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Chlortalidon oder Hydrochlorothiazid für die antihypertensive Therapie? [CME]

Thiazid-Diuretika wie Hydrochlorothiazid (HCT) und Thiazid-artige Diuretika wie Chlortalidon (CT), Xipamid oder Indapamid senken den Blutdruck und kardiovaskuläre Risiken bei arterieller Hypertonie. Sie haben nach amerikanischen und europäischen Leitlinien eine IA-Empfehlung für die Erstlinien-Therapie [1], [2]. Wir haben mehrfach darüber berichtet [3]. Jetzt steht auch die erste Fassung einer Nationalen Versorgungs-Leitlinie Hypertonie 2023 zur Verfügung – derzeit noch als Konsultationsfassung [4]; sie übernimmt diese Empfehlung.

Es besteht kein wissenschaftlicher Konsens darüber, ob Thiazid-artige Diuretika dem HCT in dieser Indikation überlegen sind [5], [6], [7], [8], wobei die Leitlinien empfehlen, Thiazid-artigen Diuretika, wenn möglich, den Vorzug zu geben. Sie sind stärker und länger wirksam als HCT (CT: Halbwertszeit 40-60 Std. vs. HCT: 6-12 Std.) und in niedriger Dosierung (CT bis 25 mg/d) mit einer stärkeren Blutdrucksenkung über 24 Std. assoziiert [9], [10]. CT 12,5 mg ist 25 mg HCT wirkäquivalent. Hypokaliämien sollen aber unter CT häufiger sein als unter HCT [7], [8]. Trotz der Empfehlung in internationalen Leitlinien, Thiazid-artigen Diuretika den Vorzug zu geben, wurde HCT in den USA [11] und in Deutschland 2021 [12] deutlich häufiger verordnet, allerdings mit abnehmender Tendenz: 181,9 Mio. DDD für HCT (-8,3% im Vergleich zu 2020) vs. 124 Mio. DDD (+24,8%) für CT. Hinweise auf eine erhöhte Inzidenz von nicht-melanozytärem Hautkrebs unter Therapie mit HCT (vgl. [13]) hatten möglicherweise zu dem besonders starken Rückgang der Verordnungszahlen im Jahr 2019 beigetragen. In einer von der Industrie unabhängigen US-amerikanischen Studie wurde jetzt bei älteren Patienten mit Hypertonie der Einfluss von CT im Vergleich zu HCT auf kardiovaskuläre Ereignisse und nicht durch Krebs bedingten Tod analysiert [14].

Studiendesign: In einer offenen multizentrischen prospektiven Vergleichsstudie wurden Patienten mit bekannter arterieller Hypertonie (unter Therapie mindestens 120 mm Hg systolisch) und einem Mindestalter von 65 Jahren eingeschlossen. Eine Basismedikation mit 25 mg oder 50 mg HCT/d war Voraussetzung. Das HCT-Kollektiv setzte die Einnahme von jeweils 25 oder 50 mg HCT/d wie bisher fort, das CT-Kollektiv wurde von HCT auf CT in einer entsprechenden Dosis von 12,5 bzw. 25 mg/d umgestellt. Bei dem offenen Studiendesign konnte die weitere Betreuung durch den Hausarzt erfolgen. Die Ergebnisse wurden Datenbanken der „Veterans Affairs“ entnommen und der Medikamentenkonsum aus entsprechend eingelösten Rezepten erfasst. Der primäre kombinierte Studienendpunkt war die Zeit bis zum Eintritt eines nicht tödlich verlaufenden kardiovaskulären Ereignisses (Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz mit stationärem Aufenthalt, akutes Koronarsyndrom mit dringlicher Revaskularisation und nicht durch Krebs bedingter Tod). Die Sicherheit der Therapie wurde im Hinblick auf Elektrolyt-Entgleisungen, Krankenhausaufnahmen und akutes Nierenversagen analysiert.

Ergebnisse: Von 2016 bis 2021 wurden insgesamt 72 Gesundheits-Datenbanken an 537 US-amerikanischen Zentren abgefragt. 13.523 Probanden waren 1:1 randomisiert worden: 6.756 für CT und 6.767 für HCT, mittleres Alter 72 Jahre, 97% Männer, 77% Weiße. Eine Vorgeschichte von Apoplex oder Myokardinfarkt hatten 10,8%; 44 bzw. 45% waren Diabetiker, 23% hatten eine vorbestehende Niereninsuffizienz und die meisten waren adipös. Die beiden Kollektive stimmten in ihren Basisdaten sehr gut überein. Fast 95% hatten bei Studieneinschluss 25 mg HCT/d eingenommen. Der mittlere systolische Druck war darunter 139 mm Hg. Die Teilnehmer nahmen im Mittel 2,6 blutdrucksenkende Medikamente ein; eine Monotherapie mit HCT hatten nur 13%. Die mediane Tagesdosis betrug 12,3 mg CT und 23 mg HCT.

