Band 1 des o.g. Buches ist im Oktober 2021 als „Books on Demand (BoD)“ erschienen [1]. Die beiden Autoren dieses Buches, Fritz Dolder und Peter Schönhöfer haben sich im Rahmen ihrer langjährigen beruflichen Tätigkeit als Jurist (Prof. Dr. iur., Dr. sc. techn. Dolder: u.a. an der Universität Basel) bzw. als Mediziner (Prof. Dr. med. Schönhöfer: Direktor des Instituts für klinische Pharmakologie im Klinikum Bremen-Mitte und ehemaliger Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsamt) intensiv mit der rechtlichen und medizinischen Beurteilung von Arzneimitteln beschäftigt. Deshalb waren sie auch dafür prädestiniert, etwas mehr als 50 Jahre nach Abschluss des Contergan-Verfahrens in einem Band 1 mit dem Titel: „Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Arzneimitteln – Kommentar zur Rechtsprechung“ sehr ausführlich auf insgesamt 356 Seiten sowohl die Voraussetzungen für die Zulassung von Arzneimitteln zu beschreiben als auch deren fortlaufende Überwachung hinsichtlich ihrer Risiken nach Markteintritt (Pharmakovigilanz) und die Kostenerstattung von Arzneimitteln in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – insbesondere beim „Off-label-Use“. In einem geplanten 2. Band sollen dann die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen von Arzneimitteln ausführlicher besprochen werden und zwar vor dem Hintergrund ihrer Patentierung sowie der zivilrechtlichen Haftung bzw. strafrechtlichen Verantwortung für Arzneimittel.
In den ersten 22 Seiten des Bandes 1 wird unter der Überschrift „Wirksamkeit und Nebenwirkungen – Grundlagen der rechtlichen Beurteilung“ zunächst eingegangen auf “Die Endpunkte klinischer Studien“ (Grundlagen I) für die Beurteilung von Wirksamkeit und Nebenwirkungen neuer Arzneimittel. Anschließend werden in „Grundlagen II“ die Methoden der hierfür erforderlichen klinischen Studien besprochen [1]. Der Schwerpunkt im Teil „Grundlagen II“ liegt auf der Entwicklung der evidenzbasierten Medizin (EbM) durch David Sackett und Kollegen ab 1996. Deren Ziel war und ist es, eine von pharmazeutischen Unternehmen unabhängige Beurteilung der Wirksamkeit und Sicherheit neuer therapeutischer Arzneistoffe anhand empirischer, klinischer Studien zu ermöglichen [2]. Thematisiert werden zunächst die Bedeutung der EbM sowohl für die Kostenerstattung von Arzneimitteln (seit 2006 in Deutschland als verpflichtender Standard im fünften Buch Sozialgesetzbuch = SGB V verankert) als auch für die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln mit neuen Arzneistoffen im Verfahren des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) in (§ 35a SGB V), ebenso wie die wichtige Verordnung (EU) Nr. 536/2014 vom 16.4.2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG [3], [4].
In den folgenden Abschnitten („Grundlagen II“) werden unter der Überschrift „Die Methoden klinischer Studien“ die Rangliste von Evidenzstufen – dem Goldstandard für die rechtliche Beurteilung der Wirksamkeit von Arzneimitteln – beschrieben, ebenso wie die Anforderungen an randomisierte kontrollierte Studien („randomised controlled trials“ = RCT; 1). Ausführlich wird hingewiesen auf die Beurteilung der methodischen Qualität von RCTs anhand der CONSORT („Consolidated Standards of Reporting Trials“)-Empfehlung, die festlegt, welche Informationen standardmäßig in Publikationen mit Ergebnissen aus RCTs enthalten sein sollten [5]. CONSORT beinhaltet u.a. eine Checkliste sowie ein Flussdiagramm, aus denen sich der Umgang mit allen Teilnehmern der Studie entnehmen lässt, um sicherzustellen, dass die Publikation einer Studie die für die Bewertung der Ergebnissicherheit relevanten Angaben enthält. Ziele von CONSORT waren und sind anhand einer Checkliste die Vereinheitlichung der Berichterstattung über klinische Studien sowie die Aufdeckung von Fehlern, Unterlassungen oder sogar von Manipulationen in klinischen Studien. Am Ende der Grundlagen II wird unter dem Titel „Wirksamkeit und Nebenwirkungen – Grundlagen der rechtlichen Bewertung“ kritisch eingegangen auf die zum Zeitpunkt der Zulassung neuer Arzneimittel häufig noch unzureichende Evidenz für bessere Wirksamkeit und/oder Sicherheit neuer Arzneimittel. Ausdrücklich hingewiesen wird deshalb anhand einer informativen Liste mit 33 Literaturzitaten u.a. auf die aktuelle Verordnung (EU) Nr. 536/2014 zu klinischen Prüfungen [6] von Humanarzneimitteln sowie die Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG [7]. Deren wichtige Eckpunkte beschäftigen sich vor allem mit dem Schutz der Teilnehmer an klinischen Prüfungen, der Rolle der Ethikkommissionen, der Durchführung einer klinischen Prüfung und Übereinstimmung mit der guten klinischen Praxis sowie der Meldung von unerwünschten Ereignissen [8].
