ASS ist ein bewährtes Mittel gegen Schmerzen und Fieber. Seine prophylaktische Wirkung gegen Herzinfarkt und Schlaganfall ist zumindest in der Sekundärprävention unumstritten, und auch über mögliche antikanzerogene Eigenschaften wird seit längerem diskutiert (vgl. 1, 2). Im Lancet wurde jetzt hierzu eine Metaanalyse publiziert (3). Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass ASS – täglich eingenommen – kurz- und langfristig vor malignen Tumorerkrankungen schützt. Kann hieraus jedoch eine Empfehlung für die gesamte Bevölkerung abgeleitet werden, täglich ASS einzunehmen?
Die Autoren recherchierten umfassend die Literatur in PubMed, Embase und in der Cochrane Database of Systematic Reviews und schlossen auch alle diesbezüglichen Arbeiten aus den Reviews der Antithrombotic Trialists’ (ATT) Collaboration ein. Dabei wurden Studien zur Primär- und zur Sekundärprävention berücksichtigt, in denen die tägliche Einnahme von ASS mit Plazebo verglichen wurde und die eine Dauer von wenigstens 90 Tagen hatten.
Es wird berichtet, dass in der gepoolten Analyse (51 Studien) 40.269 Patienten unter ASS mit 37.280 Patienten unter Plazebo verglichen wurden. Dabei betrug die nicht-vaskulär bedingte Letalität in der ASS-Gruppe 2,54% und in der Plazebo-Gruppe 2,83% (gepoolte Odds Ratio = OR: 0,88; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,78-0,96). Leider ist dieser Gesamt-Metaanalyse weder die durchschnittliche Studiendauer noch die Gesamtletalität zu entnehmen. In der gepoolten Auswertung von 34 Studien, in denen die Krebsletalität explizit ausgewiesen wurde (insgesamt 69.224 Patienten), ergab sich eine Odds Ratio von 0,85 (CI: 0,76-0,96) zugunsten der ASS-Gruppe.
In den 12 eingeschlossenen Studien zur Primärprävention fand sich eine Reduktion nicht-vaskulärer Todesfälle von 3,14% unter Plazebo auf 2,83% unter ASS (OR: 0,88; CI: 0,78-0,98). Sie wird aber durch eine höhere Letalität durch Blutungen in den ersten zwei Jahren weitgehend aufgewogen (2,32% unter Plazebo vs. 2,46% unter ASS). Allerdings zeigt sich ab dem dritten Behandlungsjahr ein Überlebensvorteil in der ASS-Gruppe, da dann Blutungen nicht mehr vermehrt auftreten, die Reduktion der Krebserkrankungen aber erhalten bleibt.
Nur in sechs der 51 Studien wird auch die Krebs-Inzidenz mitgeteilt. Sie war in den ersten drei Jahren in der ASS-Gruppe mit einer OR von 1,01 (CI: 0,88-1,15) annähernd gleich hoch wie in der Plazebo-Gruppe. Ab dem vierten Jahr sank die OR auf 0,76 (CI: 0,66-0,88) zugunsten der ASS-Gruppe. Das entspricht einer absoluten Reduktion von 3,13 Krebserkrankungen pro 1000 Patientenjahre. Leider sind auch hier die absoluten Zahlen und die Letalitätsdaten nicht angegeben.
Die Reduktion der Krebs-Todesfälle ist offenbar vor allem auf die Abnahme von Kolonkarzinomen, malignen Lymphomen und Karzinomen der weiblichen Genitalorgane zurückzuführen. Eine genauere Analyse der Auswirkungen von ASS auf die Inzidenz einzelner Tumorerkrankungen war nicht möglich, weil diese zu selten auftraten.
Die Zahlen dieser Metaanalyse zeigen, dass die tägliche Einnahme von ASS in niedriger Dosierung vor verschiedenen Krebsarten schützen könnte. Dieser Schutz wird jedoch in den ersten 2-3 Jahren der Therapie durch vermehrte Blutungen (einschließlich zerebraler Blutungen) erkauft, so dass die Gesamtletalität gleich bleibt. Erst nach drei Jahren ASS-Einnahme zeigt sich eine protektive Wirkung. Betrachtet man die absoluten Zahlen – soweit in der Publikation angegeben – dann müssen 319 Menschen ASS einnehmen, um eine Krebserkrankung pro Jahr zu verhindern.
Die Studie wird in einem Editorial in einigen Aspekten kritisch beurteilt (4). Beispielsweise wurden die Women’s Health Study und die Physicians‘ Health Study nicht in die Metaanalyse eingeschlossen, weil in ihnen ASS nur jeden zweiten Tag eingenommen wurde. Beide Studien zeigten keinen Vorteil hinsichtlich Krebsinzidenz und -letalität und würden das Ergebnis der Metaanalyse umkehren. Auch wird kritisiert, dass die Analyse nicht auf die Studien zur Sekundärprävention ausgedehnt wurde.
Fazit: In einer großen Metaanalyse zeichnet sich ab, dass ASS – täglich in niedriger Dosierung eingenommen – Krebserkrankungen verhindern könnte. Ob hierdurch auch die Gesamtletalität gesenkt wird, ist nicht klar. Die Studie kann zwar die Hypothese stützen, dass ASS antikanzerogen wirkt, beweisend wären hingegen nur prospektive Studien mit genau diesen Endpunkten. Eine generelle Empfehlung, ASS zur Krebsprophylaxe einzunehmen, kann also nicht gegeben werden. Allerdings erscheint dies für bestimmte Hochrisiko-Gruppen (z.B. Lynch-Syndrom; 2) durchaus sinnvoll.
Literatur
- AMB 2010, 44,93. Link zur Quelle
- AMB 2011, 45,92b. Link zur Quelle
- Rothwell, P.M., etal.: Lancet 2012, 379, 1602. Link zur Quelle
- Chan, A.T., und Cook,N.R.: Lancet 2012, 379, 1569. Link zur Quelle