Zusammenfassung: Diagnostik und Therapie bei systolischer Herzinsuffizienz, die sich an Leitlinien orientieren, senken die Letalität und Morbidität und verbessern Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. Seit Mai 2012 liegt eine durch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie aktualisierte Fassung der Leitlinie vor. Wichtige Neuerungen betreffen: Empfehlung von Ivabradin, Erweiterungen der Indikationen für Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten und für die kardiale Resynchronisationstherapie, revaskularisierende Maßnahmen bei koronarer Herzkrankheit und Herzinsuffizienz sowie den Einsatz von Kreislauf-Unterstützungssystemen. Erstmals wird auch detaillierter zu Bedeutung und Management der Komorbiditäten Stellung genommen. Da das Herzinsuffizienz-Syndrom sehr komplex ist, gilt unverändert, dass Diagnostik und Therapie immer an die individuelle Situation und Bedürfnisse des Patienten angepasst werden müssen.
Einleitung: Hohe Prävalenz und krankheitsbedingte Kosten machen die Herzinsuffizienz zu einer wichtigen medizinischen und sozioökonomischen Aufgabe. Von den Über-70-Jährigen hat in den Industrienationen heute jeder zehnte eine Herzinsuffizienz. Diagnostik und Behandlung nach Leitlinien vermindern die Zahl der Krankenhauseinweisungen und die Letalität. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie legte im Mai 2012 – vier Jahre nach der letzen Überarbeitung – eine aktualisierte Fassung der Leitlinie vor (1). Wesentliche Änderungen gegenüber der Vorversion aus 2008 werden im Folgenden dargestellt und kommentiert. Zwei Schemata integrieren Neues und Etabliertes in Diagnostik und Therapie. Unverändert bleibt die Verantwortung des behandelnden Arztes, die stufenweise Eskalation der Diagnostik und der pharmakologischen, interventionellen und chirurgischen Therapieoptionen nicht nur der Schwere der Erkrankung, sondern auch den individuellen Umständen, Bedürfnissen und Wünschen des Patienten anzupassen. Selbstverständlich kann und soll die Leitlinie nur als Richtschnur dienen.
Diagnose: Herzinsuffizienz ist anhand klinischer Symptome nur ungenau zu diagnostizieren, da die Leitsymptome Leistungsminderung, Dyspnoe und Ödeme unspezifisch sind. Selbst schwere kardiale Funktionsstörungen können lange Zeit nur wenig Symptome verursachen. Ohne objektivierende Diagnostik kann die Herzinsuffizienz unbemerkt bleiben oder in ihrem Schweregrad unterschätzt werden. Die Leitlinien fordern deshalb, strukturelle oder funktionelle kardiale Anomalien grundsätzlich zu objektivieren. Eine Klassifizierung nach Ätiologie, Schweregrad und Art der Funktionsstörung ist essentiell. Die Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (= HF-REF mit LVEF < 40-50%) bzw. mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (= HF-PEF mit LVEF > 50%) werden heute als unterschiedliche Manifestation eines komplexen Krankheitsgeschehens gesehen. Die verfügbare Evidenz und die Therapieempfehlungen beziehen sich aber weiterhin im Wesentlichen auf die systolische Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HF-REF).
Für die Diagnose HF-REF werden typische Symptome und Befunde gefordert sowie der Nachweis einer eingeschränkten linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF). Zusätzlich ist der Nachweis einer strukturellen Herzerkrankung notwendig (z.B. Hypertrophie des linken Ventrikels, Vergrößerung des Vorhofs und/oder linksventrikuläre diastolische Funktionsstörung). Abb. 1 veranschaulicht das empfohlene Vorgehen bei Verdacht auf Herzinsuffizienz. Die Leitlinie zeigt 2012 erstmals, dass auch ein alternativer Diagnoseweg gewählt werden kann mit Messung der natriuretischen Peptide (NP), falls die Echokardiographie nicht unmittelbar verfügbar ist.
Diese Biomarker können eine Herzinsuffizienz weitgehend ausschließen. Wenn sie erhöht sind, entscheidet die Echokardiographie. BNP (B-Typ Natriuretisches Peptid) und NT-proBNP (N-terminales Pro-BNP) werden als diagnostisch gleichwertig eingestuft. Wichtig ist, dass bei akuter Symptomatik andere Grenzwerte gelten als bei nicht-akuten Beschwerden. Ferner ist zu bedenken, dass die Plasmakonzentrationen durch viele Faktoren, wie Alter, Geschlecht, Niereninsuffizienz und andere Komorbiditäten sowie auch durch das Körpergewicht verändert werden. Bei erhöhten NP-Konzentrationen sind die diagnostischen Aussagen weniger sicher als bei niedrigen.
