Zusammenfassung: Anhaltende Schlafstörungen bei Erwachsenen und ihre Behandlung sind ein sehr häufiges Problem in der Hausarztmedizin. Eine aktuelle randomisierte Studie zeigt, dass eine initiale Behandlung chronischer Schlafstörungen mit einfachen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen ähnlich wirksam ist wie eine Behandlung mit einem Hypnotikum (Remissionsrate ca. 35%). Allerdings verlängerten Hypnotika (hier Zolpidem bzw. Trazodon) die Schlafdauer stärker als die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. Eine Behandlungssequenz mit primärer Verhaltenstherapie und anschließender dreimonatiger Weiterbehandlung der „Non-Responder“ mit Hypnotika (oder vice versa) erhöht die Remissionsrate auf 50%-60%. Diese Ergebnisse bestätigen die Empfehlungen geltender Behandlungsleitlinien, wonach eine kognitive Verhaltenstherapie wegen der vielen unerwünschten Wirkungen einer Langzeittherapie mit Hypnotika die erste Wahl bei Behandlung von Schlaflosigkeit ist. Hausärzte sollten sich mit dieser Technik vertraut machen.
Die Prävalenz chronischer Schlafstörungen in der Gesamtbevölkerung wird auf knapp 10% geschätzt, bei Patienten in Hausarztpraxen sogar auf 30% (1). Oft bestehen Begleit- und Folgeerkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Substanzabusus, „Restless Legs“-Syndrom, Schlaf-Apnoe oder neurodegenerative Erkrankungen.
Eine chronische Schlafstörung ist dadurch definiert, dass die Betroffenen über einen Zeitraum von mindestens einem Monat Ein- und/oder Durchschlafstörungen mit Beeinträchtigung ihrer Befindlichkeit oder Leistungsfähigkeit am Tag haben (2). Zur Diagnose und auch zur Bemessung des Therapieeffekts werden die Schlafqualitäten wie Einschlaflatenz, Schlafdauer, Frequenz und Dauer des nächtlichen Aufwachens sowie der Erholungseffekt mit Hilfe von Schlaftagebüchern und Fragebögen bewertet. Das Ausmaß und der Schweregrad einer Schlafstörung kann mit Hilfe von Scores wie dem Pittsburgher Schlafqualitäts-Index (PSQI) oder dem „Insomnia Severity Index“ (ISI) abgeschätzt werden. Eine ergänzende Polysomnographie kann bei einzelnen Patienten hilfreich sein (Messung von Atmung, Sauerstoffgehalt des Bluts, Herz- bzw. Pulsfrequenz, Körperlage sowie Elektroenzephalographie, Elektromyographie und Elektrookulographie im Schlaflabor). Nicht selten besteht eine Diskrepanz zwischen subjektiv erlebter Schwere der Insomnie und dem polysomnographischen Befund. Als wenig hilfreich zur Diagnostik werden bislang die am Markt befindlichen Schlaf-Tracking-Apps bewertet (3).
Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle, wie es zur Schlaflosigkeit kommt. Die meisten Modelle basieren auf dem sogenannten 3-P-Modell („Predisposing, Precipitating, Perpetuating“). Demnach gibt es begünstigende Faktoren (z.B. Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus oder maladaptiver Perfektionismus), auslösende Faktoren (z.B. Schmerzen, arbeitsbezogener oder interpersoneller Stress, Lärm) und aufrechterhaltende Faktoren (z.B. dysfunktionales Verhalten wie die Verwendung des Betts als Arbeitsplatz). Als gemeinsame Endstrecke wird dann eine persistierende Übererregung auf kognitiver, emotionaler und physiologischer Ebene postuliert („Hyperarousal“-Modell).
Auch Arzneimittel können Schlaflosigkeit begünstigen oder verursachen („treatment induced insomnia“). Hierzu zählen u.a. einige aktivierende Antidepressiva, Carbidopa/Levodopa, Betablocker, Beta2-Mimetika, Donepezil, Glukokortikosteroide und Opiate (Übersicht bei 4). Dies muss bei der Differenzialdiagnose berücksichtigt werden, da ein Auslassversuch im Einzelfall lohnend sein kann.
