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Bisphosphonat-Osteonekrose vor Gericht

Im September 2009 fand vor einem Geschworenengericht in Manhattan ein von Pharmaindustrie, Juristen und Börsenanalysten viel beachteter Prozess statt, in dem es um Kieferosteonekrosen unter oraler Therapie mit dem Bisphosphonat Alendronsäure (Fosamax®, Merck) ging (1). Fosamax® war nach seiner Markteinführung 1995 ein „Blockbuster-Produkt” und zählte – wohl nicht nur in den USA – zu den meistbeworbenen und populärsten Arzneimitteln. Mittlerweile ist Alendronsäure auch als Generikum erhältlich. Jedoch betrug 2008 der weltweite Jahresumsatz von Fosamax immer noch 1,5 Milliarden US $ (1).

Osteonekrosen des Kiefers wurden zunächst bei i.v. Infusion von Bisphosphonaten (Pamidronat, Zoledronat) bei malignen Erkrankungen mit ossärer Metastasierung beobachtet (2), bald aber auch unter oraler Einnahme niedrig dosierter Bisphosphonate zur Osteoporosebehandlung und -vorbeugung (3). Typischerweise tritt diese unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) nach zahnärztlichen und kieferchirurgischen Eingriffen auf, wobei ein desolater Zahnstatus ein Risikofaktor ist. In dem Verfahren wurde nun erstmals eine solche UAW vor Gericht verhandelt. Klägerin ist eine 71jährige Frau, bei der nach einer Zahnextraktion 2002 unter Fosamax®-Therapie eine chronisch verlaufende Osteonekrose des Unterkiefers entstanden war. Mindestens weitere 900 ähnliche Fälle sind gerichtsanhängig, und dementsprechend bemüht sich Merck intensiv darzulegen, dass es keine Evidenz für einen kausalen Zusammenhang gibt. Die Anklage wirft Merck vor, trotz der seit spätestens 2003 bekannten Fallberichte Ärzte und Patienten nicht über diese potenzielle UAW informiert und das Präparat ohne Osteonekrose als UAW zu nennen, beworben zu haben.

Die acht Geschworenen mussten sich anhand tausender Seiten Beweismaterial mit schwierigen Fragen auseinandersetzen: Hat die Firma ihre Informationspflicht verletzt? Und wenn ja, sind diese Umstände im juristischen Sinne verantwortlich für das aufgetretene Gesundheitsproblem? Offensichtlich waren einige der Laienrichter mit dieser Materie überfordert, wie sie dem Richter in – später veröffentlichten (4) – handschriftlichen Notizen mitteilten. In verbal und offenbar auch physisch sehr emotional geführten Beratungen konnte kein Konsens gefunden werden, und am 11. September wurde das Verfahren vom Richter vorerst ergebnislos eingestellt. Eine Wiederaufnahme wird möglicherweise im Frühjahr 2010 stattfinden.

Eine zahnärztliche Untersuchung mit geeigneten Präventionsmaßnahmen muss einer Behandlung mit Bisphosphonaten vorangehen, wenn die Patienten entsprechende Risikofaktoren haben (z.B. Krebs, Chemotherapie, Strahlentherapie, Kortikosteroid-Behandlung, schlechte Mundhygiene). Während der Behandlung sollten bei den Patienten invasive zahnärztliche bzw. kieferchirurgische Eingriffe möglichst vermieden werden. Bei Patienten, die während einer Therapie mit Bisphosphonaten eine Osteonekrose im Kieferbereich entwickeln, kann ein zahnchirurgischer Eingriff zu einer Verschlechterung des Zustands führen.

Literatur

  1. New York Times, 3. September 2009: http://www.nytimes.com/2009/09/03/business/03drug.html
  2. AMB 2007, 41, 15. Link zur Quelle
  3. Pazianas, M., et al.: Clin. Ther. 2007, 29, 1548. Link zur Quelle
  4. New York Times, 12. September 2009: http://www.nytimes.com/2009/09/12/business/12drug.html