassen wollten. Schließlich wurden nach ausführlicher Aufklärung 2784 Männer randomisiert, von denen 1391 beschnitten wurden, die anderen 1393 unbeschnitten blieben. Schon nach einer Nachbeobachtungszeit von im Median 24 Monaten musste die Studie bei der dritten Zwischenanalyse durch das „Safety Board” abgebrochen werden, weil zu diesem Zeitpunkt schon 47 unbeschnittene und nur 22 beschnittene Männer HIV-positiv geworden waren (Relatives Risiko: 0,47; 95%-Konfidenzintervall: 0,28-0,78; p = 0,0065). Der chirurgische Eingriff wurde insgesamt sehr gut toleriert. Nur bei 1,5% traten Nebenwirkungen auf, von denen die meisten gering und vorübergehend waren (z.B. Blutungen, Infektionen, Schwellungen). Das Problem nach der Beschneidung Erwachsener ist die länger dauernde Wundheilung, während der das Risiko einer HIV-Übertragung möglicherweise erhöht ist. Daher wurden die Probanden angehalten, während der ersten 30 Tage nach der Zirkumzision keinen Sexualverkehr zu haben. Jedoch gaben 60 Beschnittene (4,5%) zu, dies nicht eingehalten zu haben. Unter diesen Probanden kam es zu zwei Serokonversionen, beim ersten nach einem, beim zweiten nach sechs Monaten. Berechnungsmodelle, basierend auf den Daten dieser Studie, ergeben, dass eine Beschneidung der Männer in Afrika die HIV-Infektionen um zwei Millionen und die HIV-bedingten Todesfälle um 300 000 in den nächsten zehn Jahren reduzieren würde. Die Maßnahme wäre darüber hinaus auch sehr kosteneffektiv. Basierend auf den Daten von 2005 in Südafrika könnten pro 1000 Beschneidungen dort 2,4 Millionen Dollar gespart werden. Die Befürchtung, dass sich beschnittene Männer möglicherweise einem höheren HIV-Risiko aussetzen, konnte nicht bestätigt werden. Im Gegenteil – in der Studie aus Kisumu wurde in beiden Gruppen im Vergleich zur Ausgangssituation ein Verhalten mit niedrigerem Risiko registriert.
Infektiologische Aspekte der Zirkumzision: Die innere mukosale Oberfläche der menschlichen Vorhaut, die während der Erektion exponiert wird, enthält neunmal mehr HIV-Zielzellen (Langerhans-Zellen, CD4+-T-Zellen, Makrophagen) als z.B. die Schleimhaut der Zervix (16). Die Zahl der Zielzellen steigt noch beträchtlich an, wenn eine Entzündung in diesem Bereich vorliegt, wie z.B. durch andere Infektionen. Dagegen sind die äußere Vorhaut und die Glans penis durch ihr Plattenepithel weitgehend geschützt. Es konnte gezeigt werden, dass das HIV nicht durch die Zellschicht der äußeren Vorhaut dringt (16, 17). Weitere Mechanismen, wodurch die innere Vorhaut die HIV-Übertragung begünstigt, sind schlechte Hygiene mit nachfolgenden Entzündungen (18), höheres Risiko durch ulzerative Geschlechtskrankheiten (19) und mechanisch bedingte Einrisse beim Geschlechtsverkehr (8).
Zirkumzision und ulzerative, sexuell übertragbare Erkrankungen: Zum Einfluss der Beschneidung auf ulzerative, sexuell übertragbare Erkrankungen, wie Lues, Weicher Schanker (Ulcus molle, Erreger Haemophilus ducreyi) und Genitalherpes, wurde kürzlich eine Metaanalyse publiziert (18). In diese Metaanalyse gingen 26 Studien ein. Für Lues und Weichen Schanker wurde eine Reduktion des Infektionsrisikos bei Zirkumzision gefunden. Die Evidenz für eine Reduktion der Infektion mit Herpes-Virus Typ 2 war deutlich geringer. Diese Daten wurden durch eine große Studie in Botswana weiter bekräftigt, in der beschnittene Männer deutlich weniger häufig über urethralen Ausfluss oder genitale Geschwüre berichteten. Diese Ergebnisse unterstreichen auch die Bedeutung dieser Infektionen als begünstigenden Faktor bei der Übertragung von HIV.
Zirkumzision und Chlamydia trachomatis: Die Infektion mit Chlamydia trachomatis ist die häufigste bakterielle, sexuell übertragbare Krankheit mit geschätzten 89 Millionen Neuerkrankungen pro Jahr (20). In eine große Fall-Kontroll-Studie zum Zervixkarzinom in fünf Ländern (Kolumbien, Spanien, Brasilien, Thailand, Philippinen) wurden 1029 Patientinnen mit stabiler Partnerschaft eingeschlossen. Die Seroprävalenz für C. trachomatis war in dieser Studie bei den Frauen, deren Partner beschnitten waren, fünfmal geringer. Ein solcher Unterschied war allerdings nicht mehr nachweisbar, wenn man isoliert die Befunde bei Frauen auswertete, die nur einen Sexualpartner in ihrem Leben hatten.
Literatur
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