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Dapagliflozin bei Diabetes mellitus Typ 1

Dapagliflozin (Dapa) hemmt den renalen Natrium-Glukose-Cotransporter Typ 2 (SGLT2-Hemmer) und steigert auf diese Weise, wie auch andere Vertreter dieser Gruppe, die renale Natrium- und Glukoseausscheidung (vgl. 1). Dadurch gehen Kalorien verloren, und auch der Extrazellulärraum wird verkleinert, wodurch Körpergewicht und Blutdruck etwas sinken. Für einige Vertreter dieses Therapieprinzips konnte bei Typ-2-Diabetikern (DM2) in mehrjährigen Studien eine Reduktion kardiovaskulärer und renaler Komplikationen um absolut 0,5-1,6% nachgewiesen werden (vgl. 2). SGLT2-Hemmer sind bisher nur für Patienten mit DM2 zugelassen. Wie berichtet (2-4) liegen der US-Aufsichtsbehörde FDA mehr als 2.000 Meldungen über diabetische Ketoazidosen (DKA) bei mit SGLT2-Hemmern behandelten DM2-Patienten vor, obwohl eine kürzlich erschienene Metaanalyse von 72 randomisierten kontrollierten Studien (RCT) – jeweils ein SGLT2-Hemmer versus Plazebo – zu dem Schluss kam, dass das Risiko einer DKA bei ordnungsgemäßer Verschreibung zu vernachlässigen sei („neglegible“; 5). Die Autoren dieser Metaanalyse haben allerdings vielfältige Interessenkonflikte mit mehreren pharmazeutischen Unternehmern (pU), die u.a. auch Antidiabetika vermarkten. Die Erfahrungen mit SGLT2-Hemmern bei DM1, zusätzlich zu Insulin, sind begrenzt. Prinzipiell ist es natürlich wünschenswert, bei DM1 durch eine geeignete Medikation zusätzlich zur Insulintherapie das Risiko für mikro- und makrovaskuläre Komplikationen zu reduzieren.

Ein im Dezember 2015 publiziertes Phase-II-RCT zu Canagliflozin bei 351 DM1-Patienten ergab bei täglicher Einnahme von 100 bzw. 300 mg des SGLT2-Hemmers bei 5,1% bzw. 9,4% der Patienten eine DKA, aber bei keinem der Patienten mit Plazebo (6). Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse eines von den pU AstraZeneca und Bristol-Myers Squibb initiierten Phase-III-RCT über Wirkungen und Sicherheit von Dapa bei DM1 von großem Interesse (DEPICT-1; 7).

Methodik: Für diese internationale multizentrische Studie (17 Zentren; 7) wurden von November 2014 bis April 2016 zunächst ca. 1.600 Patienten mit DM1 gescreent, von denen 778 in das RCT eingeschlossen wurden (mittleres Alter ca. 42 Jahre, mittlerer BMI ca. 28 kg/m2). Da es sich um eine Art „Machbarkeitsstudie“ handelte, wurden nur Patienten mit stabil eingestelltem DM1 (intensivierte Insulintherapie oder kontinuierliche Insulininfusion) – ohne hypo- oder hyperglykämische Entgleisungen oder kardiovaskuläre Ereignisse in den letzten Monaten – den drei Behandlungsarmen (5 mg oder 10 mg/d Dapa oder Plazebo, einmal am Tag oral) zugeordnet. Ihr HbA1c-Wert musste bei Rekrutierung zwischen 7,7% und 11% liegen. Zunächst wurde in einer 8-wöchigen Run-in-Phase die Insulineinstellung optimiert, so dass die HbA1c-Werte bei Randomisierung zwischen 7,5% und 10,5% lagen. Unmittelbar vor der Intervention sowie ab der 10. und ab der 22. Woche der Intervention wurde jeweils für zwei Wochen die Glukose-Konzentration im subkutanen Gewebe mittels eingeführter Sensoren kontinuierlich gemessen, um die mittlere Glukosekonzentration und die 24-Stunden-Variabilität zu dokumentieren. Die Probanden wurden angewiesen, häufig den Blutzucker zu messen und zu dokumentieren und zusätzlich bei bestimmten Symptomen oder oft nacheinander erhöhtem Blutzucker auf Ketonkörper im Blut bzw. Urin mit Teststreifen zu untersuchen.

