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Zur ärztlichen Aufklärung bei Impfungen gegen COVID-19: rechtliche Aspekte

Die individuelle Aufklärung von Personen, die sich impfen lassen wollen, ist nicht nur ein wichtiger Teil der notwendigen allgemeinen Information und Beratung über die Impfstoffe, sondern auch der Legitimation der Impfung und ihrer Praxis selbst. Umfang und Inhalt der Aufklärung über den zu applizierenden Impfstoff sind dabei abhängig vom aktuellen Wissensstand über seine Eigenschaften.

Allgemeine rechtliche Einordnung der Aufklärung bei der Impfung gegen COVID-19: Die Impfung erfolgt auf vertraglicher Basis, denn Impfung ist ärztliche Behandlung; es handelt sich jeweils um Behandlungsverträge, in Deutschland gemäß §§ 630a-h BGB. Danach ist neben der medizinisch standardgemäßen Impfung auch ärztliche Aufklärung geschuldet. Die Aufklärung soll individuelle, situationsbezogene ärztliche Information im persönlichen Gespräch vermitteln. Rechtlich werden Sicherungsaufklärung (therapeutische Aufklärung) und Selbstbestimmungsaufklärung unterschieden (1).

Ärztliche Sicherungsaufklärung: Sie hat die Funktion, die zu Impfenden über die Impfung zu informieren, – d.h. den Ablauf der Impfung – sowie zur Kooperation und Mitarbeit bei der Behandlung anzuhalten (§ 630c Abs. 2 BGB):

Die oder der Behandelnde ist verpflichtet, der Patientin oder dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.“

Ärztliche Selbstbestimmungsaufklärung: Sie hat die Funktion, den Patienten durch angemessene Information über Nutzen und Risiken der Behandlung eine selbstbestimmte Entscheidung über Behandlung oder Nicht-Behandlung zu ermöglichen (§ 630e Abs. 1 BGB):

Die oder der Behandelnde ist verpflichtet, die Patientin oder den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“

Zur Selbstbestimmungsaufklärung bestimmt § 630e BGB (Auszug):

(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären.

(2) Die Aufklärung muss 1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält, 2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann und 3. für den Patienten verständlich sein. Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.

(3) Der Aufklärung des Patienten bedarf es nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist, insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat.

Die Aufklärung bei der Impfung ist nicht entbehrlich. Besondere Umstände i. S. v. § 630e Abs. 3 BGB liegen nicht vor: Die Impfung ist weder unaufschiebbar noch liegen in der Regel Verzichtserklärungen der zu Impfenden vor. Ein Verzicht auf die Aufklärung wäre möglich, ist aber an strikte Eindeutigkeits- und Erklärungsbedingungen geknüpft; eine solche Erklärung muss ausdrücklich erfolgen.

Weil die Aufklärung individuell und mündlich zu erfolgen hat, kann und muss die aufklärende Person zwischen den verschiedenen Impfgruppen differenzieren. So unterscheiden sich beispielsweise die Anforderungen, wenn ärztliches Personal in Krankenhäusern oder nicht medizinisch ausgebildete Personen oder solche mit Vorerkrankungen geimpft werden sollen.

Sowohl die Sicherheits- wie die Selbstbestimmungsaufklärung hat auf dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erfolgen. Insofern werden am Beginn der Impfkampagnen überwiegend die Erkenntnisse aus den klinischen Studien zu Impfstoffen Grundlage der Aufklärung sein. Aber auch alle neuen Erkenntnisse aus der Anwendung der Impfstoffe in der Praxis sind relevant. Aufzuklären ist beispielsweise über die bereits vorliegenden Befunde zur Dauer der durch die Impfung erworbenen Immunität sowie über Nebenwirkungen.

Aufklärung, Praxis und Erfahrung: Die kontinuierliche Aktualisierung der Daten über Wirkungen und Nebenwirkungen der Impfstoffe erfordert entsprechende Anpassungen des Aufklärungsprogramms: Neue Informationen müssen in die Aufklärungsgespräche übernommen werden, besonders wenn sie die selbstbestimmte Entscheidung der Personen, die sich impfen lassen wollen, beeinflussen können. Dasselbe gilt für die Ergebnisse der Pharmakovigilanz und der sonstigen geplanten Studien.

Zusammenfassung wichtiger Regeln für die Aufklärung bei der Impfung gegen COVID-19, die trotz des Zeitdrucks der Massenimpfung zu beachten sind:

  1. Die Aufklärung ist Teil der ärztlichen Behandlung auf vertraglicher Basis.

  2. Jede zu impfende Person hat Anspruch auf die persönliche individuelle Aufklärung im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt.

  3. Merkblätter, Formulare oder Videos über die Impfstoffe/Impfung können das individuelle ärztliche Gespräch nicht ersetzen, sondern bestenfalls vorbereiten. Ein Verzicht auf die persönliche Aufklärung ist nur ausdrücklich möglich, nicht mit einem Formular.

