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HIV-Infektion: Interleukin-2 als Zusatztherapie ist klinisch ungünstig trotz des höheren Anstiegs der CD4+T-Zellen

Die Zahl der CD4+T-Zellen gilt nach wie vor als einer der besten Marker für Immundefizienz und zukünftige Komplikationen bei HIV-positiven Patienten (1, 2). Interleukin-2 (IL-2) ist ein Zytokin, das von aktivierten T-Zellen sezerniert wird und die Proliferation und Differenzierung von T-Zellen reguliert. Schon früher hatten einige Studien gezeigt, dass unter zusätzlicher Injektion von IL-2 zur antiretroviralen Therapie die Zahl der CD4+T-Zellen signifikant stärker ansteigt als unter alleiniger antiretroviraler Medikation (3-7). Der Anstieg war auf ein verlängertes Überleben der CD4+T-Zellen zurückzuführen und betraf sowohl die naiven als auch die Gedächtnis-Zellen (8, 9). Diese Befunde und theoretische Aspekte gaben Hoffnung, dass durch eine zusätzliche IL-2-Therapie auch der Verlauf und die Komplikationen der HIV-Infektion günstig beeinflusst werden könnten.

Hierzu wurden jetzt zwei große klinische Studien gemeinsam publiziert, in denen der Effekt von s.c. injiziertem rekombiniertem IL-2 untersucht wurde (10). In der SILCAAT-Studie wurden Patienten mit niedriger (50-299/µl), in der ESPRIT-Studie mit höherer (> 300/µl) CD4+T-Zellzahl untersucht. Die ESPRIT-Studie wurde durch eine staatliche Einrichtung in den USA (NIAID = National Institute of Allergy and Infectious Diseases) finanziert. Die SILCAAT-Studie wurde zunächst von einem IL-2-Hersteller (Chiron) begonnen. Nachdem alle Studienteilnehmer eingeschlossen waren, erklärte Chiron, dass die Studie aus finanziellen Gründen nicht weiter unterstützt werden könne, da die erhoffte beschleunigte Zulassung von IL-2 für diese Indikation als unwahrscheinlich eingestuft werde. Daraufhin wurde SILCAAT vom NIAID weitergeführt. Chiron und später Novartis, die Chiron mittlerweile übernommen hatten, haben dann die Studien finanziell weiter unterstützt. Chiron-Novartis hat das IL-2 bis zum Ende der Studien zur Verfügung gestellt.

In SILCAAT erhielten 849 Patienten die antiretrovirale Therapie plus IL-2 und 846 nur die antiretrovirale Therapie, in ESPRIT waren die entsprechenden Zahlen 2040 und 2040. IL-2 wurde an fünf aufeinander folgenden Tagen in Intervallen von acht Wochen verabreicht. Patienten der SILCAAT-Studie erhielten sechs Zyklen mit je 4,5 Mio. IU zweimal täglich, die der ESPRIT-Studie drei Zyklen mit jeweils 7,5 Mio. IU zweimal täglich. Die mediane CD4+T-Zellzahl war in SILCAAT 202/µl, in ESPRIT 457/µl. Im medianen Beobachtungszeitraum von 7-8 Jahren waren die CD4+T-Zellzahlen in den Gruppen, die IL-2 erhielten, signifikant höher: In SILCAAT im Durchschnitt um 53/µl, in ESPIRIT um 159/µl. Die harten klinischen Endpunkte (Tod oder opportunistische Infektionen) waren in den Gruppen beider Studien jedoch nicht unterschiedlich. In SILCAAT starben 81 Patienten in der IL-2-Gruppe und 77 in der Gruppe ohne IL-2, in ESPRIT waren es 107 Patienten in der IL-2-Gruppe und 116 in der Gruppe ohne IL-2 (nicht signifikant). Schwere UAW (Grad 4) traten in der Studie mit den höheren CD4+T-Zellzahlen (ESPRIT) signifikant häufiger in der IL-2-Gruppe auf (466 vs. 383; p = 0,003). Besonders auffällig waren die Unterschiede bei Gefäßereignissen, wie z.B. tiefe Beinvenenthrombosen (40 vs. 14; p < 0,001). Die meisten der schweren UAW ereigneten sich mehr als 60 Tage nach der Komplettierung der IL-2-Zyklen.

In der Diskussion wird die Hypothese bevorzugt, dass ein möglicher Vorteil von IL-2 durch negative Wirkungen aufgehoben wird. Insbesondere vaskuläre Ereignisse scheinen ein Problem zu sein. Gerade in der Gruppe mit dem stärksten Anstieg der CD4+T-Zellen waren die UAW am häufigsten. Dies könnte mit einer Steigerung der proinflammatorischen Aktivität durch IL-2 in der Gruppe mit den höheren CD4+T-Zellzahlen zusammenhängen. Eine genauere Analyse der Zytokinmuster und des Verhältnisses von CD4+Effektor- zu CD4+Regulator-T-Zellen in den verschiedenen Gruppen könnte weitere Aufschlüsse geben.

Fazit: Bei HIV-infizierten Patienten zeigte eine zusätzliche Interleukin-2-Therapie in zwei Studien trotz höherer CD4+-Zellzahlen keinen klinischen Vorteil, möglicherweise wegen der UAW von Interleukin-2.

Literatur

  1. Guiguet, M., et. al.: Open AIDS J. 2008, 2, 3. Link zur Quelle
  2. Phillips, A.N., et al.: AIDS 2008, 22, 2409. Link zur Quelle
  3. Kovacs, J.A., et al.: N. Engl. J. Med. 1995, 332, 567. Link zur Quelle
  4. Kovacs, J.A., et al.: N. Engl. J. Med. 1996, 335, 1350. Link zur Quelle
  5. Davey, R.T., et. al. JAMA 2000, 284, 183. Link zur Quelle
  6. Levy, Y., et al.: Lancet 1999, 353, 1923. Link zur Quelle
  7. Arduino, R.C., et. al. (ESPRIT = Evaluation of Subcutaneous Proleukin in a Randomized International Trial Vanguard Group; ESPRIT Executive Committee): Clin. Infect. Dis. 2004, 39, 115. Link zur Quelle
  8. Kovacs, J.A., et al.: J. Clin. Invest. 2005, 115, 2139. Link zur Quelle
  9. Sereti, I., et al.: J. Infect. Dis. 2007, 196, 677. Link zur Quelle
  10. The INSIGHT-ESPRIT (International Network for Strategic Initiatives in Global HIV Trials-Evaluation of Subcutaneous Proleukin in a Randomized International Trial) Study Group and the SILCAAT (Study of Interleukin-2 in people with Low CD4+ T-cell counts on Active Anti-HIV Therapy) Scientific Committee: N. Engl. J. Med. 2009, 361, 1548. Link zur Quelle