Primärer Endpunkt der Studie war die Änderung des HbA1c-Werts nach 24 Wochen Intervention. Sekundäre Endpunkte waren u.a. die prozentuale Änderung der Insulindosis, des Körpergewichts, der mittleren kontinuierlich gemessenen Glukosekonzentration sowie deren Variabilität. In der Sicherheitsanalyse fanden Hypoglykämien, DKA, hepatobiliäre Ereignisse, genitale und Harnwegs-Infektionen, Volumendepletion, Nierenfunktion und Hypersensitivitätsreaktionen besondere Beachtung. Um zu Beginn der Intervention Hypoglykämien zu vermeiden, wurden die Probanden angewiesen, die Insulindosis zu senken, aber um nicht mehr als 20% und anschließend, den Blutzuckerwerten entsprechend, die Insulindosis wieder zu steigern. Dieses Vorgehen beruht auf folgender Überlegung: Eine stärkere initiale Senkung der Insulindosis wäre ein Risikofaktor für DKA, zumal SGLT2-Hemmer die renal-tubuläre Reabsorption von Ketonkörpern fördern und außerdem durch direkte Wirkung auf die Alpha-Zellen im Pankreas die Sekretion von Glukagon stimulieren. Glucagon aber fördert die Lipolyse und Ketogenese (4, 7). Im Hinblick auf die praktische Durchführung der Studie ist zu bedenken, dass alle Patienten extrem engmaschig betreut, beobachtet und beraten wurden, beispielsweise hatten sie alle zwei Wochen einen Termin beim betreuenden Personal. Die jetzt publizierte Studie wird bis zu 12 Monaten Gesamtdauer fortgesetzt.

Ergebnisse: Das HbA1c war basal im Mittel 8,53 ± 0,67% und fiel nach 24 Wochen unter 5 mg bzw. 10 mg/d Dapa versus Plazebo um 0,42 bzw. 0,45 Prozentpunkte ab. Das Körpergewicht nahm um 2,96 kg bzw. 3,72 kg versus Plazebo ab. Die Insulindosen waren nach zwei Wochen Intervention um ca. 11% bzw. 13% niedriger als basal und nach 24 Wochen um ca. 9% bzw. 10% niedriger. Die mittlere subkutane Glukosekonzentration war nach 24 Wochen um ca. 15 bzw. 26 mg/dl niedriger als basal bei etwas geringerer Tagesvariabilität. Unter Plazebo waren die Werte fast unverändert.

Sicherheitsanalyse: Fünf bzw. acht bzw. zwei Patienten unter 5 mg bzw. 10 mg/d Dapa bzw. Plazebo erlitten als „serious adverse events“ eingestufte DKA, wobei in dem Kommentar zu dieser Publikation (8) erwähnt wird, dass bei den meisten Patienten mit DKA der 10 mg-Dapa-Gruppe die Medikation beendet wurde. Schwere Hypoglykämien traten in allen drei Gruppen bei 1% oder < 1% auf. Genitale Infektionen traten bei 12% bzw. 11% bzw. 3% der Patienten auf; Harnwegsinfektionen waren kaum unterschiedlich (bei 7% bzw. 4% bzw. 5%). Zu „Hypersensitivitäts“-Reaktionen (meist Nasopharyngitis) kam es bei 4% der Probanden in beiden Dapa-Gruppen und bei 1% unter Plazebo. Bei insgesamt sechs Patienten unter Dapa verschlechterte sich die Nierenfunktion und zwei Dapa-Patienten erlitten kardiovaskuläre Ereignisse.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Dapa eine vielversprechende Ergänzung zu Insulin bei DM1 sei. Unverständlich ist, warum nach bereits 24 Wochen Laufzeit Ergebnisse der Interimsanalyse bei einer auf 12 Monate angelegten Studie publiziert werden. Bisher wurde von der FDA (nicht der EMA) als einziges blutzuckersenkendes (und auch die Magenentleerung hemmendes) Medikament und zusätzlichen Wirkstoff zur Insulintherapie Pramlintid (Symlin®) zugelassen (8). Pramlintid ist ein zu injizierendes Amylin-Analog. Amylin ist, wie Insulin, ein Sekretionsprodukt der Betazellen des Pankreas, das bei DM1 fehlt und das die Wirkungen von Insulin physiologisch ergänzt (9).

