Die Appendektomie gilt als Therapie der Wahl bei akuter Appendizitis in allen Altersgruppen (1, vgl. 2). Von einigen Autoren wird jedoch auch ein konservatives Vorgehen als Therapieoption für ausgewählte Patienten empfohlen, beispielsweise in der aktuellen Leitlinie der „World Society of Emergency Surgery“ (3). Eine deutschsprachige Leitlinie zur Therapie der Appendizitis ist bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zurzeit nicht registriert. Die Empfehlung für ein konservatives Vorgehen beruht auf randomisierten Studien und Metaanalysen (5), deren Aussagekraft allerdings eingeschränkt ist, beispielsweise weil die Studien klein waren oder Risikogruppen ausgeschlossen wurden, darunter Patienten mit Appendikolithen (Kotsteinen in der Appendix), die zu einem komplizierten Verlauf mit Perforation oder Abszedierung führen können (4). Nun wurden die Ergebnisse der CODA-Studie veröffentlicht. Sie ist mit über 1.500 Studienteilnehmern die bisher größte Studie zu dieser Thematik, und es wurden auch Patienten mit Appendikolithen eingeschlossen (5).
Studiendesign: In der nicht verblindet durchgeführten Nicht-Unterlegenheitsstudie wurden Erwachsene mit einer Appendizitis randomisiert behandelt mit einer Appendektomie oder einer 10-tägigen antibiotischen Behandlung. Eingeschlossen wurden Patienten mit einer akuten unkomplizierten Appendizitis; eine Perforation in der Bildgebung ohne Anhalt für weitere Komplikationen war kein Ausschlusskriterium. Patienten mit primär septischem Schock, diffuser Peritonitis, Phlegmone, Abszess, freier abdomineller Luft und Rezidiv-Appendizitis waren dagegen ausgeschlossen. Die Studie wurde in 25 Kliniken in den USA durchgeführt und durch das US-amerikanische „Patient-Centered Outcomes Research Institute“ finanziert, eine Non-Profit-Organisation.
Für die Patienten in der Gruppe mit der konservativen Therapie wählten die behandelnden Ärzte Antibiotika nach US-amerikanischen Leitlinien aus. Die Antibiotika wurden initial intravenös angewendet, danach oral. Für die Appendektomie waren sowohl offene als auch laparoskopische Verfahren erlaubt. Primärer Endpunkt der Studie war die gesundheitsbezogene Lebensqualität nach 30 Tagen, die mit dem „European Quality of Life 5 Dimensions“ (EQ-5D)-Fragebogen erhoben wurde. Dieser bewertet die Lebensqualität anhand von 5 Fragen mit jeweils 0 oder 1 Punkt; höhere Werte in der Summe zeigen eine bessere Lebensqualität an. Der kleinste klinisch relevante Unterschied beträgt 0,05 Punkte. Dieser Wert wurde in der CODA-Studie als Nicht-Unterlegenheitsgrenze festgelegt. Die Patienten wurden 24 Stunden nach Entlassung befragt sowie nach 1, 2 und 4 Wochen, danach vierteljährlich über ein Jahr und dann weiter in jährlichem Abstand. Sekundäre Endpunkte waren u.a. die Rate von Appendektomien in der Antibiotika-Gruppe und Komplikationen bis zum Tag 90.
Ergebnisse: Zwischen Mai 2016 und Februar 2020 wurden insgesamt 1.552 Patienten randomisiert, davon 414 mit Appendikolithen. Die Patienten waren durchschnittlich 38 Jahre alt; 63% waren Männer. Die Appendektomie wurde bei 96% der Patienten laparoskopisch durchgeführt. Im Antibiotika-Arm wurden 53% stationär behandelt, 47% wurden nach Therapieeinleitung und vordefinierten Kriterien (afebril, unauffällige Vitalzeichen, Schmerzkontrolle, orale Flüssigkeitsaufnahme möglich, Nachsorge gewährleistet etc.) wieder aus der Notaufnahme entlassen. Die häufigsten verwendeten Antibiotika waren: initial parenteral Ertapenem, Cefoxitin oder Metronidazol plus Ceftriaxon, Cefazolin oder Levofloxazin, gefolgt von einer oralen Behandlung mit Metronidazol plus Ciprofloxazin oder Cefdinir. Alle entlassenen Patienten wurden 24-48 Stunden nach Entlassung telefonisch kontaktiert.
