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Erstmals eine randomisierte Studie zu den Auswirkungen nach Absetzen von Statinen

Das Absetzen von Arzneimitteln im Kontext von Polypharmakotherapie und begrenzter Lebenserwartung ist ein wichtiges Thema. Es gibt viele Meinungen hierzu, aber nur Weniges kann als gesichert gelten. Das Absetzen von Medikamenten berührt viele Aspekte, u.a. ethische und juristische. So lange keine randomisierten kontrollierten Studien (RCT) zur Sicherheit des Absetzens von Arzneimitteln existieren, können einschlägige Empfehlungen nur den Evidenzgrad C haben und sind daher kritisch zu hinterfragen. Diese große Wissenslücke beginnt sich nun langsam zu füllen. Eine US-amerikanische Gruppe hat erstmals eine multizentrische, randomisierte, kontrollierte, Studie zum Absetzen von Statinen bei multimorbiden, älteren Patienten mit geringer Lebenserwartung durchgeführt (1). Sie wurde durch öffentliche Gelder vom „National Institute of Nursing Research“ und dem „Veterans Affairs Health Care System“ finanziert.

Die Patienten konnten in die Studie eingeschlossen werden, wenn sie seit mindestens drei Monaten ein Statin einnahmen und – nach Einschätzung durch die behandelnden Ärzte – eine dokumentierte, fortgeschrittene lebensbedrohliche Krankheit mit kurzer Lebenserwartung hatten oder wenn sich ihr Funktionsstatus kürzlich erheblich verschlechtert hatte. Sie mussten darüber hinaus kognitiv in der Lage sein, in die Studie einzuwilligen oder sie wurden durch einen einwilligungsbereiten gesetzlichen Betreuer vertreten. Ausgeschlossen waren Patienten, deren Ärzte der Meinung waren, dass aktive Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorlagen, die eine Weiterbehandlung mit einem Statin erforderten sowie Patienten mit Statin-Unverträglichkeit.

Statistische Probleme: Die der Studie zugrunde liegende Annahme ging von einem medianen Überleben der Patienten von drei Monaten aus. Um in diesem Zeitraum einen möglichen Überlebensvorteil von zwei Wochen durch das Absetzen des Statins nachweisen zu können, hätten 1.200 Patienten eingeschlossen werden müssen. In vordefinierten Zwischenanalysen erwies sich diese Grundannahme jedoch als falsch, denn das tatsächliche Überleben betrug ca. neun Monate. Um einen Überlebensvorteil innerhalb von neun Monaten nachweisen zu können, hätten 30.000 Patienten eingeschlossen werden müssen, was jedoch illusorisch war. Daraufhin wurden sowohl der Studienendpunkt als auch die Patientenzahl verändert: Der neue primäre Endpunkt war nun das Überleben nach 60 Tagen und der Nachweis einer Nichtunterlegenheit, wenn Statine abgesetzt wurden. Dies erforderte nur noch den Einschluss von 360 Patienten. Die Nachbeobachtung ging bis zum Tod oder mindestens ein Jahr nach Randomisierung. Anfänglich wurden die Patienten wöchentlich kontaktiert, später monatlich, meist mittels Telefoninterview.

Ergebnisse: Insgesamt wurden in zwei Jahren (2011-13) an 15 sog. „Palliative Care Research Sites” 1.659 Patienten gescreent. 662 (39%) erfüllten alle Einschlusskriterien und hatten keine Ausschlusskriterien („eligible“). Von diesen lehnten 143 Patienten (21%) bzw. deren Ärzte (3,7%) eine Randomisierung ab. Bei weiteren 113 Patienten kam aus verschiedenen Gründen keine Randomisierung zustande, sodass am Ende 371 Patienten tatsächlich eingeschlossen wurden (56% aller möglichen). Bei den Studienteilnehmern handelte es sich überwiegend um Medicare-Patienten (73,5%). Sie waren im Mittel 74 Jahre alt und überwiegend (78%) nicht kognitiv beeinträchtigt. Etwa die Hälfte der Studienteilnehmer (48,8%) litten unter einem Malignom und der mittlere Charlson Comorbidity Index Score betrug 4,9. Dieser Score bewertet insgesamt 19 verschiedene Erkrankungen, die vorliegen können, wobei die meisten mit einem Punkt leicht und andere, wie AIDS oder metastasierte solide Tumoren, mit sechs Punkten besonders schwer wiegen. Die mittlere Zahl an Arzneimitteln betrug 10,9. 69% nahmen das Statin schon länger als fünf Jahre ein und bei 58% war die Indikation Sekundärprävention.

Bei 182 Patienten wurde das Statin abgesetzt und 189 nahmen es weiter ein (Computer-Randomisierung). Die Studie wurde „pragmatisch“ und daher leider unverblindet durchgeführt. Die demografischen und klinischen Risiken waren zwischen den Gruppen gleich verteilt. Nur der Anteil der kognitiv Beeinträchtigten war in der Absetzgruppe höher (27% vs. 17,2%; p = 0,02).

