Artikel herunterladen

Remdesivir: SOLIDARITY-Studie der WHO zeigt keinen überzeugenden klinischen Nutzen bei COVID-19

Remdesivir (Veklury®) ist das erste Arzneimittel, das am 25.6.2020 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) die Empfehlung für eine bedingte Zulassung („conditional marketing authorization“ = CMA) erhielt, und zwar für die Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen und Jugendlichen (≥ 12 Jahre und mit einem Körpergewicht von mindestens 40 kg) mit einer Pneumonie, die eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr erfordert (1). Die Marktzulassung durch die Europäische Kommission erfolgte am 3.7.2020. Wir haben darüber ausführlich berichtet und die CMA von Remdesivir kritisiert, u.a. weil zum Zeitpunkt der Zulassung finale Analysen hinsichtlich der Mortalität – Anteil der Patienten, die innerhalb von 28 Tagen nach Beginn der Therapie mit Remdesivir starben – aus der von Gilead gesponserten NIAID-ACTT-1-Studie nicht vorlagen (2, 3). Anhand einer systematischen Übersichtsarbeit und Netzwerk-Metaanalyse wurde dann im Folgenden gezeigt, dass Remdesivir wahrscheinlich die Dauer des Krankenhausaufenthalts bei Patienten mit COVID-19 verkürzen kann (4). Eine anschließend ebenfalls im BMJ publizierte Leitlinie empfahl – mit allerdings schwacher Evidenz – Remdesivir nur für die Behandlung von schwer an COVID-19 erkrankten Erwachsenen einzusetzen und stufte dabei das Risiko für schwere Nebenwirkungen von Remdesivir als gering ein (5).

Vor diesem Hintergrund hielten wir es für notwendig, dass Remdesivir weiterhin in randomisierten kontrollierten Studien untersucht wird, um überzeugende Evidenz zu erhalten hinsichtlich der Verkürzung des Krankenhausaufenthalts, der Senkung von Mortalität und seiner mitunter schweren Nebenwirkungen. Mitte Oktober wurden dann – wie heute (leider) üblich – zunächst auf einem Preprint Server und Anfang Dezember 2020 im N. Engl. J. Med. die Zwischenergebnisse des „WHO SOLIDARITY Trial“ publiziert (6, 7).

Methodik: In dieser von einer Expertengruppe der WHO empfohlenen und auch von der WHO gesponserten randomisierten kontrollierten Studie zu vier antiviralen Arzneimitteln (Remdesivir, Hydroxychloroquin, Lopinavir (plus Ritonavir) und Interferon beta-1) wurde die Mortalität im Krankenhaus untersucht und in einer „intention-to-treat-Analyse“ untereinander sowie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe („local standard of care“) verglichen (7). Im Rahmen dieser klinischen Studie konnte der bisher größte Datensatz ausgewertet werden zur Wirksamkeit und Sicherheit von Remdesivir bei Patienten ≥ 18 Jahre mit stationärer Behandlung von COVID-19. Insgesamt wurden in 405 Krankenhäusern in 30 Ländern 11.330 Erwachsene eingeschlossen, von denen 2.750 in die Remdesivir-Gruppe randomisiert wurden. Die anderen erhielten Hydroxychloroquin (n = 954), Lopinavir-Ritonavir (n = 1.411; ohne Interferon), Interferon (n = 2.063, darunter n = 651 mit Lopinavir) oder Standardbehandlung (n = 4.088). Einziger primärer Endpunkt war der Tod während der Krankenhausbehandlung (oder nach Entlassung); sekundäre Endpunkte waren der Beginn einer mechanischen Beatmung während des Krankenhausaufenthalts und die Dauer der Hospitalisierung.

Ergebnisse: Bei den untersuchten und klinisch relevanten primären bzw. sekundären Endpunkten (Mortalität, Beginn der mechanischen Beatmung, Dauer der Hospitalisierung) zeigte sich in dieser Studie kein Vorteil einer antiviralen Behandlung mit Remdesivir.

