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Dabigatran – eine Alternative zu Vitamin-K-Antagonisten bei Vorhofflimmern?

Dabigatran (Pradaxa®, Boehringer Ingelheim) ist ein neuer oraler, direkter Thrombinantagonist, der in der EU seit März 2008 zur perioperativen Thromboseprophylaxe nach Hüft- und Kniegelenkoperationen zugelassen ist (1). Wie bei neuen Antikoagulanzien üblich, soll das Anwendungsgebiet in der Folge auch auf kardiologische Indikationen ausgedehnt werden (2). Diesem Ziel ist der Hersteller mit der kürzlich publizierten und von ihm gesponserten RE-LY-Studie (3) einen Schritt näher gekommen.

Dabigatran wird von einer Serumesterase unabhängig von Zytochrom P450 in seine aktive Form umgewandelt und soll daher weniger anfällig für Arznei- und Lebensmittel-Interaktionen sowie genetische Polymorphismen sein als Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Gerinnungsmonitoring und Dosisanpassungen sollen nicht erforderlich sein. Hier gibt es allerdings eine wichtige Ausnahme: Bei gleichzeitiger Therapie mit Amiodaron kommt es über einen unbekannten Mechanismus doch zu erhöhten Plasmakonzentrationen von Dabigatran, so dass eine Dosisreduktion erforderlich ist.

Die RE-LY-Studie untersuchte Dabigatran zur Prävention systemischer arterieller Embolien bei Vorhofflimmern (VHF). Es nahmen 18 113 Patienten mit chronischem VHF an 951 Kliniken in 44 Ländern teil. Alle hatten einen zusätzlichen Risikofaktor für Schlaganfall (Z. n. Schlaganfall oder TIA, LVEF < 40%, Herzinsuffizienz NYHA II-IV während der vergangenen sechs Monate, Alter ≥ 75 Jahre oder Alter 65-74 Jahre mit Diabetes, Hypertonie oder KHK). Sie wurden in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Dosen Dabigatran (110 mg bzw. 150 mg zweimal täglich; verblindet) und in eine Gruppe mit konventioneller Antikoagulation (VKA = Warfarin; unverblindet) randomisiert (sogenanntes „PROBE”-Design: prospektiv, randomisiert, open-label, Endpunkterfassung verblindet). Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug zwei Jahre. Primäre Endpunkte waren Schlaganfall oder andere systemische arterielle Embolien.

In der Gruppe mit der niedrigen Dabigatran-Dosis wurde der primäre Endpunkt (berechnet auf ein Jahr) ähnlich häufig erreicht (1,53%) wie in der VKA-Gruppe (1,69%; nicht signifikant), Blutungen waren aber seltener (2,71% vs. 3,36% unter VKA; p = 0,003). In der Gruppe mit der höheren Dabigatran-Dosis wurde der primäre Endpunkt signifikant seltener beobachtet (1,11%; p < 0,001) als in der VKA-Gruppe bei ähnlicher Blutungsrate (3,11%; nicht signifikant). Wie eine unveröffentlichte aktuelle Post-hoc-Analyse zeigt, waren diese Wirkungen von Dabigatran auch im Vergleich mit der Subgruppe von Patienten unter Warfarin mit optimaler INR-Einstellung (≥ 72,5% der Zeit im Zielbereich) vorhanden (4).

