Zwei Fall-Kontroll-Studien weisen auf ein erhöhtes Krebsrisiko unter Langzeittherapie mit ACE-Hemmern (ACEH) sowie dem Diuretikum Hydrochlorothiazid (HCT) hin. Im British Medical Journal berichtet eine Gruppe aus Montreal über eine Assoziation von Lungenkrebs und Therapie mit ACEH (1). Die Informationen kommen aus einer Datenbank, die aus britischen Hausarztpraxen gespeist wird (UK Clinical Practice Research Datalink). Analysiert wurden die Gesundheitsdaten von über 992.000 Patienten, bei denen zwischen 1995 und 2015 eine antihypertensive Therapie begonnen wurde. Es erhielten 208.353 einen ACEH, 16.072 einen AT-II-Rezeptor-Blocker (AT-II-RB) und 767.681 ein anderes Antihypertensivum. Nach durchschnittlich 6,4 Jahren entwickelten 3.186 Patienten mit ACEH und 266 mit AT-II-RB ein Lungenkarzinom. Die berechneten Inzidenzraten betragen 1,6 bzw. 1,2 pro 1.000 Personenjahre, die Hazard Ratio (HR) 1,14 (95%-Konfidenzintervall = CI: 1,01-1,29) zuungunsten von ACEH. Der absolute Unterschied ist jedoch mit 0,4 Fällen auf 1.000 Patientenjahre sehr gering und übersetzt sich in eine Number Needed to Harm (NNH) von 25.000 bei 10 Jahren Therapiedauer. Dabei scheint das Lungenkrebsrisiko mit der Behandlungsdauer anzusteigen. Die adjustierte HR von ACEH gegenüber AT-II-RB beträgt bei ≤ 5 Jahren Therapie 1,1, bei 5-10 Jahren Therapie 1,22, und bei > 10 Jahren Therapie 1,31. Einschränkend muss angemerkt werden, dass sich in anderen Langzeitstudien bislang keine entsprechende Assoziation ergab und dass einige bedeutsame Störfaktoren nicht berücksichtigt wurden, beispielsweise bestimmte sozioökonomische (bevorzugte Verordnung von ACEH an ärmere Menschen?) oder Umweltfaktoren (Radon/Asbest-Exposition?). Darüber hinaus stellt sich natürlich auch die Frage, ob es zulässig ist, alle ACEH in einen Topf zu werfen oder ob es nicht doch unterschiedliche Risiken bei den einzelnen Vertretern gibt.
Prinzipiell ist eine Assoziation zwischen ACEH-Einnahme und Lungenkrebs durchaus plausibel. ACEH erhöhen die Gewebskonzentrationen von Bradykinin und Substanz P, die die Angiogenese von bestimmten Tumoren fördern (2). Die Beobachtung sollte daher weiter verfolgt werden. Gründe für eine Strategieänderung, etwa eine zurückhaltende Verordnung von ACEH, sehen wir derzeit nicht.
Die zweite Assoziation zwischen Antihypertensiva und Tumoren erscheint wesentlich bedeutsamer und stützt sich auf Analysen aus Dänemark. Dort wurden Daten aus 5 nationalen Registern zusammengeführt (u.a. dänisches Krebs- und Arzneimittelverordnungsregister), um einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von HCT und der Entstehung von nicht melanozytärem Hautkrebs (NMSC) zu untersuchen (3). Bereits im Vorjahr war bei einem Vergleich von 633 Fällen mit Plattenepithelkarzinom der Lippen und je 10 gesunden risikogematchten Kontrollen ein Zusammenhang zwischen HCT und dieser Krebsart aufgefallen (4). Es zeigte sich, dass eine langjährige Einnahme von HCT mit einer Kumulativdosis von 100.000 mg mit einem mehr als 7-fach erhöhten Risiko für ein Plattenepithelkarzinom der Lippen assoziiert ist (Odds Ratio = OR: 7,7; CI: 5,7-10,5). Bei geringeren Kumulativdosen war das Risiko ebenfalls erhöht, aber geringer. Somit scheint ein linearer Dosiseffekt vorzuliegen. Auch eine Studiengruppe aus den USA beobachtete diesen Zusammenhang (5). Da es zudem eine pathophysiologische Erklärung gibt – denn HCT hat phototoxische Wirkungen – ist ein Zusammenhang wahrscheinlich.
