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Warnung vor Atemdepression unter Gabapentin und Pregabalin und Missbrauch

Im Dezember 2019 hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) vor klinisch bedeutsamen Atemdepressionen unter einer Behandlung mit Gabapentinoiden (Gabapentin, Pregabalin) gewarnt. Die Warnung bezog sich auf die Anwendungen bei Menschen im höheren Lebensalter, mit chronischen Lungenerkrankungen und einer Begleitmedikation mit ZNS-depressiven Medikamenten, besonders Opioide und Benzodiazepine ([1]). Seit 2019 stehen Gabapentin und Pregabalin auch auf der Beers Liste für Medikamente, die bei älteren Menschen eine ungünstige Nutzen/Risiko-Relation haben. Es wird vor einer gleichzeitigen Anwendung von Opioiden und Benzodiazepinen gewarnt. Durch Interaktionen steigt das Risiko von Überdosierung, Sedierung, Atemdepression und Tod ([2]).

Die FDA-Warnung basiert auf Nebenwirkungsmeldungen, publizierten Fallberichten, Beobachtungsstudien und Tierversuchen. So traten in einer kleinen doppelblinden, randomisierten und placebokontrollierten Crossover-Studie bei 8 normalgewichtigen älteren Männern ohne obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom signifikante Hypo- und Apnoen auf, wenn sie 300 mg Gabapentin vor dem Schlafengehen einnahmen ([3]). Der Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI = Zahl von Apnoen und Hypopnoen dividiert durch die Gesamtschlafzeit in Stunden) betrug mit Plazebo 12,2 und mit Gabapentin 22,4 (p ≤ 0,05). Die „Number Needed to Harm“ wurde mit 4 berechnet.

Die „Centers of Disease Control“ (CDC) haben nun Analysen zu Gabapentin und unbeabsichtigten oder unklaren Todesfällen durch Überdosierung von Arzneimitteln und Drogen über einen Zeitraum von 2 Jahren (2019-2020) veröffentlicht ([4]). Die Daten stammen aus dem „State Unintentional Drug Overdose Reporting System“ (SUDORS). Darin werden Informationen aus 23 US-Bundesstaaten und dem „District of Columbia“ gesammelt. Die Datenbank enthält u.a. Angaben aus den Sterbeurkunden und postmortalen Untersuchungen. Unter den in 2 Jahren registrierten 62.652 Todesfällen durch Überdosierung waren 58.362 mit toxikologischen Untersuchungsergebnissen. Hierzu zählen in den USA auch Tests auf Gabapentin. Bei 5.687 der getesteten Drogentoten (9,7%) wurde Gabapentin nachgewiesen. Die meisten dieser Gestorbenen waren weiß und im Alter von 35-54 Jahren. Bei den meisten (ca. 90%) wurden neben dem Gabapentin auch Opioide nachgewiesen: bei gut einem Drittel ein verordnetes Opiat und in den übrigen Fällen ein illegal konsumiertes oder hergestelltes, meist Fentanyl bzw. ein Analogon. Alarmierend ist, dass sich die Zahl der Drogentoten mit nachgewiesenem Gabapentin im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zu 2019 etwa verdoppelt hat.

Auch wenn die Verhältnisse in Europa anders sind als in den von der Opioidkrise schwer getroffenen USA, sind diese Beobachtungen doch auch hier relevant. Die Verordnungszahlen von Gabapentoiden innerhalb der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung steigen seit Jahren: 2020 wurden 48 Mio. Tagesdosen (DDD: „defined daily dose“) Gabapentin verordnet und 126 Mio. DDD Pregabalin (5). Dabei werden diese Medikamente ganz überwiegend zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen und psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Angststörungen) eingesetzt. Ihre Klassifizierung als Antikonvulsiva ist deshalb irreführend ([5]).

In den Fachinformationen von Gabapentin wird auf die Gefahr schwerer Atemdepression explizit hingewiesen: „Patienten mit beeinträchtigter Atemfunktion, (…) gleichzeitiger Einnahme von zentral wirkenden Antidepressiva und ältere Patienten haben ein höheres Risiko für diese schwere Nebenwirkung“ ([6]). Bei Pregabalin wird die Atemdepression nur im Zusammenhang mit Opioiden genannt ([7]): „erhöhtes Risiko für opioidbedingte Todesfälle im Vergleich zu einer alleinigen Anwendung von Opioiden (adjustierte Odds Ratio = adjOR: 1,68)“.

Fazit

Gabapentin und Pregabalin wirken atemdepressiv, besonders bei Menschen im höheren Lebensalter, mit chronischen Lungenerkrankungen und wenn sie gemeinsam mit anderen, ebenfalls atemdepressiv wirkenden Arzneimitteln verordnet werden, wie Opioide oder Benzodiazepine. Bei einer Untersuchung aus den USA wurde jetzt bei jedem 10. unbeabsichtigten oder unklaren Todesfall durch Überdosierung von Arzneimitteln und Drogen Gabapentin im Blut gefunden. Diese Beobachtung sollte Anlass sein, die Indikationen, Interaktionen und Nutzen-Risiko-Relation von Gabapentin und Pregabalin insgesamt und im Einzelfall genauer zu überprüfen.

Literatur

  1. https://www.fda.gov/drugs/drug-safety-and-availability/fda-warns-about-serious-breathing-problems-seizure-and-nerve-pain-medicines-gabapentin-neurontin (Link zur Quelle)
  2. AMB 2019, 53, 31 (Link zur Quelle)
  3. Piovezan, R.D., et al.: J. Sleep Res. 2017, 26, 166 (Link zur Quelle)
  4. https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/71/wr/mm7119a3.htm?s_cid=mm7119a3_w#contribAff (Link zur Quelle)
  5. Seifert, R., und Brandt, C.: Antiepileptika. In: Ludwig. W.-D., Mühlbauer, B., Seifert, R.: Arzneiverordnungs-Report 2021. Springer-Verlag Berlin, 2021. S. 267
  6. Fachinformationen Gabapentin Ratiopharm: (Zugriff am 2.7.2022) (Link zur Quelle)
  7. Fachinformationen Pregabalin Ratiopharm: (Zugriff am 2.7.2022) (Link zur Quelle)