Der Anteil der Teilnehmer, die innerhalb von 60 Tagen starben, betrug 22,6% und unterschied sich nicht signifikant zwischen den beiden Gruppen: 23,8% ohne Statin vs. 20,3% mit Statin (90%-Konfidenzintervall: -3,5 bis 10,5%; p = 0,36). Eine Noninferiorität des Absetzens konnte nicht nachgewiesen werden. Nur 24 Patienten (6,3%) erlitten während der Studienzeit ein kardiovaskuläres Ereignis (13 ohne, 11 mit Statin). Ein positiver Einfluss auf körperliche Symptome oder die Fitness war nicht nachweisbar. Allerdings wurde die Lebensqualität in der Absetzgruppe als geringfügig besser eingeschätzt (Total McGill-QOL-Score: 7,11 vs. 6,85 von maximal 10 Punkten; p = 0,04), ein Ergebnis, das wegen der fehlenden Verblindung zurückhaltend bewertet werden muss.

Diskussion: Die Autoren folgern, dass das Absetzen von Statinen bei multimorbiden, älteren Patienten mit geschätzter Lebenserwartung von unter einem Jahr gefahrlos möglich ist und sogar gewisse Vorteile bringt: Für den Patienten eine geringfügig bessere Lebensqualität und für das Gesundheitssystem geringere Arzneimittelkosten. Andererseits zeigt die Studie auch, dass durch die weitere Einnahme von Statinen offenbar kein Schaden bei Patienten entsteht. Diese beiden wichtigen Erkenntnisse bieten eine gute Grundlage, um gemeinsam mit dem Patienten oder seinem Betreuer eine Entscheidung zur Weiterbehandlung oder Therapiereduktion zu diskutieren. Angestrebt wird eine „patientenzentrierte Entscheidung“, die in erster Linie den Präferenzen des Patienten folgen soll. Von vielen wird allein schon eine geringere Zahl der Tabletten als Verbesserung empfunden. Die Studie gibt insbesondere Hinweise darauf, dass ein Absetzen von Statinen bei stark begrenzter Lebensdauer ethisch vertretbar ist, weil den Patienten in dieser Situation offenbar kein Schaden entsteht.

Die Autoren eines begleitenden Editorials (2) erinnern an mehrere Erhebungen, wonach Statine regelhaft, auch bei fortgeschrittenen Tumor- oder Demenzerkrankungen, häufig noch bis in die letzten Lebenstage hinein weiter verschrieben werden. Dies geschieht selbst dann, wenn die Indikation nur die Primärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen ist. Die Autoren verweisen auf die Empfehlungen der „Society for Post-Acute and Long-Term Care Medicine”, die im Rahmen der „Choosing Wisely“-Kampagne von einer routinemäßigen Verordnung von Lipidsenkern bei Patienten mit fortgeschrittenen bösartigen Erkrankungen abraten (3). Die Studie von Kutner er al. (1) sei ein Modell und ein Auftrag für weitere Studien zum Absetzen anderer Arzneimittelklassen, wie beispielsweise Antidiabetika oder Antihypertensiva. Solche RCT seien nötig, um auch Indikationen für das Absetzen von Arzneimitteln in Behandlungsleitlinien einzubringen. In der gleichen Ausgabe von JAMA wird übrigens auch ein Algorithmus zum Absetzen von Arzneimitteln (De-Prescribing) vorgestellt. Über diesen wollen wir in einer der nächsten Ausgaben berichten.

Fazit: Erstmals wurde in einer randomisierten kontrollierten Studie nachgewiesen, dass Statine bei multimorbiden, älteren Patienten mit einer geschätzten Lebenserwartung von unter einem Jahr gefahrlos abgesetzt werden können. Diese Maßnahme hat keinen messbaren negativen Einfluss auf das Überleben nach zwei Monaten und ist mit einem geringen, aber signifikanten Zugewinn an Lebensqualität verbunden. Einschränkend muss gesagt werden, dass diese Studie einige methodische Mängel hat: So wurden der Endpunkt und die kalkulierte Patientenzahl im Studienverlauf verändert, und die Behandlung und Auswertung waren nicht verblindet. Weiterhin besteht ein Selektionsbias: Bei den Patienten handelte es sich überwiegend um sozial schwache Medicare-Patienten ohne aktive Herz-Kreislauf-Probleme. Risikopatienten waren also ausgeschlossen, und rund die Hälfte der Patienten nahm das Statin auch nur zur Primärprophylaxe ein. Trotzdem handelt es sich nach unserer Einschätzung um eine wegweisende Studie zu diesem wichtigen Thema.

Literatur

  1. Kutner, J.S., etal.: JAMA Intern. Med. 2015, 175, 691. Link zur Quelle
  2. Holmes, H.M.,und Todd, A.: JAMA Intern. Med. 2015, 175, 701. Link zur Quelle
  3. http://www.choosingwisely.org/doctor-patient-lists/amda/Link zur Quelle