  4. Die Aufklärung über die Impfung ist nicht entbehrlich.

  5. Die individuelle Anamnese leitet die individuelle Aufklärung. Dabei sind besonders Unverträglichkeiten und Allergien zu erfragen (vgl. 1).

  6. Vor der Aufklärung muss der gesundheitliche Status der zu impfenden Person erhoben sein, weil sich die Aufklärung im Einzelnen danach richtet.

  7. Impfstoffe sind Arzneimittel. Die Aufklärung der zu Impfenden richtet sich insofern nach den Grundsätzen der Aufklärung bei der Behandlung mit Arzneimitteln.

  8. Die Aufklärung hat individuell, situationsbezogen und zeitgerecht durch die/den Ärztin/Arzt zu erfolgen.

  9. Es ist über die möglichen Verläufe der COVID-19-Erkrankung, den Ablauf der Impfung, ihre erwünschte bzw. zu erreichende protektive Immunität und ihre Dauer aufzuklären.

  10. Es ist über Nutzen und Risiken der Impfung allgemein und im Hinblick auf die Konstitution der zu impfenden Person aufzuklären.

  11. Da es sich bei den COVID-19-Impfstoffen um Neuentwicklungen handelt, ist die Aufklärungssituation vergleichbar mit der eines Arzneimittelversuchs. Deshalb hat die Aufklärung über die Risiken umfassend zu erfolgen (Risikoaufklärung).

  12. Zu den Risiken der Behandlung zählen Gegenanzeigen, Wechselwirkungen, Warnhinweise und Nebenwirkungen, insbesondere akute Nebenwirkungen (Reaktogenität).

  13. Die Risikoaufklärung muss sich am jeweiligen Stand der Kenntnisse über den Impfstoff orientieren und der zu impfenden Person verständlich mitgeteilt werden, damit sie eine individuelle Entscheidung treffen kann.

  14. Die Person ist über ihre Mitwirkungspflichten nach der Impfung zu informieren: „Was ist zu tun, wenn bestimmte Sachverhalte oder Wirkungen auftreten?“

  15. Mit zunehmenden Kenntnissen über die Impfstoffe ändern sich auch die Erfordernisse und Inhalte der Aufklärung in einem fortlaufenden Anpassungsprozess.

  16. Inhalte und Form der Aufklärung sind an die unterschiedlichen Impfgruppen anzupassen: Bei zu impfenden Ärzten oder dem Krankenhauspflegepersonal beispielsweise können ausreichende Kenntnisse über die Impfung wahrscheinlich vorausgesetzt werden. In der Gruppe der älteren Mitbürger oder ohne medizinische Ausbildung ist dies meist nicht der Fall, sodass die Anforderungen an die Verständlichkeit der Aufklärung hoch sind.

Informationen zum logistischen Vorgehen bei der Impfung gegen COVID-19 mit nützlichen fachlichen Hinweisen für die ärztliche Aufklärung finden sich auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (3), des Robert Koch-Instituts (4), der Organisation „Zusammen gegen Corona“ (5), der „Centers for Disease Control and Prevention“ (6) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (7). Aufklärungsbögen, die die mündliche Aufklärung vorbereiten und ergänzen können, sind beispielsweise unter (8) und (9) aus dem Internet herunterzuladen.

Literatur

  1. Schrappe, M., et al.: Link zur Quelle
  2. Castells, M.C., und Phillips, E.J.: N. Engl. J. Med. 2020, Dec 30. Link zur Quelle
  3. https://www.bmbf.de/de/das-sollten-sie-ueber-impfstoffe-wissen-12724.html Link zur Quelle
  4. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/ Impfen/AllgFr_Kontraindi/faq_impfen_ Kontraindi_ges.html Link zur Quelle
  5. https://assets.ctfassets.net/eaae45wp4t29/63YRQ8q5iry0y7yXFNR Cee/b2ba5d21f0496f55f107d40626d4ffba/ Leitfaden_f__r_PatientInnen_und_B__rgerInnen _zur_Corona-Schutzimpfung_interaktiv.pdf Link zur Quelle
  6. https://www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/vaccines/index.html Link zur Quelle
  7. https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/ schutzimpfung/fragen-und-antworten.html#faq4559 Link zur Quelle
  8. Deutsches Grünes Kreuz e.V. in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut: Aufklärungsmerkblatt zur Schutzimpfung gegen COVID-19 mit mRNA-Impfstoff. Link zur Quelle
  9. https://shop.thieme-compliance.de/patientenaufklaerung/thieme/ de/Artikel/Aufkl%C3%A4rungsb%C3%B6gen/ Impfung-gegen-die-Infektion-mit-dem-neuartigen-Coronavirus- %28SARS-CoV-2%29/p/DE61522401 Link zur Quelle