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Niedriger Blutdruck unter antihypertensiver Therapie fördert weiteren kognitiven Verlust bei dementen Senior(inn)en

In der März-Ausgabe haben wir über eine französisch-italienische Beobachtungsstudie bei Über-80-jährigen Pflegeheimpatienten berichtet. Die Studie ergab, dass die Zwei-Jahres-Gesamtletalität bei antihypertensiv Behandelten mit mittleren systolischen Drucken < 130 mmHg und bei Einnahme von zwei oder mehr Antihypertensiva signifikant höher war als bei Patienten mit systolischem Blutdruck > 130 mmHg und Einnahme von im Mittel nur 1,5 Antihypertensiva pro Tag (1).

In die gleiche Richtung weist eine ebenfalls im JAMA Intern. Med. erschienene Studie, die die Änderung der kognitiven Fähigkeiten bei insgesamt 172 Patienten mit bereits diagnostizierter Demenz (68%) oder leichter kognitiver Beeinträchtigung (mild cognitive impairment; 32%) innerhalb einer mittleren Beobachtungszeit von neun Monaten mit Hilfe der Mini-Mental-State-Examination (MMSE-Test; vgl. 2, 3) untersuchte (4). Die Kohortenstudie von Mossello et al. wurde in geriatrischen Polikliniken in Florenz und Pistoia zwischen Juni 2009 und Dezember 2012 durchgeführt, d.h. die Patienten waren nicht dauernd hospitalisiert.

Zu Beginn wurde bei den Patienten (mittleres Alter 79 Jahre) der MMSE-Score ermittelt, der die mentale Leistungsfähigkeit im Alltag erfasst, der Blutdruck mehrmals gemessen und gemittelt sowie bei allen Patienten eine ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung (ABPM) durchgeführt. Patienten, bei denen die ABPM tagsüber (Wachzeit) nicht möglich oder nicht auszuwerten war, wurden nicht in die Studie eingeschlossen. Alle Messungen bis auf die ABPM wurden nach im Mittel neun Monaten wiederholt.

Bei den Patienten insgesamt betrug der mittlere MMSE-Score zu Beginn 22,1 auf einer Skala von 0-27, wobei 27 der geringste Grad der kognitiven Beeinträchtigung ist. 73% der Patienten galten als Hypertoniker und 68% nahmen Antihypertensiva ein. Die ABMP-Mittelwerte während des Tages (Wachzeit) wurden in drei Tertilen eingeteilt: Gruppe 1: RR syst. < 129 mmHg; Gruppe 2: 129-144 mmHg; Gruppe 3: ≥ 145 mmHg.

Es zeigte sich, dass sich bei den antihypertensiv behandelten Patienten der Gruppe 1, d.h. diejenigen mit den niedrigsten ABMP-Mittelwerten, der MMSE-Score innerhalb der Beobachtungszeit am deutlichsten verschlechterte (-2,8 ± 3,8 Punkte), während in Gruppen 2 und 3 die Abnahme nur jeweils -0,7 ± 3,7 Punkte betrug (p = 0,003). Der Unterschied zwischen Gruppe 1 einerseits und den Gruppen 2 und 3 andererseits war signifikant. Bei den in der Nacht gemessenen Mittelwerten und bei den in den Polikliniken gemessenen Werten ergaben sich ähnliche, aber nicht signifikante Tendenzen. Interessanterweise war bei der kleineren Gruppe von nicht hypertensiven Patienten in der Tertile mit den niedrigen systolischen ABMP-Mittelwerten kein stärkerer kognitiver Verlust als in den beiden anderen Gruppen festzustellen. Das kann damit zusammenhängen, dass Antihypertensiva nicht nur den Blutdruck senken, sondern auch die physiologische Blutdruckregulation beeinträchtigen. Die funktionelle Behinderung der Patienten, die ebenfalls nach im Mittel neun Monaten erneut ermittelt wurde, korrelierte nicht mit den unterschiedlichen Blutdruck-Tertilen.

In der Beobachtungszeit starben drei Patienten, 17 hatten ein größeres kardiovaskuläres Ereignis (MACE = maior adverse cardiovasular event), 47 waren mindestens einmal gestürzt und 42 waren stationär behandelt worden. Diese Ereignisse waren nicht mit den Blutdruck-Tertilen assoziiert.

Die Ergebnisse dieser Studie weisen in die gleiche Richtung wie die „Leiden-85-plus-Studie“ an sehr alten, meist ebenfalls kognitiv beeinträchtigten Menschen, die über drei Jahre beobachtet wurden und bei denen etwas höhere Blutdruckwerte mit geringerer Verschlechterung kognitiver Scores assoziiert waren (5). Andere Studien zum Einfluss des Blutdrucks auf den Verlauf der kognitiven Entwicklung bei Alzheimer-Patienten kamen zu uneinheitlichen Ergebnissen (6, 7).

Fazit: Bei betagten Hypertonikern mit kognitiver Beeinträchtigung sollte ein mittlerer systolischer Blutdruck von < 130 mmHg vermieden werden (vgl. 1). Auch andere ältere Patienten reagieren auf starke Blutdrucksenkung (mittlere systolische Blutdruckwerte von < 120-130 mmHg) oft mit Müdigkeit und Anriebsschwäche. Es kann nicht das Ziel sein, Blutdruckwerte auf Kosten der Lebensqualität generell auf nominale Werte zu senken, zumal nicht klar ist, ob hierdurch die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse bei sehr alten Menschen reduziert wird.

Literatur

  1. AMB 2015, 49, 20. Link zur Quelle
  2. http://www.pflegedienst-aml.de/media/mmst-test.pdfLink zur Quelle
  3. http://www.demenz-leitlinie.de/aerzte/Diagnostik/Schweregrade.html Link zur Quelle
  4. Mossello, E., et al.: JAMA Intern. Med. 2015, 175,578. Link zur Quelle
  5. Sabayan, B., et al.: J. Am. Geriatr.Soc. 2012, 60,2014. Link zur Quelle
  6. Helzner, E.P., et al.: Arch. Neurol.2009, 66, 343. Link zur Quelle
  7. Bellew, K.M., et al.: Alzheimer Dis.Assoc.Disord. 2004, 18, 208. Link zur Quelle