Das Virostatikum Brivudin (Zostex®) ist ein Nukleosidanalogon, das zur Behandlung des Herpes zoster bei immunkompetenten Erwachsenen zugelassen ist (1). Brivudin hemmt über seinen Hauptmetaboliten Bromovinyluracil die Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) irreversibel. DPD ist ein Enzym, das Pyrimidin-basierte Arzneimittel verstoffwechselt, darunter die antineoplastisch wirksamen Substanzen 5-Fluorouracil (5-FU), seine Prodrugs Capecitabin und Tegafur sowie das antimykotisch wirksame Flucytosin. Die Hemmung des Enzyms führt zu einer Akkumulation und verstärkten Toxizität von Fluoropyrimidinen (vgl. 2). Diese Wechselwirkung kann tödlich sein. Deswegen ist die Verordnung von Brivudin zusammen mit Fluoropyrimidinen kontraindiziert, einschließlich topischer Zubereitungen. Nach Abschluss der Brivudin-Behandlung muss mindestens vier Wochen gewartet werden, bevor die Therapie mit einem Fluoropyrimidin begonnen werden kann. Auch darf die Behandlung mit Brivudin nicht begonnen werden, wenn in den nächsten vier Wochen die Therapie mit einem Fluoropyrimidin geplant ist.
Die Wechselwirkung ist lange bekannt und wird in der Fachinformation von Brivudin (Zostex®) beschrieben (1). Trotzdem wird immer wieder über Patienten berichtet, die aufgrund der Interaktion lebensgefährlich erkranken: So trat beispielsweise bei einer Patientin, die wegen eines Mammakarzinoms mit Capecitabin behandelt wurde, ein Herpes zoster auf als sie auf Reisen war (3). Sie erhielt Brivudin von einem behandelnden Arzt vor Ort. Die Patientin nahm beide Arzneimittel gleichzeitig ein und entwickelte eine massive Mukositis, die stationär behandelt werden musste; der weitere Verlauf ist nicht dokumentiert. Ein anderer Patient mit einem Kolonkarzinom stellte sich zwischen zwei 5-FU-Zyklen wegen eines Herpes zoster bei einem Dermatologen vor, der Brivudin verordnete. Der Patient entwickelte eine Panzytopenie und starb.
In einem Rote-Hand-Brief informiert der Zulassungsinhaber nun in Abstimmung mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erneut über das Risiko der potenziell tödlichen Wechselwirkung zwischen Brivudin und Fluoropyrimidinen (4). Um noch stärker auf die Einhaltung des notwendigen Intervalls hinzuweisen, werden die Produktinformation sowie die Umverpackung Brivudin-haltiger Arzneimittel überarbeitet. Außerdem werden eine Patientenkarte sowie eine Checkliste für Ärzte bereitgestellt. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme wird empfohlen, bei Patienten, die kurz zuvor Brivudin erhalten haben, die DPD-Enzymaktivität zu ermitteln, bevor die Behandlung mit einem 5-Fluoropyrimidin-haltigen Arzneimittel begonnen wird. Ein Test auf einen DPD-Mangel vor Behandlungsbeginn wird in einem weiteren Rote-Hand-Brief nun für alle Patienten empfohlen (5). Im Notfall kann als Antidot bei einer 5-FU- oder Capecitabin-Überdosierung oder Toxizität das Pyrimidinanalogon Uridintriacetat eingesetzt werden, das in Europa allerdings nicht zugelassen ist (6). Zur antiviralen Therapie bei Herpes zoster werden neben Brivudin auch Aciclovir, Famciclovir und Valaciclovir empfohlen, bei denen das Risiko der Wechselwirkung nicht besteht (7).
Literatur
- Fachinformation Zostex®, Stand September 2015. Link zur Quelle
- AMB 2000, 34, 81. Link zur Quelle
- WHO Pharmaceuticals Newsletter 2018, 6, 20. Link zur Quelle
- https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/ DE/RHB/2020/rhb-brivudin.html Link zur Quelle
- https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/ DE/RHB/2020/rhb-fluorouracil.html Link zur Quelle
- https://www.vistogard.com/Vistogard/ files/49/49833e0e-4376-4b07- b379-52b9d74b78f3.pdf Link zur Quelle
- https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-023.html Link zur Quelle