Die jährliche Letalität lag unter der niedrigeren Dosis Dabigatran bei 3,75%, unter der höheren Dosis Dabigatran bei 3,64% und unter VKA bei 4,31% (p = 0,13 bzw. 0,051). Unter der höheren Dabigatran-Dosis kam es (knapp signifikant) häufiger zu Myokardinfarkten als unter VKA (0,74% vs. 0,53%; p = 0,048). Unklar ist, ob die Thrombinhemmung selbst hier ein kausaler Faktor ist. Dyspepsiesymptome und abdominelle Beschwerden traten unter Dabigatran ebenfalls signifikant häufiger auf (11,8% unter niedrigerer und 11,3% unter höherer Dosis) als unter VKA (5,8%; p jeweils < 0,001). Dies trug auch zu den häufigeren Therapieabbrüchen in den Dabigatran-Gruppen bei (21% vs. VKA 16,6%). Hinweise auf eine Hepatotoxizität von Dabigatran ergaben sich nicht. Erhöhte Transaminasen (> 3-fache des Normalbereichs) fanden sich in allen Gruppen bei 2%. Wegen Hepatotoxizität musste der orale Thrombinantagonist Ximelagatran 2006 kurz nach seiner Zulassung wieder vom Markt genommen werden (5). Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min) war übrigens ein Ausschlusskriterium in der RE-LY-Studie.

Unter Berufung auf die RE-LY-Studie wird Dabigatran vom Hersteller bei niedergelassenen Ärzten bereits für Patienten mit VHF beworben (6), obwohl für kardiologische Indikationen weder in den USA noch in der EU eine Zulassung vorliegt und eine Reihe von Fragen noch unbeantwortet ist. So wird aus der RE-LY-Studie nicht klar, welche der beiden untersuchten Dosierungen als Standard gelten sollte. Eine Dosisanpassung nach Körpergewicht ist (zumindest für das bisher zugelassene Anwendungsgebiet) nicht erforderlich. Ein gewisser Nachteil von Dabigatran ist die zweimal tägliche Einnahme. Ein Antidot existiert nicht, die Halbwertszeit beträgt allerdings nur 12-14 Stunden. Da die Gerinnung nicht überwacht werden muss, dürfte die Substanz für Patienten mit permanentem VHF wohl eine Verbesserung sein und auch den Ärzten die Arbeit erleichtern. Die Anwendung von Dabigatran in der Schwangerschaft muss hinsichtlich ihrer Risiken erst noch untersucht werden. Ungeklärt ist auch die Frage der Kosteneffizienz. Ob sich die deutlich höheren Kosten von Dabigatran (7,80 €/DDD, Phenprocoumon 0,6 €/DDD) durch die nicht erforderlichen Kontrollen der Gerinnung und eventuell seltenere Blutungskomplikationen amortisieren, ist fraglich.

Zur klinischen Wirksamkeit bei weiteren kardiologischen Indikationen, wie Akutes Koronarsyndrom und Klappenprothesen, sind weitere Studien in Vorbereitung.

Fazit: Dabigatran ist bisher nur für die perioperative Thromboseprophylaxe nach orthopädischen Operationen zugelassen. In der RE-LY-Studie war Dabigatran aber auch bei Vorhofflimmern der oralen Antikoagulation mit Warfarin nicht unterlegen. Für Patienten mit Vorhofflimmern, die Probleme mit der Einstellung der Gerinnung und/oder Blutungsrisiken haben, ist Dabigatran möglicherweise eine Alternative. In Anbetracht der häufigeren nicht-hämorrhagischen UAW, insbesondere der häufigeren Myokardinfarkte, und der noch fehlenden Langzeitdaten sollte die Indikation jedoch zurückhaltend erfolgen. Von einer Umstellung auf Dabigatran bei guter Einstellung der Antikoagulation und guter Verträglichkeit eines Vitamin-K-Antagonisten raten wir ab. Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz waren von der RE-LY-Studie ausgeschlossen und sollten Dabigatran nicht erhalten. Bei gleichzeitiger Therapie mit Amiodaron muss Dabigatran niedriger dosiert werden.

Literatur

  1. AMB 2010, 44, 01. Link zur Quelle
  2. AMB 2008, 42, 09. Link zur Quelle
  3. Connolly, S.J., et al. (RE-LY = Randomized Evaluation of Long-term Anticoagulation therapY): N. Engl. J. Med. 2009, 361, 1139. Link zur Quelle
  4. American Heart Association Scientific Session, November 2009, Orlando.
  5. AMB 2006, 40, 24a. Link zur Quelle
  6. AMB 2009, 43, 96b. Link zur Quelle