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Leserbrief: Tafamidis bei der ATTR-Amyloidose

Frage von Dr. K. aus S.: >> Eine 85-jährige Patientin war wegen zunehmender Ödeme und Belastungsdyspnoe beim Kardiologen. Dieser diagnostizierte eine Linksherzhypertrophie und eine diastolische Herzinsuffizienz. Nach einer Szintigrafie wurde dann noch die Diagnose einer „kardialen ATTR-Amyloidose vom Wildtyp“ gestellt und eine Enzymbehandlung mit Tafamidis (Vyndaqel®, 1 x 61 mg/d) begonnen. Diese Therapie ist extrem teuer! Die erhoffte Besserung der Symptome hat sich nach 7 Monaten nicht eingestellt. Ich sehe in Fachzeitungen nun häufiger Werbung für dieses Arzneimittel und in Laienzeitschriften eine Awareness-Kampagne zu kardialen Amyloidosen. Wie effektiv ist diese Therapie, und sind die hohen Kosten gerechtfertigt? <<

Antwort: >> Die Transthyretin-Amyloidose (ATTR-AM) ist eine von inzwischen > 30 bekannten Amyloidose-Formen. Bei diesen heterogenen Speichererkrankungen lagern sich fehlerhaft gefaltete Proteine als lösliche Fibrillen in den Geweben ab und führen dort zu Funktionsstörungen (Übersicht bei 1). Über 95% der kardialen Amyloidosen werden durch Ablagerungen von defektem Transthyretin, einem Transporteiweiß für Thyroxin und Vitamin A, in der Herzmuskulatur verursacht, die übrigen durch Paraproteine (Leichtketten- oder AL-Amyloidose; 2).

Bei der ATTR-AM werden ursächlich zwei Typen unterschieden: die seltene hereditäre Form mit > 100 bekannten Mutationen und die wesentlich häufigere Wildtyp-Form, die sich erst im höheren Lebensalter manifestiert und vormals auch als „senile systemische Amyloidose“ bezeichnet wurde (1). Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen. Zur Prävalenz der Wildtyp-ATTR-AM gibt es unterschiedliche Schätzungen. In Autopsieserien wurde bei jedem vierten Verstorbenen > 80 Jahre Amyloid in der Herzmuskulatur gefunden (3). Die meisten Autoren gehen derzeit davon aus, dass bei > 10% der über 60-Jährigen mit Linksherzhypertrophie und Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) eine ATTR-AM vorliegt (2).

Die Symptome bei ATTR-AM entsprechen denen bei HFpEF (Belastungsluftnot, Ödeme, Müdigkeit). Zudem können Störungen der kardialen Reizleitung (Bradyarrhythmien, Synkopen) und kardiale Embolien auftreten. Extrakardiale Manifestationen sind Karpaltunnel-Syndrom, Rupturen der Bizepssehne, Stenosen des Spinalkanals und sensomotorische Polyneuropathien. Im Blut finden sich hohe NT-proBNP-Spiegel, erhöhte Troponin- und Kreatininwerte und außerdem eine Proteinurie.

Die mediane Lebenserwartung bei Wildtyp-ATTR-AM wird mit knapp 4 Jahren angegeben, wobei das Lebensalter und das Krankheitsstadium berücksichtigt werden müssen. Unbehandelt sterben 22% der Patienten innerhalb von 15 Monaten nach Diagnosestellung (4). Die Prognose der hereditären ATTR-AM und der anderen kardialen Amyloidosen ist deutlich schlechter.

Die Diagnose stützt sich neben der Anamnese auf die Befunde der Echokardiografie (ursächlich unklare Linksherzhypertrophie mit Verdichtung der Myokardstruktur), des kardialen MRT, spezifische Laboranalysen (Ausschluss von freien Kappa- und Lambda-Leichtketten im Serum und Sammelurin, Mutationsanalysen) und eine Szintigrafie (Aufnahme eines bestimmten Tracers, z.B. 99mTc-DPD, in den Herzmuskel). Die Sensitivität dieses diagnostischen Pfades wird mit > 99% angegeben, die Spezifität mit 86% (4). Das impliziert, dass eine von sieben derart gestellten Diagnosen in Frage zu stellen ist. Bei einer angenommenen Krankheits-Prävalenz von 10% beträgt der positiv prädiktive Wert (PPV) dieses Pfades nur 44%. Die Endomyokardbiopsie ist spezifischer, hat bei der ATTR-AM, verglichen mit der AL-Amyloidose, jedoch einen geringeren und derzeit noch unklaren Stellenwert (geringere Sensitivität durch „sampling error“, unklare Nutzen-Risiko-Relation).