In einem Kommentar von J.R. Petrie von der Universität Glasgow (8) wird die DEPICT-1-Studie ausführlich diskutiert, wobei es in erster Linie um das Problem der DKA geht. Es ist offensichtlich, dass die strenge Auswahl und der hohe Betreuungsgrad der Patienten in dieser Studie die „Real-world“-Verhältnisse in der Diabetologie nicht wiedergeben. Petrie moniert auch, dass die Studie nur auf 12 Monate Intervention ausgelegt ist, denn die Komedikation mit Dapa müsste – um möglicherweise günstige Effekte bei mikro- und makrovaskulären Komplikationen des DM1 zu erkennen – ja über mehrere Jahre erfolgen. Da SGLT2-Hemmer über die oben erwähnten Mechanismen tendenziell DKA fördern können, erscheinen sie uns für die Behandlung beim Diabetes mellitus Typ 1 wenig geeignet.

Fazit: Der SGLT2-Hemmer Dapagliflozin (5 bzw. 10 mg/d) senkte als Komedikation zu Insulin bei Diabetikern Typ 1 in einem sorgfältig geplanten RCT in 24 Wochen den mittleren HbA1c-Wert um 0,42 bzw. 0,45 Prozent-Punkte im Vergleich zu Plazebo. Die intensiv betreuten und überwachten Probanden mussten initial die Insulindosis etwas reduzieren, um Hypoglykämien zu vermeiden, was auch gelang. DKA, die als schwere Nebenwirkung eingestuft wurden, waren unter Behandlung mit Dapagliflozin häufiger als unter Plazebo und führten meist zum Abbruch der Behandlung in der 10 mg-Gruppe. Ob SGLT2-Hemmer als Zusatzbehandlung zu Insulin bei Typ 1-Diabetikern nicht nur den Surrogat-Parameter HbA1c senken, sondern auch mikro- und makrovaskuläre Komplikationen günstig beeinflussen, kann erst nach mehrjährigen vergleichenden Studien beurteilt werden. Andererseits sind diese Patienten dann auch jahrelang dem Risiko von DKA ausgesetzt. Wir halten eine Zulassung der SGLT2-Hemmer für die Behandlung von Typ 1-Diabetikern angesichts der geringen Erfahrung und der „Real-world“-Verhältnisse in der Diabetologie für riskant.

Literatur

  1. AMB 2013, 47, 52 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 82 Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 52 Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 96. Link zur Quelle
  2. AMB 2017, 51, 75. Link zur Quelle
  3. AMB 2017, 51, 07. Link zur Quelle
  4. Fadini, G.P., et al.: Diabetologia 2017, 60, 1385. Link zur Quelle
  5. Monami, M., et al.: Diabetes Res. Clin. Pract. 2017, 130, 53. Link zur Quelle
  6. Henry, R.R., et al.: Diabetes Care 2015, 38, 2258. Link zur Quelle
  7. Dandona, P., et al. (DEPICT-1 = Dapagliflozin Evaluation in Patients with Inadequately Controlled Type 1 diabetes): Lancet Diabetes Endocrinol. 2017, 5, 864. Link zur Quelle Erratum: Lancet Diabetes Endocrinol. 2017, 5, e8.
  8. Petrie, J.R.: Lancet Diabetes Endocrinol. 2017, 5, 841. Link zur Quelle
  9. Frandsen, C.S., et al.: Lancet Diabetes Endocrinol. 2016, 4, 766. Link zur Quelle