Die spezifische Behandlung der chronischen Schlaflosigkeit lässt sich, neben der Beseitigung von ursächlichen und begünstigenden Faktoren, in drei Bereiche unterteilen: gezielte Verhaltensintervention, Arzneimitteltherapie und weitere, unterstützende Maßnahmen wie Meditation, Lichttherapie, Musiktherapie u.a. Die S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) vom 31.12.2017 (gültig bis 30.12.2022) empfiehlt als primäre Behandlungsoption bei Erwachsenen eine speziell für Insomnie entwickelte kognitive Verhaltenstherapie (KVT-I; Empfehlungsgrad A). Dabei handelt es sich um einen professionell begleiteten Prozess, der aus verschiedenen Komponenten wie Entspannungsübungen, Psychoedukation oder Methoden zur Veränderung dysfunktionaler Überzeugungen besteht (s. Tab. 1, Teil C). In der Regel sind hierfür 4-8 Sitzungen bei psychotherapeutisch ausgebildeten Ärzt(inn)en oder klinischen Psycholog(inn)en erforderlich. Welche Bedeutung Apps für die KVT-I in Zukunft haben werden, ist noch offen. Eine Beschäftigung mit diesen Strategien sollte allen hausärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte empfohlen werden.
Schlafmittel können laut S3-Leitlinie eingesetzt werden, wenn die KVT-I nicht hinreichend effektiv war oder nicht durchführbar ist. Zum kurzzeitigen Gebrauch (3-4 Wochen) werden Benzodiazepine, Benzodiazepinrezeptor-Agonisten (Z-Substanzen) und sedierende Antidepressiva (Empfehlungsgrad A) empfohlen unter Berücksichtigung von Halbwertszeiten, Komorbiditäten und spezifischen Kontraindikationen (vgl. 5). Bei gerontopsychiatrischen Patienten können – allerdings „off label“ – auch niedrigpotente Antipsychotika versucht werden (Empfehlungsgrad C; vgl. 6).
Weitere medikamentöse Optionen sind ältere H1-Blocker (z.B. Doxylamin und Hydroxyzin; teils rezeptfrei erhältlich) sowie (in den USA) ein Melatonin-Rezeptor-Antagonist, Ramelton, und zwei Orexin-Rezeptor-Antagonisten, Lemborexant und Suvorexant. Stimulierte Orexin-Rezeptoren im Hypothalamus erhöhen den Wachheitsgrad. Für diese Wirkstoffe existiert jedoch keine oder nur eine unsichere Evidenz für eine günstige Nutzen-Risiko-Relation (vgl. 7).
Zur Langzeitbehandlung der Insomnie wird aufgrund der Datenlage und der möglichen Nebenwirkungen und Risiken keines der genannten Arzneimittel empfohlen (Empfehlungsgrad B). Das ist in Anbetracht des Bedarfs unbefriedigend. In der täglichen Praxis erhält die Mehrzahl der Betroffenen daher doch ein Benzodiazepin (Triazolam, Lorazepam), eine Z-Substanz (Zolpidem, Zopiclon), ein Antidepressivum (Trazodon, Mirtazapin) oder immer häufiger auch ein niedrigdosiertes Antipsychotikum (Quetiapin). Es ist jedoch zu beachten, dass die hypnotischen Effekte dieser Arzneimittel mit der Zeit abnehmen und das Risiko der körperlichen Gewöhnung bei vielen dieser Wirkstoffe steigt (2).
Das häufig empfohlene, vermeintlich harmlose Melatonin wird aufgrund seiner geringen Wirksamkeit in der Leitlinie explizit nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B), und für Phytopharmaka wird die Datenlage als unzureichend bewertet. Diese Arzneimittel können im Einzelfall aber eine Berechtigung als Pseudoplazebo haben. Der Plazeboeffekt spielt bei der Behandlung primärer Schlafstörungen eine bedeutsame Rolle. Nach einer Netzwerk-Metaanalyse wird der Plazeboanteil am Effekt einer multimodalen Behandlung auf 65% geschätzt (8).
