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Langzeiteffekte von Azetylsalizylsäure (ASS) auf die Inzidenz des Kolonkarzinoms und die Letalität durch Kolonkarzinome

Das Kolonkarzinom ist das zweithäufigste Karzinom in den Industrieländern mit einem Erkrankungsrisiko von 5% für das ganze Leben. Man rechnet mit einer Mio. Neuerkrankungen/Jahr weltweit und mit 600.000 Todesfällen/Jahr als Folge dieser Erkrankung (1). Die meisten Kolonkarzinome entstehen aus einem Adenom, meist in Polypen (1). Studien haben gezeigt, dass ASS und Zyklooxygenase-2-Inhibitoren (COX-2-Hemmer) die Rezidive solcher Veränderungen reduzieren (2-5). Eine Langzeitstudie mit hohen Dosen ASS (> 500 mg/d fünf Jahre lang) zur Prävention vaskulärer Ereignisse reduzierte auch das Risiko für Kolonkarzinome gegenüber einer Kontroll-Gruppe nach einer Latenzperiode von zehn Jahren (6). Diese hohen ASS-Dosen waren jedoch mit häufigeren Blutungsereignissen verbunden, so dass sie für die Prävention des Kolonkarzinoms nicht in Erwägung gezogen wurden. Zwei größere Studien mit niedrigeren Dosen ASS (100 mg-325 mg/d) zeigten innerhalb von zehn Jahren keinen Effekt auf die Inzidenz von Kolonkarzinomen (7, 8). Bedenkt man die Entwicklungsdauer von Kolonkarzinomen aus Adenomen, so dürfte dieser Beobachtungszeitraum möglicherweise zu kurz gewesen sein. Jetzt wurde eine Langzeitanalyse mit niedrigeren Dosen ASS (75-300 mg/d) vorgelegt (9).

Die Ergebnisse dieser Analyse basieren im wesentlichen auf einer Nachverfolgung vier europäischer randomisierter Studien. Auch diese Studien dienten der primären (TPT = Thrombosis Prevention Trial, BDAT = British Doctors Aspirin Trial) und sekundären (SALT = Swedish Aspirin Low Dose Trial, UK-TIA Aspirin Trial) Prävention vaskulärer Ereignisse. Eine weitere Studie (Dutch TIA Aspirin Trial) mit verschiedenen Dosen ASS wurde ebenfalls auf einen möglichen Effekt auf die Inzidenz von Kolonkarzinomen überprüft.

In den vier randomisierten Studien, in denen die Patienten entweder (median) sechs Jahre lang mit ASS behandelt wurden oder keine ASS erhielten, entwickelten 391 (2,8%) von insgesamt 14.033 Patienten ein Kolonkarzinom im medianen Beobachtungszeitraum von 18,3 Jahren. In der ASS-Gruppe war das 20-Jahre-Risiko für ein Kolonkarzinom signifikant niedriger (Incidence hazard ratio = HR: 0,76, 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,60-0,96; p = 0,02), aber nicht für das Rektumkarzinom. Zudem war auch die Letalität durch Kolonkarzinome in der ASS-Gruppe niedriger (HR: 0,65; CI: 0,48-0,88; p = 0,005). Die Risikoreduktion wurde mit zunehmender Dauer der ASS-Einnahme deutlicher. Wurde ASS länger als fünf Jahre lang eingenommen, reduzierte sich das Risiko für ein proximales Kolonkarzinom um ca. 70% (HR: 0,24; CI: 0,11-0,52; p = 0,001), und auch das Risiko für ein Rektumkarzinom wurde gesenkt (p = 0,01). In diesen Studien fand sich unter höheren ASS-Dosen (> 75 mg/d) keine Veränderung in der Risikoreduktion. In der Dutch TIA Aspirin-Studie ergab sich allerdings in der Langzeit-Nachbeobachtung ein Trend für eine höhere Letalität am Kolonkarzinom bei 30 mg/d ASS im Vergleich zu 283 mg/d.

Aufgrund der großen Patientenzahl dieser „gepoolten“ Studien ergaben sich statistisch deutliche Unterschiede in der Inzidenz des Kolonkarzinoms und Letalität am Kolonkarzinom durch die Einnahme von ASS, auch unter niedrigen Dosen (75 mg/d). Die niederländische Studie mit verschiedenen ASS-Dosen weist darauf hin, dass noch niedrigere Dosen (30 mg/d) möglicherweise nicht ausreichen.

Keine der hier analysierten Studien hatte das Kolonkarzinom als primären Endpunkt. Aber in allen wurden diese Daten – auch in der Nachbeobachtung – erfasst. Die Analyse hat gewisse theoretische Unsicherheiten. So könnte es sein, dass die Patienten der ASS-Gruppe wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen häufiger untersucht wurden und somit die Möglichkeit bestand, Kolonkarzinome früher zu entdecken. Bei Nachprüfung konnte dies aber in keiner der Studien belegt werden. Die Analyse hat auch wichtige Implikationen hinsichtlich Prävention von Erkrankungen, bei denen eine dauerhafte Hemmung der Thrombozytenaggregation indiziert ist. Vor dem Hintergrund der hier gezeigten Reduktion von Kolonkarzinomen sollte ASS den Vorzug vor anderen Hemmern der Thrombozytenaggregation erhalten.

Fazit: Die hier vorgestellte Analyse legt nahe, dass ASS bei langjähriger Einnahme die Inzidenz des Kolonkarzinoms und auch die Letalität durch Kolonkarzinome senkt. Hierfür scheint eine Einnahme von mindestens 75 mg/d länger als fünf Jahre notwendig. Höhere Dosen waren nicht mit einem günstigeren Ergebnis assoziiert.

Literatur

  1. Weitz, J., et al.: Lancet 2005, 365, 153. Link zur Quelle
  2. Baron, J.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 891. Link zur Quelle
  3. Sandler, R.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 883 Link zur Quelle. Erratum: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 1939.
  4. Bertagnolli, M.M., et al. (APC = Adenoma Prevention with Celecoxib study): N. Engl. J. Med. 2006, 355, 873 Link zur Quelle. S.a. AMB 2005, 39, 38b. Link zur Quelle
  5. Arber, N., et al. (PreSAP = Prevention of Sporadic Adenomatous Polyps): N. Engl. J. Med. 2006, 355, 885. Link zur Quelle
  6. Flossmann, E., et al. (British Doctors Aspirin Trial and the UK-TIA Aspirin Trial): Lancet 2007, 369, 1603. Link zur Quelle
  7. Stürmer, T., et al. (PHS = Physicians‘ Health Study): Ann. Intern. Med. 1998, 128, 713. Link zur Quelle
  8. Cook, N.R., et al. (WHS = Women’s Health Study): JAMA 2005, 294, 47. Link zur Quelle
  9. Rothwell, P.M., et al.: Lancet 2010, 376, 1741. Link zur Quelle