Nun hat die gleiche dänische Studiengruppe auch nach einer Assoziation von HCT und anderen NMSC gesucht (4). Hierzu wurden 71.553 Patienten mit Basaliom und 8.629 Patienten mit Spinaliom jeweils mit 20 alters- und geschlechtsgleichen Kontrollpersonen aus den besagten Datenbanken verglichen. Eine HCT-Vorbehandlung hatten 11% der Basaliompatienten und 21% der Spinaliompatienten (die jeweiligen Kontrollen 10,4% und 13,1%). Die adjustierte OR für den Zusammenhang mit einer HCT-Therapie betrug für Basaliome insgesamt 1,08 (CI: 1,05-1,10) und für Spinaliome 1,75 (CI: 1,66-1,85). Bei hohen Kumulativdosen (Definition: ≥ 50.000 mg oder ≥ 2.000 Daily Defined Doses) betrug die OR für Basaliome 1,29 (CI: 1,23-1,35) und für Spinaliome 3,98 (CI: 3,68-4,31). Die Einnahme anderer Diuretika und gängiger Antihypertensiva war nicht mit einem erhöhten Risiko für NMSC assoziiert; untersucht wurden u.a. das Thiazid Bendroflumethiazid, das Thiazid-ähnliche Diuretikum Indapamid, sowie Furosemid, Kalziumantagonisten, ACEH und AT-II-RB. Chlorthalidon, für das die meisten Studiendaten bei Hypertonie vorliegen, wurde nicht speziell untersucht. Korrekturen auf andere, im Zusammenhang mit Hautkrebs wichtige Störfaktoren, wie die kumulative lebenslange Sonnenexposition, können anhand der Registerdaten nicht erfolgen. Trotzdem muss auch der Zusammenhang zwischen kumulativer HCT-Dosis und der Entstehung von Basaliomen und Spinaliomen als sehr wahrscheinlich angesehen werden. Die Autoren führen auf der Basis ihrer Berechnungen immerhin 11% aller Lippenkarzinome, 9% aller Spinaliome und 0,6% aller Basaliome in Dänemark auf die Einnahme von HCT zurück.
Auch das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) schloss sich dieser Einschätzung an, und am 17.10.2018 wurde in Deutschland ein Rote-Hand-Brief der Hersteller veranlasst (6). Demnach sollen alle Patienten mit HCT-Therapie über das erhöhte Hautkrebs-Risiko aufgeklärt und angewiesen werden, die Sonnen- und UV-Strahlenexposition einzuschränken. Sie sollen ihre Haut regelmäßig auf Veränderungen untersuchen und bei Auffälligkeiten fachärztlich überwiesen werden. Bei Menschen, die bereits einmal an einem NMSC erkrankt waren, soll die Verordnung von HCT sorgfältig abgewogen werden.
Da zudem genügend sicherere Alternativen bestehen (s.o.), sollte HCT bei Risikopatienten für Hautkrebs und jüngeren Patienten mit absehbar langer Therapiedauer nicht mehr in erster Linie angewendet bzw. auf einen anderen Wirkstoff umgestellt werden. Bei älteren Patienten ohne Hautkrebs-Anamnese erscheint uns die Behandlung mit HCT dagegen weiter vertretbar zu sein.
Fazit: Hydrochlorothiazid (HCT; meist in antihypertensiven Kombinationspräparaten enthalten) scheint bei Langzeitanwendung das Risiko für nicht melanozytären Hautkrebs (Plattenepithelkarzinom der Lippen, Spinaliome, Basaliome) signifikant zu erhöhen. Da es sicherere Alternativen gibt, sollte HCT bei Risikopatienten für Hautkrebs und bei jüngeren Patienten mit absehbar langer Therapiedauer nicht mehr in erster Linie angewendet werden. Hinweise für eine Assoziation von Lungenkrebs und der Langzeitanwendung von ACE-Hemmern bedürfen dagegen erst einer Bestätigung durch weitere Studien.
Literatur
- Hicks, B.M., et al.: BMJ 2018, 363, k4209. Link zur Quelle
- Trifilieff, A., et al.: Eur. Respir. J. 1993, 6, 576. Link zur Quelle
- Pedersen, S.A., et al.: J. Am. Acad. Dermatol. 2018, 78, 673. Link zur Quelle
- Pottegård, A., et al.: J. Intern. Med. 2017, 282, 322. Link zur Quelle
- Nardone, B., et al.: Drug Saf. 2017, 40, 249. Link zur Quelle
- Rote-Hand-Brief vom 17.10.2018. Link zur Quelle