Therapie: Kausaltherapeutische, nicht-pharmakologische und pharmakologische Maßnahmen müssen bei der Behandlung der Herzinsuffizienz zusammenwirken. In weiter fortgeschrittenen Stadien und bei älteren Patienten sind Teilnahme an Betreuungsprogrammen, Anleitung zur Selbstüberwachung, Förderung der Behandlungstreue und gesunder Lebensstil (Trinkmenge, Bewegung) nicht nur zu empfehlen, sondern auch zu organisieren. Technik-basierte Telemedizin kann ein solches individualisiertes und an den Bedürfnissen des Patienten orientiertes „Coaching” – auch durch nicht-ärztliches Fachpersonal – nicht ersetzen. Die Ziele sind:
- Prävention bzw. Kontrolle von Krankheiten, die mit kardialer Dysfunktion einhergehen und – nach klinischer Manifestation der Herzinsuffizienz – die Prognose beeinflussen,
- die Lebensqualität zu bewahren bzw. zu verbessern,
- Beschwerden zu lindern,
- stationäre Behandlungen zu vermeiden,
- die Lebenszeit zu verlängern.
Abb. 2 zeigt die aktualisierten Behandlungsoptionen bei chronischer symptomatischer Herzinsuffizienz, also in den Stadien II-IV nach der New York Heart Association (NYHA).
Pharmakotherapie: Grundpfeiler sind und bleiben Diuretika, ACE-Hemmer (ACE-H; bei Unverträglichkeit: Sartane), Betablocker (BB), ggf. Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten (MR-Antagonisten). Eine wesentliche Neuerung der Leitlinie 2012 betrifft die erweiterten Indikationen für MR-Antagonisten (Spironolacton, Eplerenon = Inspra®; vgl. 14): Wenn unter ACE-H- bzw. Sartan- plus BB-Therapie die Symptome fortbestehen, profitieren nicht nur Patienten mit LVEF < 40% nach Myokardinfarkt, sondern - nach der EMPHASIS-HF-Studie (2) - auch Patienten mit anderer Ätiologie einer HF-REF ab NHHA II von einem MR-Antagonisten. Mögliche UAW wie Hyperkaliämie und Verschlechterung der Nierenfunktion erfordern regelmäßiges Kontrollieren der Elektrolyte und der Retentionswerte.
Auch der neue Wirkstoff Ivabradin (Procorolan®) wird in der Leitlinie erwähnt. Er inhibiert die If-Ionenkanäle, d.h. die Ionenströme des Sinusknotens (f steht für funny). Einziger bisher klinisch geprüfter pharmakologischer Effekt ist die Senkung der Herzfrequenz bei Sinusrhythmus. Bei Vorhofflimmern wird die Kammerfrequenz nicht beeinflusst. Die Senkung der Herzfrequenz mit Ivabradin ist ein zusätzliches Therapieprinzip bei Herzinsuffizienz. Die BEAUTIFUL-Studie hatte an insgesamt > 10.000 Patienten mit koronarer Herzkrankheit und linksventrikulärer Dysfunktion (LVEF < 40%) im Behandlungs- wie auch im Plazebo-Arm die prognostisch ungünstige Bedeutung einer erhöhten Herzfrequenz sowie die Sicherheit von Ivabradin gezeigt (3). Die Ergebnisse bezüglich des primären Endpunkts waren allerdings nicht überzeugend. Die SHIFT-Studie (4) schloss über 6000 vorbehandelte Patienten in den NYHA-Stadien II-IV und Ruheherzfrequenz ≥ 70/Min. ein. Hier reduzierte Ivabradin zusätzlich zur Standardtherapie hochsignifikant (-18%; p = 0,0001) das relative Risiko beim kombinierten primären Endpunkt kardiovaskulärer Tod und Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz. Diese Reduktion war aber allein auf die selteneren Krankenhausaufnahmen zurückzuführen, die kardiovaskuläre Letalität blieb unverändert (p = 0,128). Die Patienten hatten zu Beginn eine auffällig hohe Herzfrequenz (80/Min.), waren also wahrscheinlich unzureichend mit z.B. BB behandelt. Ob Ivabradin bei ausreichender Vorbehandlung auch eine solch günstige Wirkung gehabt hätte, ist unklar. Den Autoren der Leitlinie reicht aber diese Evidenz l, um bei HF-REF, Sinusrhythmus, Herzfrequenz ≥ 70/Min. und fortbestehenden Symptomen der Herzinsuffizienz trotz Behandlung mit ACE-H (AT-II-RB) + BB + MR-Antagonisten zusätzlich Ivabradin zu erwägen. Ivabradin ist allerdings erst ab Herzfrequenzen > 75 /Min. zugelassen. Daher wird es nur bei wenigen Patienten in Betracht kommen.