Es könnte sogar sein, dass die Behandlung mit Remdesivir mehr Nachteile als Wirksamkeit besitzt. Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz („Pharmacovigilance Risk Assessment Committee“ = PRAC) in der EMA registrierte zuletzt vermehrt Berichte über Nierenversagen im Zusammenhang mit einer Behandlung von COVID-19-Patienten mit Remdesivir. In den publizierten klinischen Studien zum „compassionate use“ von Remdesivir hatten 6% der Behandelten ein akutes Nierenversagen (8). Im Risikomanagement-Plan der EMA wurde diese schwere Nebenwirkung von Anfang an als ein wichtiges potenzielles Risiko von Remdesivir hervorgehoben und die Sammlung sowie gründliche Auswertung weiterer Informationen und Patientenberichte als erforderlich angesehen. So wurde in den vergangenen 3 Monaten in monatlich publizierten, zusammenfassenden Sicherheitsberichten ein erhöhtes Risiko für Nierenschäden festgestellt (8). Die endgültige und sicher schwierige Beurteilung, ob diese Nierenschäden kausal auf Remdesivir oder möglicherweise auch auf die Infektion mit SARS-CoV-2 zurückzuführen sind, liegt noch nicht vor. Weitere bereits bekannte Nebenwirkungen von Remdesivir sind Erhöhung der Leberwerte bei ca. 23% der behandelten Patienten und Hypotension bei 8% (9). Die Kosten für eine 5-tägige Behandlung betragen ca. 2.000 €.

In einem diese Publikation der Zwischenergebnisse der WHO-Studie begleitenden Editorial von Mitarbeitern der US-amerikanischen „Food and Drug Administration“ (FDA) wurde die Zulassung von Remdesivir als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet (10). Dies ist eine Einschätzung, die zumindest angesichts der WHO-Studie fragwürdig ist und definitiv einer Bestätigung durch weitere Ergebnisse klinischer Studien zum therapeutischen Stellenwert von Remdesivir bedarf.

Fazit: Wir schließen uns der WHO-Empfehlung an und sehen derzeit keine Indikation für Remdesivir in der Behandlung von Patienten mit COVID-19. Remdesivir sollte, wenn überhaupt, nur noch im Rahmen klinischer Studien mit patientenrelevanten Endpunkten untersucht werden. Die kurze Empfehlung einiger deutscher medizinischer Fachgesellschaften zum „sachgerechten Einsatz von Remdesivir bei COVID-19“ muss angesichts der Ergebnisse der WHO-Studie überdacht und geändert werden (11).

Literatur

  1. https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/veklury-epar-product-information_de.pdf Link zur Quelle
  2. AMB 2020, 54, 56. Link zur Quelle
  3. Beigel, J.H., et al. (ACTT-1 = Adaptive COVID-19 Treatment Trial): N. Engl. J. Med. 2020, 383, 1813 Link zur Quelle. Vgl. AMB 2020, 54, 72 Link zur Quelle . AMB 2020, 54, 80 Link zur Quelle . AMB 2020, 54, 48. Link zur Quelle
  4. Siemieniuk, R.A.C., et al.: BMJ 2020, 370, m2980 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2020, 54, 72 Link zur Quelle .
  5. Rochwerg, B., et al.: BMJ 2020, 370, m2924 Link zur Quelle . Vgl. AMB 2020, 54, 80. Link zur Quelle
  6. Pan, H., et al. (SOLIDARITY): medRxiv preprint. 15 Oct. 2020. Link zur Quelle
  7. WHO SOLIDARITY Consortium: N. Engl. J. Med. 2020, Dec. 2. Link zur Quelle
  8. https://www.ema.europa.eu/en/news/ meeting-highlights-pharmacovigilance-risk-assessment- committee-prac-28-september-1-october-2020 Link zur Quelle
  9. Grein, J., et al.: N. Engl. J. Med. 2020, 382, 2327. Link zur Quelle
  10. Rubin, D., et al.: N. Engl. J. Med. 2020, Dec. 2. Link zur Quelle
  11. https://www.rki.de/DE/Content/ Kommissionen/Stakob/Stellungnahmen/ Stellungnahme-Covid-19_Remdesivir.pdf?__blob=publicationFile Link zur Quelle