In den meisten Leitlinien wird die KVT-I jedoch der Arzneimitteltherapie vorangestellt, in erster Linie, weil sie weniger Nebenwirkungen hat (2). Es gibt auch nur wenige Studien, die eine KVT-I mit einer Hypnotikabehandlung direkt vergleichen. Daher ist das Ergebnis einer aktuellen, randomisierten, kontrollierten Studie aus Nordamerika interessant, die die kurz- und langfristigen Ergebnisse von vier Behandlungssequenzen, bestehend aus verhaltenstherapeutischen und medikamentösen Ansätzen bei chronisch Schlafgestörten mit und ohne komorbide psychiatrische Störung untersuchte (9).
Die Forschungsfragen lauteten: 1. welche Erstbehandlung ist empfehlenswert; 2. welche Zweitlinienbehandlung ist sinnvoll, wenn die Erstbehandlung nicht zu einer Remission führt und 3. welchen Einfluss hat eine psychiatrische Komorbidität auf das Behandlungsergebnis?
Studiendesign: Die Studie wurde vom „National Institute of Mental Health“ der USA finanziert und an zwei Standorten durchgeführt (Denver, Colorado und Québec, Kanada). Es handelt sich um eine einfach verblindete (Auswerter), randomisierte Studie mit 2 Behandlungsarmen und 2 Behandlungsstufen. Die Studienteilnehmer wurden in den Jahren 2012-2017 aus Krankenhausambulanzen und über öffentliche Anzeigen rekrutiert. Probanden im Behandlungsarm 1 erhielten in der ersten Stufe eine einfache verhaltenstherapeutische Intervention (VT), die im Wesentlichen aus Edukation und Instruktionen zur Stimuluskontrolle bestand (Einzelheiten s. Tab. 1., Teil A und B). Diese Variante wurde verwendet, weil sie einfacher und schneller verfügbar ist als eine aufwendige KVT-I. Probanden im Behandlungsarm 2 erhielten primär ein Hypnotikum (Beginn mit 5 mg Zolpidem sublingual vor dem Schlafengehen; Titrierung auf bis zu 10 mg bei zu geringer Wirksamkeit, aber guter Verträglichkeit; Frauen erhielten generell nur 5 mg). Alle Probanden, die nach dieser Erstbehandlung innerhalb von 6 Wochen nicht in Remission kamen (Definition s.u.), wurden ein zweites Mal randomisiert: im Behandlungsarm 1 zu Zolpidem oder KVT-I und im Behandlungsarm 2 zu einer einfachen verhaltenstherapeutischen Intervention (VT) oder einem zweiten Hypnotikum (50-150 mg Trazodon). Die zweite Stufe dauerte ebenfalls 6 Wochen. Alle Probanden, die in Remission kamen, wurden 12 Monate ohne weitere Intervention nachbeobachtet, um die Nachhaltigkeit der Behandlung einschätzen zu können.
Primärer Studienendpunkt war der Anteil der Personen, die eine Remission erreichten. Zur Beurteilung wurden die Gesamtwerte aus dem „Insomnia Severity Index Score“ (ISI) verwendet. Dieser basiert auf einem einfachen Fragebogen, in dem 7 Symptome abgefragt werden. Der maximale Wert beträgt 28 Punkte, wobei ab 15 Punkten von einer moderaten Schlafstörung auszugehen ist und ab 22 Punkten von einer schweren. Als erfolgreich („response“) wurde eine Therapie bewertet, wenn es zu einer Reduktion des Ausgangswerts um mindestens 8 Punkte kam und als Remission, wenn der Gesamtscore auf < 8 Punkte fiel.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 337 Patienten gescreent und 211 für die erste Behandlungsphase randomisiert. Das mittlere Alter betrug 45,6 Jahre; 63% waren Frauen, 69% berufstätig, 18% in Rente, 8% arbeitslos und 5% in Ausbildung. Die Insomnie bestand im Mittel 13,2 Jahre, 35% der Probanden hatten eine psychiatrische Erkrankung, 25% hatten im Jahr zuvor Hypnotika und 17% Psychopharmaka eingenommen.