Interventionelle Therapie: Die Indikation zur Implantation eines Kardioverter-Defibrillators (ICD-Therapie) soll 2012 unverändert immer dann geprüft werden, wenn die LVEF, insbesondere nach Myokardinfarkt, dauerhaft, d.h. nach mindestens drei Monaten optimaler Pharmakotherapie, bei ≤ 35% liegt. Der ICD dient der Prävention des Plötzlichen Herztods (11, vgl. auch 12, 13). Ventrikuläre Arrhythmien sind medikamentös nur unzureichend zu behandeln und verursachen bei solchen Patienten etwa die Hälfte aller Todesfälle. Die Indikation gilt auch für asymptomatische Patienten! Neue Evidenz hat dagegen zur Erweiterung der Indikationen für die kardiale Resynchronisationsbehandlung (CRT) geführt: Die MADIT-CRT- (5) und die RAFT-Studie (6) haben belegt, dass Patienten mit Herzinsuffizienz NYHA II, einer LVEF ≤ 30%, einem Linksschenkelblock mit QRS-Dauer ≥ 150 msec und mit Sinusrhythmus dann von der CRT-Therapie profitieren, wenn sie in klinisch gutem Zustand sind und eine Lebenserwartung von mehr als einem Jahr haben. Bei Rechtschenkelblock oder Vorhofflimmern ist die Evidenz weiterhin gering.
Auch zur Indikation der koronaren Revaskularisation wurden neue Erkenntnisse gewonnen. In der STICH-Studie (7) wurden Patienten mit Zwei- oder Drei-Gefäßerkrankung mit oder ohne Angina pectoris, einer LVEF von ≤ 35% und einem vergleichsweise niedrigen mittleren Lebensalter von nur 60 Jahren eingeschlossen. Eine Gruppe mit Bypasschirurgie wurde mit einer Gruppe mit ausschließlich medikamentöser Therapie verglichen. Es fand sich in der Gruppe mit Bypasschirurgie eine relative Risikoreduktion von 19% hinsichtlich kardiovaskulärem Tod und von 26% für Tod jeder Ursache oder Krankenhausaufnahmen aus kardiovaskulären Ursachen. Jedoch wurde der primäre Endpunkt – Tod jeglicher Ursache – nicht signifikant reduziert. Die Studie spricht dafür, bei entsprechenden Patienten revaskularisierende Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Die Entscheidung, ob im Einzelfall der Bypasschirurgie oder einer perkutanen Koronarintervention der Vorzug zu geben ist, sollte interdisziplinär von einem Herzteam inklusive Herzinsuffizienz-Spezialisten gefällt werden. Dabei sollten Ausprägung/Schweregrad der Koronarerkrankung, die jeweils erreichbare Vollständigkeit der Revaskularisierung, eventuell zusätzliche Klappenerkrankungen sowie Komorbiditäten berücksichtigt werden.
Die Prävalenz von Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz nimmt zu, aber die Zahl der Organspenden stagniert. Die aktualisierte Leitlinie weist deshalb auf die zunehmende Bedeutung mechanischer Systeme zur Kreislaufunterstützung als Langzeittherapie hin (LVAD = linksventrikuläres Assist-Device, BiVAD = biventrikuläres Assist-Device).
Aggregate mit kontinuierlichem Blutfluss sind bei sorgfältiger Auswahl der Patienten einer rein medikamentösen Therapie hinsichtlich des Überlebens nach zwei bis drei Jahren deutlich überlegen (8). Die Differenzialindikationen dieser Methoden können in diesem Zusammenhang nicht besprochen werden. Nach wie vor bleibt die Herztransplantation der Goldstandard der Herzersatz-Therapie.
Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HF-PEF): Es gibt weiterhin keine hinsichtlich Letalität und Morbidität effektive Therapie bei HF-PEF. Das ist auch das Ergebnis der großen Studie mit Irbesartan (9). Bei hohen Füllungsdrücken und pulmonaler Stauung können durch Nitrate und Diuretika die Symptome gebessert werden. Es ist hinsichtlich der Prognose dieser Patienten vorteilhaft, die Erkrankungen, die zur HF-PEF führen können, z.B. hypertensive oder koronare Herzkrankheit, prophylaktisch oder therapeutisch anzugehen. Günstige Effekte auf kardiale Funktion und klinische Symptome werden bei HF-PEF auch durch körperliches Training erzielt. Die Ergebnisse zweier randomisierter Therapiestudien zur Wirkung von Aldosteronantagonisten bei HF-PEF sind in Kürze zu erwarten.
Komorbiditäten: In den neuesten Herzinsuffizienz-Leitlinien werden Komorbiditäten in ihrer Bedeutung für Prognose und Management der Herzinsuffizienz ausführlicher behandelt. Dies betrifft z.B. arterielle Hypertonie, Anämie, Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, Kachexie, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Störungen des Lipid-Stoffwechsels, Depression und schlafbezogene Atemstörungen. Erstmals wird in dieser Kategorie, unabhängig davon, ob eine Anämie besteht, auch ein funktioneller Eisenmangel als relevante Gesundheitsstörung erwähnt. Komorbiditäten können den Einsatz wichtiger Arzneistoffe erschweren (z.B. ACE-H bei Patienten mit Niereninsuffizienz) oder sogar unmöglich machen. Andererseits können bei Komorbiditäten eingesetzte Therapeutika auch die Herzinsuffizienz ungünstig beeinflussen (z.B. nicht-steroidale Antiphlogistika). Arzneimittel, die zur Behandlung von Komorbiditäten eingenommen werden, können zudem in ungünstiger Weise mit Herzmedikamenten interagieren (z.B. Beta-Sympathomimetika bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung und BB). Da Komorbiditäten (z.B. Depression, Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus) die klinischen Symptome, die Progression und damit die Prognose bei Patienten mit Herzinsuffizienz negativ beeinflussen, werden zunehmend Therapiestudien durchgeführt mit dem Ziel, das Herzinsuffizienzsyndrom durch Behandlung dieser Komorbiditäten zu bessern. Die Datenlage ist bisher jedoch dürftig.
Die Zahl der Komorbiditäten nimmt mit dem Lebensalter zu. Daraus resultiert häufig eine Polypharmakotherapie mit hohem Risiko für Interaktionen und mangelnde Therapieadhärenz. Veränderungen der Pharmakokinetik und -dynamik sind bei älteren Patienten zu beachten und Arzneimittel-Dosierungen entsprechend anzupassen.
Multidisziplinäre Betreuung: Die Therapie der Herzinsuffizienz ist komplex und in der Alltagsroutine schwer umzusetzen. Bei stetig zunehmenden Krankenhausaufenthalten wegen Herzinsuffizienz und wachsenden Kosten besteht hier dringender Handlungsbedarf, ganzheitliche Versorgungsansätze zu entwickeln und umzusetzen, die Probleme an Schnittstellen zwischen verschiedenen Versorgungsebenen (z.B. nach Krankenhausentlassung) zu vermeiden, Krankheitsverständnis und Selbstverantwortung der Patienten zu stärken, Multimorbidität bei der Betreuung zu berücksichtigen und eine langzeitige Betreuung zu gewährleisten. Dazu kann es keine beweisenden, randomisierten, kontrollierten Studien geben. Aber auch die Leitlinie empfiehlt, die pharmakologische und interventionelle Therapie in kardiologisch-allgemeinmedizinischer Zusammenarbeit zu praktizieren. Die kürzlich publizierte Studie des Interdisziplinären Netzwerks Herzinsuffizienz Würzburg (INH; 10) zeigt, dass auf diese Weise auch innerhalb des deutschen Gesundheitssystems die Letalität herzinsuffizienter Patienten gesenkt sowie Morbidität und Lebensqualität verbessert werden können.
Literatur
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