Tafamidis bindet als Chaperon (ein Eiweiß, dass für eine korrekte Faltung komplexer Proteine sorgt) an Transthyretin und verhindert dessen Aufspaltung in Monomere, die für die Infiltration der Gewebe verantwortlich sind. Das Medikament wurde 2011 als Orphan Drug für die Behandlung der familiären Amyloid-Polyneuropathie vom Transthyretin-Typ zugelassen. Tafamidis verlangsamt signifikant diese fortschreitende, seltene Polyneuropathie-Form (5). Im Jahr 2020 erfolgte in der EU die Indikationserweiterung zur Behandlung der kardialen Amyloidose, sowohl für die hereditäre als auch für die Wildtyp-Form. Diese Entscheidung ging auf die ATTR-ACT-Studie zurück (6). In dieser multizentrischen Doppelblindstudie erhielten 441 Patienten mit ATTR-AM über 30 Monate Tafamidis in zwei Dosierungen (80 bzw. 20 mg/d oral) oder Plazebo. Das mediane Alter der eingeschlossenen Patienten betrug 75 Jahre, 90% waren Männer, bei drei Vierteln wurde eine Wildtyp-ATTR und bei einem Viertel eine hereditäre Form diagnostiziert. Nach 30 Monaten lebten im Plazebo-Arm noch 57,1% und in den gepoolten Tafamidis-Armen 70,5% (Number Needed to Treat: 8). Der Überlebensvorteil mit Tafamidis wird in den Kaplan-Meier-Kurven nach 18 Monaten erkennbar. Nach Analyse prädefinierter Subgruppen profitieren von Tafamidis in erster Linie Patienten in frühen NYHA-Stadien (I und II); für fortgeschrittenere Stadien ist derzeit kein Nutzen belegt.

Krankenhausaufnahmen waren mit Tafamidis signifikant seltenerer (52,3% vs. 60,5%; Relative Risk Ratio: 0,68), die 6-Minuten-Gehstrecke nahm weniger stark ab (-50 m vs. -125 m bei einem Ausgangswert von 350 m), ebenso wie die Lebensqualität (-8 vs. -21 Punkte auf der 100-Punkte-Skala des Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire bei einem Ausgangswert von 66 Punkten). Tafamidis war in dieser Studie ähnlich verträglich wie Plazebo. Es gibt Risikohinweise auf vermehrt Katarakte, Pneumonien und Zustände mit Kraftlosigkeit. Zudem wurden Anstiege der Transaminasen beobachtet.

Es ist wichtig festzuhalten, dass Tafamidis die Symptome nicht bessert, sondern nur die Verschlechterung der Symptome verzögert und dass sich ein Überlebensvorteil bei den meist älteren Patienten frühestens nach 18 Monaten zeigt. Dies muss bei der Verordnung berücksichtigt und mit den Betroffenen besprochen werden. Für diesen Nutzen ist der von der Firma aufgerufene Preis geradezu obszön, ähnlich wie bei anderen Orphan Drugs (7): die Jahrestherapiekosten für 61 mg/d betragen in Deutschland 320.000 €, in Österreich 216.000 € und in den USA 225.000 $. Zum Vergleich: Eine Herztransplantation mit intensivmedizinischer Komplexbehandlung erlöst in Deutschland derzeit knapp 120.000 € (7).

Zur Kosteneffektivität von Tafamidis bei der kardialen ATTR-AM wurde im Februar dieses Jahres eine interessante Analyse veröffentlicht (8). Würden in den USA alle in Frage kommenden Patienten mit Tafamidis behandelt (Schätzung rund 400/1 Mio Einwohner), würden die jährlichen Gesundheitsausgaben dort um 32 Mrd. US-$ steigen. Die Autoren berechnen, dass der Einsatz von Tafamidis unter Berücksichtigung der genannten Therapieffekte zu einem Zugewinn von 1,29 qualitätsbereinigten Lebensjahren (QALYs) führt zu einem Preis von 1,1 Mio. US-$ pro QALY. Um kosteneffektiv zu sein (Referenz 100.000 US-$ pro QALY) muss die Firma also den Preis um > 90% senken! <<

Literatur

  1. Ihne, S., et al.: Dtsch. Arztebl. Int. 2020, 117, 159. Link zur Quelle
  2. Yilmaz, A., et al.: Kardiologe 2019, 13, 264. Link zur Quelle
  3. Cornwell, G.G., et al.: Am. J. Med. 1983, 75, 618. Link zur Quelle
  4. Ruberg, F.L., et al. (TRACS = TRansthyretin Amyloidosis Cardiac Study): Am. Heart J. 2012, 164, 222. Link zur Quelle
  5. Gillmore, J.D., et al.: Circulation 2016, 133, 2404. Link zur Quelle
  6. Maurer, M.S., et al. (ATTR-ACT = Tafamidis in Transthyretin Amyloidosis Clinical Trial) N. Engl. J. Med. 2018, 379, 1007. Link zur Quelle
  7. Marselis, D., und Hordjik, L: BMJ 2020, 370, m2983. Link zur Quelle
  8. https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/ Krankenhaus-Wie-Fallpauschalen-fuer-Kostendruck-sorgen, fallpauschale102.html Link zur Quelle
  9. Kazi, D.S., et al.: Circulation 2020, 141, 1214. Link zur Quelle