Es wurden 104 Probanden in den ersten (VT) und 107 in den zweiten Behandlungsarm (Zolpidem) gelost. Nach 6 Wochen hatten 43 Teilnehmer (20,3%) die Studie vorzeitig beendet (16 in Arm 1 und 27 in Arm 2). Von den in der Studie verbliebenen Teilnehmern erreichten 38% mit VT und 30,3% mit Zolpidem eine Remission. Nach Korrektur auf Kovariable und fehlende Daten beträgt die OR für die VT 1,41 (95%-Konfidenzintervall = CI: 0,75-2,65; der Unterschied ist nicht signifikant). Auch die „Response-Rate“ war ähnlich: mit VT 45,5% und mit Zolpidem 49,7% (OR: 1,18; CI: 0,60-2,33; ebenfalls nicht signifikant).
Es wurden 108 Nonresponder nun in die zweite Studienphase randomisiert: Arm 1 für Zolpidem oder KVT-I und Arm 2 für Trazodon oder VT (n = 27 pro Gruppe). Dadurch ergeben sich 4 Behandlungssequenzen. In der zweiten Phase brachen 30 Teilnehmer (27,8%) die Studie vorzeitig ab: Bei Sequenz VT → Zolpidem waren es 10, bei Sequenz VT → KVT-I 2, bei Sequenz Zolpidem → VT 6 und bei Sequenz Zolpidem → Trazodon 12. Unter den in der Studie verbliebenen Probanden stieg in beiden Sequenzen aus Arm 1 die „Response“-Rate weiter signifikant an: bei VT → Zolpidem von 40,6% auf 62,7% (OR: 2,46) und bei VT → KVT-I von 50,6% auf 68,2% (OR: 2,09). Die Sequenzen aus Behandlungsarm 1 führten zu geringeren, nicht signifikanten Verbesserungen.
Die therapeutischen Erfolge blieben im Laufe der Zeit erhalten. Die Remissionsraten lagen nach einem Jahr zwischen 50% und 60%. Bei psychischen Erkrankungen war in der ersten Behandlungsphase die „Response“-Rate geringer (36,4% vs. 53,9%), in Phase 2 kam es aber auch bei diesen zu einem guten Therapieeffekt. Weitere sekundäre Endpunkte wurden aus Schlaftagebüchern generiert. Dabei zeigte sich, dass die kognitiven Therapien wirksamer waren hinsichtlich der Reduzierung von Schlaflatenz, Wachzeiten nach Schlafbeginn und der Erhöhung der Schlafeffizienz. Die Hypnotika erhöhten v.a. die Gesamtschlafdauer: +74 min vs. +11 min bei einer rein verhaltenstherapeutischen Intervention.
Die Aussagekraft der Studie ist eingeschränkt durch die geringe Zahl der Patienten, die Art der Rekrutierung (möglicher Selektionsbias), die hohe Quote der Studienabbrecher (34,6%), die Vermischung von Patienten mit und ohne psychiatrische Komorbiditäten und das Fehlen einer Kontrollgruppe ohne Intervention. Wahrscheinlich reflektieren diese Einschränkungen aber auch die Komplexität der betroffenen Patienten und die Diversität der Störung.
Literatur
- Léger, D., et al.: Sleep Med. 2010, 11, 987. Link zur Quelle
- Riemann, D., et al.: S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie 2017, 21, 2. Link zur Quelle
- Krammer, U.: Link zur Quelle (Zugriff am 24.11.2020).
- Do, D.: J. Sleep Res. 2020, 29, e13075. Link zur Quelle
- AMB 2020, 54, 10. Link zur Quelle
- AMB 2016, 50, 25. Link zur Quelle
- McCleery, J., und Sharpley, A.L.: Cochrane Database Syst. Rev. 2020 Nov. 15, 11, CD009178. Link zur Quelle
- Jiang, B., et al.: Clin. Neuropharmacol 2019, 42, 197. Link zur Quelle
- Morin, C.M., et al.: JAMA Psychiatry 2020, 77, 1107. Link zur Quelle