Nach einer mittleren Nachbeobachtung von 2,4 Jahren hatten 10,4% der Patienten unter CT und 10,0% unter HCT ein Endpunkt-Ereignis (Hazard Ratio = HR: 1,04; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,94-1,16; p = 0,45). Die Ereignisrate war mit 4,5%/Jahr (CT) bzw. 4,3%/Jahr (HCT) nahezu gleich. Das galt im Einzelnen auch für Herzinfarkte (HR: 1,01), Schlaganfälle (1,0), Herzinsuffizienz (1,04), koronare Revaskularisation (1,54) und nicht durch Krebs bedingten Tod (1,01). Die Inzidenz von Todesfällen gleich welcher Ursache war in beiden Kollektiven mit 6,6% identisch (HR: 1,00; CI: 0,87-1,13). Vor Studienbeginn definierte Subgruppen zeigten für den primären Endpunkt nur einen Unterschied in der Gruppe mit Herzinfarkt und Schlaganfall in der Vorgeschichte: 14,3% unter CT vs. 19,4% unter HCT (HR: 0,73). Für Probanden ohne diese Anamnese ergab sich dagegen ein geringer Vorteil für HCT: 9,9% unter CT vs. 8,9% unter HCT; HR: 1,12. Stationäre Aufenthalte gleich welcher Ursache waren mit 27% in beiden Kollektiven identisch, auch in Bezug auf akutes Nierenversagen (ca. 7%). Die Autoren halten den Unterschied bei Patienten mit Herzinfarkt-Anamnese für einen Zufallsbefund ohne Plausibilität.

Hypokaliämien waren unter CT signifikant häufiger als unter HCT (6,0% vs. 4,4%; HR: 1,48; p < 0,001), verbunden mit häufigeren Laboruntersuchungen. Das gilt auch für stärkere Hypokaliämien < 3,1 mmol/l (5% vs. 3,6%); sie führten aber nur bei 1,5% (CT) bzw. 1,1% (HCT) zu einer Krankenhauseinweisung (HR: 1,35). Aus dem CT-Kollektiv wechselten 15,4% zurück zu HCT, umgekehrt nur 3,8%, da bei Einschluss 95% bereits auf HCT eingestellt waren und in dem offenen Studiendesign ein neues Medikament mehr Aufmerksamkeit und Kontrolle erhält.

Die Autoren merken kritisch an, dass frühere Studien günstige Effekte von Thiazid-Diuretika auf kardiovaskuläre Endpunkte in höheren Dosierungen (HCT ≥ 50 mg/d, CT ≥ 25 mg/d) gefunden haben [15], die in dieser Studie aber nur von sehr wenigen Teilnehmern eingenommen wurden (ca. 5%). Wir hatten vor hohen Dosierungen seinerzeit gewarnt [16], weil sie zu keiner weiteren Blutdrucksenkung führen, aber zu mehr Nebenwirkungen, insbesondere bei dem lang wirkenden CT. Diese gut konzipierte Studie zeigte nach > 2 Jahren klinisch keinen Vorteil für eines der beiden Diuretika. Zu diesem Schluss kommt auch ein Kommentator im begleitenden Editorial [17].

Fazit

Eine prospektive randomisierte Vergleichsstudie zeigte keinen Vorteil von Chlortalidon (CT) im Vergleich zu Hydrochlorothiazid (HCT) hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse und nicht durch Krebs bedingter Todesfälle bei der antihypertensiven Therapie von Patienten ≥ 65 Jahren. Die Ergebnisse gelten für den niedrigen Dosisbereich von 12,5 mg CT/d bzw. 25 mg HCT/d. Sie dürfen nicht auf höhere Dosierungen übertragen werden, vor denen wir erneut warnen wegen des Risikos für relevante Hypokaliämien, besonders unter CT.

Literatur

  1. Whelton, P.K., et al.: Hypertension 2018, 71, e13. (Link zur Quelle)
  2. Williams, B., et al.: Eur. Heart J. 2018, 39, 3021. (Link zur Quelle)
  3. AMB 2018, 52, 76. AMB 2017, 51, 89. AMB 2015, 49, 73. (Link zur Quelle)
  4. AWMF-Register-Nr. nvl-009. (Link zur Quelle)
  5. Dorsch, M.P., et al.: Hypertension 2011, 57, 689. (Link zur Quelle)
  6. Roush, G.C., et al.: Hypertension 2012, 59, 1110. (Link zur Quelle)
  7. Dhalla, I.A., et al.: Ann. Intern. Med. 2013, 158, 447. (Link zur Quelle)
  8. Hripcsak, G., et al.: JAMA Intern. Med. 2020, 180, 542. (Link zur Quelle)
  9. Ernst, M. E., et al.: Hypertension 2006, 47, 352. (Link zur Quelle)
  10. Bakris, G.L., et al.: Am. J. Med. 2012, 125, 1229. (Link zur Quelle)
  11. Centers for Medicare and Medicaid Services. Medicare Part D spending by drug. 2020: (Link zur Quelle)
  12. Oßwald, H., und Mühlbauer, B.: Diuretika. In: Ludwig, W.-D., Mühlbauer, B., Seifert, R. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2022. Springer-Verlag Berlin, im Druck.
  13. AMB 2018, 52, 84. (Link zur Quelle)
  14. Ishani, A., et al. (DCP = Diuretic Comparison Project): N. Engl. J. Med. 2022, 387, 2401. (Link zur Quelle)
  15. ALLHAT = Antihypertensive and Lipid-Lowering treatment to prevent Heart Attack Trial: JAMA 2002, 288, 2981. (Link zur Quelle)
  16. AMB 2020, 54, 19. (Link zur Quelle)
  17. Ingelfinger, J.R.: N. Engl. J. Med. 2022, 387, 2462. (Link zur Quelle)