Im Juni 2021 erfolgte durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde „Food and Drug Administration“ (FDA) eine beschleunigte Zulassung für Aducanumab (Aduhelm®) zur Behandlung des Morbus Alzheimer, obwohl ein statistisch signifikantes Ergebnis zum primären Endpunkt, der Verlangsamung der Progression der Demenz unter Aducanumab im Vergleich zu Plazebo, nur in einer von zwei Phase-III-Studien erreicht wurde. Zudem war der Unterschied von höchstens grenzwertiger klinischer Relevanz ([1], vgl. [2]). Inzwischen sprach sich die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gegen die Zulassung von Aducanumab aus; daraufhin zog der pharmazeutische Unternehmer Biogen die Zulassungsanträge zurück [3]. Anlässlich der umstrittenen Zulassung von Aducanumab in den USA untersuchten Wissenschaftler systematisch, wie häufig Zulassungen der FDA auf Studien beruhen, deren Ergebnisse in einem oder mehreren primären Endpunkten zur Wirksamkeit negativ sind, und welche Gründe für diese Zulassungen angegeben werden [4].
Dafür analysierten sie unter Verwendung der Drugs@FDA-Datenbank die Zulassungsunterlagen aller von der FDA zwischen 2018 und 2021 zugelassenen neuen Arzneimittel. In diesen Unterlagen identifizierten sie alle Zulassungsstudien, die zugehörigen primären Wirksamkeitsendpunkte und ob jeder Endpunkt die vorgegebenen Kriterien erfüllte. Für jedes Arzneimittel, das nicht mindestens einen vordefinierten primären Endpunkt erfüllte, extrahierten sie verschiedene Merkmale des Arzneimittels und der Zulassungsstudie sowie der Wirksamkeitsendpunkte. Anschließend dokumentierten die Wissenschaftler die Begründung der FDA für die Zulassung, ob eine weitere Studie nach der Zulassung gefordert wurde und ob diese Studie den nicht erfüllten primären Endpunkt adressierte.
Zwischen 2018 und 2021 ließ die FDA 210 Arzneimittel zu, von denen bei 21 (10%) die Wirksamkeit durch die Ergebnisse der Zulassungsstudien hinsichtlich eines oder mehrerer primärer Endpunkte nicht belegt war. Die Arzneimittel gehörten zur Gruppe der Biologika (n = 7; 33%) oder zu niedermolekularen Wirkstoffen („Small molecules“) (n = 14; 67%). Von den 21 Arzneimitteln wurden 11 (52%) als „First-in-Class“-Arzneimittel eingestuft und 10 (48%) als „Orphan Drugs“; 13 (62%) wurden beschleunigt zugelassen. Die häufigsten Anwendungsgebiete waren Onkologie (19%), Infektionskrankheiten (14%) und Psychiatrie (14%). Die Zulassungen der 21 Arzneimittel basierten auf insgesamt 56 Zulassungsstudien, die 74 primäre Endpunkte zur Wirksamkeit enthielten. Davon konnte bei 27 (36%) die Wirksamkeit nicht gezeigt werden. Fünf Zulassungen basierten auf einer einzigen Zulassungsstudie mit negativen Ergebnissen in allen primären Endpunkten zur Wirksamkeit, darunter rekombinante Asparaginase Erwinia chrysanthemi (Rylaze®) zur Behandlung von akuter lymphatischer Leukämie und lymphoblastischem Lymphom sowie Migalastat (Galafold®) zur Behandlung von Morbus Fabry.
Zu den von der FDA angegebenen Gründen für die Zulassung der 21 Arzneimittel zählten positive Ergebnisse in mindestens einer weiteren Zulassungsstudie (n = 13; 61,9%), positive Ergebnisse in sekundären oder explorativen Endpunkten (n = 10; 48%) und eine günstige Post-hoc-Analyse (n = 7; 33%). Die FDA verlangte für 7 (33%) der 21 Arzneimittel weitere Studien nach der Markteinführung, um den Endpunkt ohne Wirksamkeitsnachweis genauer zu untersuchen.
Die Autoren weisen darauf hin, dass ihre Untersuchung die Komplexität der Entscheidungsfindung bei der Zulassung unterstreicht, da für einige Arzneimittel trotz negativer Ergebnisse für einen primären Endpunkt die Wirksamkeit belegt sei, wie beispielsweise für Tezacaftor-Ivacaftor (Symkevi®; vgl. [5]). Hier zeigte sich die Wirksamkeit unter anderem durch die Ergebnisse von zwei anderen Zulassungsstudien. Für andere Arzneimittel sei die Evidenz zur Wirksamkeit weniger klar, darunter das Kombinationspräparat aus Imipenem, Cilastatin und Relebactam (Recarbrio®).