Der durchschnittliche Punktwert des EQ-5D nach 30 Tagen war in der Antibiotika-Gruppe nicht schlechter als in der Appendektomie-Gruppe (durchschnittlicher Unterschied 0,01 Punkte (95%-Konfidenzintervall = CI: -0,001 bis 0,03). Auch bei Patienten mit Appendikolith ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Nach 90 Tagen war bei 29% der Patienten in der Antibiotika-Gruppe eine Appendektomie durchgeführt worden. Bei Patienten mit Appendikolith war der Anteil höher als bei Patienten ohne Appendikolith (41% vs. 25%). Komplikationen waren in der Antibiotika-Gruppe häufiger (8,1 vs. 3,5 pro 100 Teilnehmer). Dies waren oft intraabdominelle Abszesse und andere Infektionen einschließlich Sepsis, die aber bei keinem Patienten tödlich waren. Die höhere Rate von Komplikationen ließ sich auf Patienten mit Appendikolith zurückführen (20,2 vs. 3,6 pro 100 Teilnehmer). Patienten in der Antibiotika-Gruppe konnten schneller wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren als Patienten aus der Appendektomie-Gruppe (durchschnittliche Zahl von Fehltagen 5,26 vs. 8,73 nach 90 Tagen). Allerdings bestand bei ihnen ein höheres Risiko für eine weitere Behandlung im Krankenhaus (24% vs. 5%), beispielsweise für eine Appendektomie. Hinsichtlich der Raten von schweren Nebenwirkungen bestand statistisch kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen (4,0 vs. 3,0 pro 100 Teilnehmer). Bei einem Patienten aus der Antibiotika-Gruppe kam es zu einer lebensbedrohlichen Arzneimittelreaktion. Neoplasien in der Appendix wurden bei 9 Patienten identifiziert, davon 7 in der Appendektomie-Gruppe und 2 in der Antibiotika-Gruppe, die im Verlauf appendektomiert wurden.
Die Aussagekraft der Studie ist dadurch eingeschränkt, dass die Beobachtungszeit in dieser Auswertung auf 90 Tage begrenzt war. Die Auswertungen weiterer Erhebungen werden in einem Jahr erwartet. Außerdem stimmten nur ca. 30% der Patienten einer Randomisierung zu, mit Unterschieden zwischen den Studienzentren. Dies kann auf einen Selektionsbias hinweisen.
In einem Editorial führt der Chirurg Danny Jacobs aus, dass er Patienten mit einer unkomplizierten Appendizitis angesichts der geringen Komplikationsrate der laparoskopischen Appendektomie weiterhin zu einer Operation raten würde (6). Die Vorteile einer antibiotischen Behandlung seien aber möglicherweise ausgeprägter, wenn Kapazitäten für Operationen eingeschränkt würden, wie aktuell während der SARS-CoV-2-Pandemie. Es sei wichtig sicherzustellen, dass die Entscheidung für die Art der Therapie nicht bestimmte Patienten benachteilige und beispielsweise unabhängig von der Hautfarbe oder vom sozioökonomischen Status getroffen werde.
Fazit: Eine Studie bei Patienten mit akuter Appendizitis zeigt, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität nach 30 Tagen mit einer antibiotischen Behandlung nicht schlechter ist als mit einer Appendektomie. Ungefähr 7 von 10 Patienten aus der Antibiotika-Gruppe war 3 Monate nach Randomisierung eine Operation erspart geblieben. Patienten mit Appendikolith hatten allerdings ein erhöhtes Risiko für Komplikationen und eine notwendige Appendektomie im Verlauf. Nach ausführlicher Aufklärung insbesondere über möglicherweise lebensbedrohliche Infektionen scheint uns bei ausgewählten Patienten mit einer unkomplizierten Appendizitis ein Therapieversuch mit Antibiotika möglich, wenn die Patienten dies wollen und das höhere Komplikations- und Rezidivrisiko akzeptieren. Für das Gespräch mit den Patienten zu den Vor- und Nachteilen der unterschiedlichen therapeutischen Vorgehensweisen hat das „American College of Surgeons“ die Ergebnisse der CODA-Studie übersichtlich zusammengestellt (7).
Literatur
- Téoule, P., et al.: Dtsch. Arztebl. Int. 2020, 117, 764. Link zur Quelle
- AMB 2015, 49, 52b Link zur Quelle . AMB 2011, 45, 47a. Link zur Quelle
- Di Saverio, S., et al.: World J. Emerg. Surg. 2020, 15, 27. Link zur Quelle
- Kaya, B., und Eris, C.: Clin. Med. Insights Pathol. 2011, 4, 1. Link zur Quelle
- Flum, D.R., et al. (CODA = Comparison of Outcomes of antibiotic Drugs and Appendectomy): N. Engl. J. Med. 2020, 383, 1907. Link zur Quelle
- Jacobs, D.: N. Engl. J. Med. 2020, 383, 1985. Link zur Quelle
- https://www.facs.org/-/media/files/press-releases/ cc20-infographics/coda_results_infographic_final.ashx Link zur Quelle