Im 1. Teil des Buches unter der Überschrift: „Wirksamkeit und Nebenwirkungen – Erteilung der Zulassung“ werden zunächst in 10 Abschnitten u.a. „Die Gesetzeslage: Wirksamkeit als Beurteilungskriterium“ und die „Abweisung (Versagung) oder Rückzug des Zulassungsantrags?“ kurz beschrieben sowie auf unterschiedliche Formen des „Wirksamkeitsnachweises (z.B. bei Kombinationspräparaten) oder die Nutzung der „Wirksamkeit als Instrument zur Abgrenzung von Arznei- und Nahrungsmitteln“ hingewiesen [1]. Abschließend wird in der Einleitung die Bedeutung der „Transparenz – Zugang zu den Daten der Zulassungsverfahren“ betont, die alle Daten des Zulassungsverfahrens umfassen sollten. Diesen Zugang versuchen allerdings Pharmaunternehmen häufig mit dem Argument der Informationshoheit zu beschränken – vor allem infolge des „Schutzes von Geschäftsinteressen und des geistigen Eigentums an den Daten des Zulassungsverfahrens“.
Nach der Einleitung zum 1. Teil des Buches werden auf insgesamt 93 Seiten (mit kleingedrucktem Text) unter dem Titel „Erteilung der Zulassung“ zunächst die Voraussetzungen für die Erteilung der Zulassung am Beispiel von 9 Wirkstoffen bzw. Wirkstoffgruppen dargestellt: vom Kombinationspräparat Ibuprofen/Codein bis hin zu Daten der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zu Ataluren – einem Arzneimittel zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie, das bei gehfähigen Patienten ab einem Alter von zwei Jahren angewendet wird [1].
Im 2. Teil des Buches werden die „Änderung sowie Beendigung bestehender Zulassungen sowie Pharmakovigilanz“ an 7 Beispielen diskutiert: vom Appetitzügler (Artegodan/Amfepramon) bis hin zur guten Herstellungspraxis („Good Manufacturing Practice“ = GMP) am Beispiel von Sartanen [1].
Der 3. und abschließende Teil dieses Buches beschäftigt sich mit der Kostenerstattung von Arzneimitteln in der GKV, u.a. am Beispiel der Insulinanaloga, Kontrazeptiva der 3. Generation und des „Off-Label-Use“ von Onkologika wie Avastin zur Behandlung des Glioblastoms bzw. der Alters-Makuladegeneration (AMD). An insgesamt 7 Beispielen (von der Bioresonanztherapie bei Muskeldystrophie bis hin zu Avastin als „Off-Label-Use“ in der Behandlung des Glioblastoms) wird dann die Kostenerstattung von Arzneimitteln in der GKV anhand der Beurteilungskriterien „Wirksamkeit und Nebenwirkungen“ besprochen und kommentiert [1]. Die Einleitung zum 3. Teil des Buches verweist auf die gesetzlichen Grundlagen und die zentrale Bedeutung von Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei der Kostenerstattung von Arzneimitteln. Auf die wesentlichen Abschnitte des § 35a im SGB V zur Beurteilung und Bewertung eines therapeutischen Zusatznutzens von Arzneimitteln als Voraussetzung einer Kostenerstattung bzw. Leistungspflicht der GKV wird eingegangen und die hierfür vorgeschriebenen Regeln der EbM dargestellt. Ein weiterer Abschnitt im 3. Teil des Buches widmet sich der Quantifizierung des Zusatznutzens von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen anhand des hierfür vorgegebenen Stufenschemas: „kein Zusatznutzen belegt“ bis hin zu „erheblichem Zusatznutzen“ [3]. Ausführlich werden nach einer Einleitung an den 7 Beispielen u.a. die Urteile des Bundesverfassungsgerichts bzw. des Bundessozialgerichts und die hierfür berücksichtigten gesetzlichen und medizinischen Grundlagen dargestellt. Der Ablauf des Verfahrens wird jeweils detailliert beschrieben und die jeweiligen Entscheidungen aus Sicht der Autoren kommentiert [1].
Im Vorwort zu diesem Buch weisen die Autoren auf zwei wichtige Entwicklungsschritte in den letzten 50 Jahren (nach Abschluss des Contergan-Verfahrens am 18.12.1970) hin, welche vor allem die medizinische und rechtliche Beurteilung von Arzneimitteln geprägt haben: nämlich die Entstehung der EbM und die Gründung der EMA als Voraussetzung für die Einführung zentralisierter Verfahren in der Europäischen Union für die Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln [1]. Medizinjuristen, aber auch regelmäßig Arzneimittel verordnenden Medizinern vermittelt die Lektüre vom vorliegenden Band 1 des Buches, ebenso wie der geplante Band 2 (Schwerpunkte: Patentierung und Haftung) interessante Einblicke anhand der ausgewählten Beispiele in die Ersterteilung der Zulassung, die Änderung bestehender Zulassungen sowie Pharmakovigilanz und Kostenerstattung von Arzneimitteln in der GKV, insbesondere beim „Off-Label-Use“.