Seit Beginn der Pandemie mit dem neuen SARS-CoV-2 wird viel Hoffnung an die Entwicklung von Impfstoffen geknüpft, und das Rennen um das Milliarden-Geschäft wurde mit großem publizistischem Wirbel eröffnet. Allerdings ist nicht klar, auf welchem technischen Weg eine schützende und verträgliche Immunantwort gegen diese Infektion erreicht werden soll. Durch eine Impfung könnte nämlich auch eine gefährliche Immunreaktion ausgelöst werden, wie bei einigen Patienten mit der natürlichen SARS-CoV-2-Infektion. Auch ist nicht genau bekannt, ob Patienten, die nach einer Impfung Antikörper entwickelt haben, bei einer späteren Infektion einen schlimmeren Verlauf von COVID-19 durchmachen (wie beispielsweise beim Dengue-Fieber und manchen Menschen nach Gelbfieber-Impfung). Es gibt nämlich Antikörper, die eine Infektion verstärken können. Sie binden zwar an die Oberfläche von Viren, neutralisieren diese jedoch nicht, sondern begünstigen sogar die Aufnahme des Virus in die Wirtszellen sowie ihre Vermehrung und Ausbreitung. Dieses Phänomen wird als antikörperabhängige Verstärkung (engl.: antibody dependent enhancement; 1) bezeichnet und kann ein Problem bei der Entwicklung von Impfstoffen sein. Bei der weitverbreiteten Hoffnung, dass die gesundheitlichen Konsequenzen von COVID-19 durch einen Impfstoff gelöst werden, darf man auch nicht vergessen, dass die Infektion meist asymptomatisch oder mit geringen Symptomen verläuft (2). Das bedeutet, ein solcher Impfstoff sollte bei einem Masseneinsatz gegen diese Infektion mit der verhältnismäßig nicht sehr hohen Sterblichkeit gut wirksam und gut verträglich sein, d.h. ein günstiges Verhältnis von Nutzen zu Risiko haben. Jetzt wurden die ersten Ergebnisse von zwei Phase-II-Studien im Lancet online publiziert (3, 4).
Methodik: In beiden Studien wurden Adenovirus-Vektor-Impfstoffe verwendet. Diese bestehen aus nicht pathogenen, replikativen Adenoviren, die in ihrem Genom die Information für die Expression der entsprechenden Antigene von SARS-CoV-2 haben. Das Impfantigen wird bei solchen Vektor-Impfstoffen also in den eigenen Zellen des Geimpften produziert. In der chinesischen Studie wurde ein Adenovirus-Typ 5-Vektor, in der englischen Studie ein Schimpansen-Adenovirus-Vector-System (ChAdOx1 nCoV-19) verwendet. Durch beide Impfstoffe sollten neutralisierende Antikörper induziert werden, die die Bindung des Virus an die Wirtszelle verhindern.
Die chinesische Studie war randomisiert, plazebokontrolliert, doppelblind und wurde an einem Zentrum in Wuhan durchgeführt. Eingeschlossen wurden HIV-negative Erwachsene ab 18 Jahren, die zuvor keine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten. Zwei Dosierungen des Impfstoffs (1 × 1011 Viruspartikel/ml oder 5 × 1010 Viruspartikel/ml) wurden einmalig i.m. injiziert und die Wirksamkeit mit Plazebo verglichen. Die Randomisierung erfolgte 2:1:1. Der primäre Endpunkt war die Bildung spezifischer Antikörper gegen die Bindungsdomäne an Tag 28 nach der Impfung. Der primäre Endpunkt für die Sicherheit war das Auftreten von Nebenwirkungen (NW) bis Tag 14.
Die englische Publikation fasste die Phase-I- und II-Studien zusammen. Sie war ebenfalls monozentrisch und verglich den Impfstoff mit einem Meningokokken-Impfstoff (MenACWY) als Kontrolle. In die Studien wurden Freiwillige im Alter zwischen 18 und 55 Jahre aufgenommen, die bisher keine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten. Die Randomisierung erfolgte 1:1. In dieser Studie wurde bei 10 Freiwilligen nach der ersten Dosis eine zweite nach 28 Tagen verabreicht. NW wurden bis Tag 28 nach Impfung registriert. In beiden Studien wurde neben der Antikörper-Antwort auch die T-zelluläre Antwort auf die SARS-CoV-2-Spike-Antigene untersucht.
Ergebnisse: An der chinesischen Studie nahmen 508 Freiwillige teil (je zur Hälfte Männer und Frauen; medianes Alter 39,7 Jahre). Die höhere Dosis wurde 253, die niedrigere 129 und Plazebo 126 Teilnehmern verabreicht. In den beiden Verum-Gruppen wurden in signifikanter Menge neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 induziert, mit einer Serumkonversionsrate von 96% (95%-Konfidenzintervall = CI: 93-98) nach der höheren Impfdosis und von 97% (CI: 92-99) nach der geringeren Impfdosis an Tag 28 nach Impfung. Die biologische Wirksamkeit der im ELISA gemessen neutralisierenden Antikörper konnte auch in der Zellkultur bestätigt werden. Für die T-zelluläre Immunantwort wurde noch die spezifische Interferon-gamma-Induktion im Elispot-Test gemessen. Hier zeigte sich eine Antwort bei 227 (90%; CI: 85-93) von 253 in der Gruppe mit der höheren Impfdosis und bei 113 (88%; CI: 81-92) von 129 in der Gruppe mit der niedrigeren Impfdosis. NW wurden bei 24 (9%) in der Gruppe mit der höheren und bei einem (1%) in der Gruppe mit der niedrigeren Impfdosis registriert. Schwere NW traten nicht auf.
In die englische Studie wurden 1.077 Teilnehmer eingeschlossen, 543 erhielten den SARS-CoV-2-Impfstoff und 534 den Meningokokken-Impfstoff. Lokale und systemische Entzündungsreaktionen waren häufig nach dieser Impfung; es wurde versucht, mit Paracetamol die Symptome zu mildern. Schwerwiegende NW wurden nicht beobachtet. Die spezifische T-Zellreaktion zeigte ein Maximum 14 Tage nach Impfung. Neutralisierende Antikörper waren ab Tag 28 nachweisbar und stiegen nach der zweiten Impfung (Boosterung) weiter an. In dieser Studie wurde nur stichprobenartig auf die funktionelle Wirksamkeit der neutralisierenden Antikörper untersucht, aber auch hier zeigte sich eine gute Korrelation mit dem ELISA.
Fazit: Zwei Adenovirus-Vektor-basierte Impfstoffe, die das Spike-Protein von SARS-CoV-2 exprimieren, zeigten eine gute Induktion neutralisierender Antikörper und eine spezifische T-Zellantwort bei tolerabler Verträglichkeit, sodass mit diesen beiden Impfstoffen Phase-III-Studien beginnen können.
Literatur
- Sol M. Cancel Tirado, und Kyoung-Jin: Viral Immunol. 2003, 16, 69. Link zur Quelle
- AMB 2020, 54, 09 Link zur Quelle . AMB 2020, 54, 30. Link zur Quelle
- Zhu, F.-C., et al.: Lancet 2020: Link zur Quelle
- Folegatti, P.M., et al.: Lancet 2020: Link zur Quelle