Zusammenfassung: Viele Arzneimittel haben bei Frauen und Männern eine unterschiedliche Pharmakodynamik und -kinetik. Arzneimittel können daher bei Frauen andere Wirkungen und häufiger unerwünschte Wirkungen (UAW) entfalten als bei Männern, wie z.B. die potenziell gefährliche Verlängerung der QT-Zeit. Die Ursachen dieser Unterschiede sind noch zu wenig erforscht. Es ist an der Zeit, pharmakologische Wirkungen nach Geschlechtern getrennt zu betrachten und mehr Frauen in klinischen Arzneimittelstudien zu berücksichtigen, zumal sie ja auch signifikant mehr Arzneimittel einnehmen als Männer.
Generelle pharmakologische Unterschiede: Der weibliche Körper hat einen höheren Fettanteil, weniger Muskelmasse, und der Wasseranteil schwankt zyklusabhängig. Daraus resultiert ein anderes Verteilungsvolumen von Arzneimitteln als bei Männern. Auch ist die Aktivität einiger hormonabhängiger Transport- und Stoffwechsel-Enzyme zwischen den Geschlechtern verschieden, so dass die Clearance von Arzneimitteln bei Frauen oft geringer ist (1). In den Fachinformationen von Arzneimitteln, die für beide Geschlechter zugelassen sind, finden sich bei nur 10% der älteren und bei nur 45% der neueren Wirkstoffe Hinweise auf geschlechtsspezifische Untersuchungsergebnisse (2). In den eingereichten Unterlagen aller von der FDA zwischen 2000-2002 neu zugelassenen „molekularen Entitäten” fanden sich bei über einem Drittel geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik, der Effektivität oder der Häufigkeit von UAW. Diese Erkenntnisse führten jedoch nicht zu differenzierten Dosierungsangaben (3). Im Folgenden seien einige Beispiele genannt.
Azetylsalizylsäure (ASS): Obwohl viele Erkrankungen bei Frauen häufiger sind, sind Frauen in fast allen größeren klinischen Arzneimittelstudien unterrepräsentiert (4). Die Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln werden überwiegend bei Männern gewonnen und auf Frauen übertragen. Dass dies nicht ohne weiteres möglich ist, zeigen u.a. die Ergebnisse der Women’s Health Study, in der zur großen Überraschung und anders als in der „männlichen” Physician’s Health Study, ASS in der Primärprävention von Myokardinfarkten keinen Effekt hatte (5).
Digoxin: Auch in der DIG-Studie, in der die Wirksamkeit von Digitalis bei Herzinsuffizienz untersucht wurde, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern (6). Während sich in der Gesamtpopulation ein gewisser positiver Effekt unter Digoxin ergab (keine Lebensverlängerung, aber weniger Hospitalisationen), zeigte eine Posthoc-Analyse der Ergebnisse bei den weiblichen Studienteilnehmern (n = 1519, 22% der Gesamtpopulation) unter Digoxin eine höhere Letalität als unter Plazebo (33,1% vs. 28,9%; 7). Spätere Analysen fanden, dass die höhere Letalität mit höheren Serumkonzentrationen von Digoxin assoziiert war und daher die Dosis bei Frauen geringer gewählt werden sollte (8).
Opiate: Auch aus anderen Bereichen sind Wirkunterschiede von Arzneimitteln bekannt. Männer haben in der kontrollierten, postoperativen Schmerzbehandlung einen um 40% höheren Opiatbedarf als Frauen (9). Dies scheint nicht in der Pharmakokinetik, sondern in der Pharmakodynamik begründet. Männer benötigen am Opiatrezeptor eine um 50% höhere Konzentration als Frauen, um eine vergleichbare Schmerzlinderung zu erfahren.
QT-Zeit-Verlängerung: Bei der Arzneimittelsicherheit sind Unterschiede zwischen Männern und Frauen evident. Frauen liegen in allen Statistiken zu UAW immer weit vor den Männern (10). Das ist einerseits darin begründet, dass Frauen hinsichtlich Zahl und Dosis durchschnittlich mehr Arzneimittel einnehmen als Männer, andererseits ist das weibliche Geschlecht aber auch statistisch gesehen ein eigenständiger „Risikofaktor” für das Auftreten von UAW (11). Am Beispiel der medikamentös verlängerten QT-Zeit im EKG soll dies gezeigt werden. Viele Arzneimittel führen zu einer Verlängerung der QT-Zeit und zu potenziell gefährlichen Torsade-de-pointes-Tachykardien (12). Die meisten Substanzen blockieren dosisabhängig die schnell aktivierende Komponente des IKr-Kaliumkanals. Dieses unerwünschte Phänomen ist allerdings schwer vorherzusagen. Disponierend sind u.a. Elektrolytstörungen, Bradykardien, Hypothermie und Herzmuskelhypertrophie. Bei einigen Arzneimitteln sind diese UAW ganz überwiegend nur bei Frauen beschrieben, z.B. beim Lipidsenker Probucol, beim Blasen-Spasmolytikum Terodilin oder beim Antihistaminikum Astemizol (13).
Frauen haben bereits von Natur aus ein längeres QT-Intervall als Männer (14). Es finden sich auch Unterschiede bei der QT-Dispersion (Differenz zwischen dem längsten und dem kürzesten QT-Intervall im Oberflächen-EKG) und der Ionenkanaldichte und -funktion in den Kardiomyozyten. Diese Unterschiede in den Ionenströmen werden derzeit überwiegend auf eine unterschiedliche Regulation durch die Sexualhormone zurückgeführt. So variiert beispielsweise die QT-Zeit auch während des Zyklus. Im Myokard finden sich Östrogen- und Androgenrezeptoren, deren Stimulation in Tierversuchen zu gegensinnigen Veränderungen im Ca2+– und Kaliumkanal führen (15). Östrogene bzw. ein Androgenmangel führen zu einer Verlängerung der kardialen Repolarisationszeit und steigern die Empfindlichkeit von Frauen gegenüber QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln.
Auch die Pharmakokinetik der Arzneimittel, die zu einer QT-Zeit-Verlängerung führen können, ist bei Männern und Frauen unterschiedlich. Die Aktivität einiger CYP450-Enzyme wird durch Sexualhormone beeinflusst. Insbesondere bei der Isoform 2D6 finden sich geschlechtsspezifische Unterschiede, so dass Substrate von 2D6 bei Frauen kumulieren können. Da die medikamentöse Blockade der intrazellulären IKr-Kanäle dosisabhängig ist, kann dies zur QT-Zeit-Verlängerung beitragen.
Metoprolol: Ein anderes wichtiges Beispiel dafür, wie ein unterschiedlicher Arzneimittel-Metabolismus zu vermehrten UAW führt, ist Metoprolol. Bei Frauen finden sich deutlich höhere Serumkonzentrationen des 2D6-Substrats Metoprolol (S- und R-Enantiomer) als bei Männern (16), speziell bei Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen (17). Zu diesen Befunden passt, dass der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft viermal so viele Meldungen zu Metoprolol-UAW bei Frauen vorliegen als bei Männern, obwohl Männern Metoprolol häufiger verordnet wird (2). Das zeigt, dass bestimmte Arzneimittel bei Frauen anders, meist niedriger zu dosieren sind und dass wir noch mehr über geschlechtsspezifische Aspekte in der Pharmakologie lernen müssen.
Literatur
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