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Prednisolon für die Substitution bei Patienten mit Nebennierenrinden-Insuffizienz

Die standardmäßige Glukokortikosteroid(GK)-Substitution bei primärer und sekundärer Nebennierenrinden-Insuffizienz (NNRI) erfolgt meist mit dem natürlichen Hydrokortison (HK = Kortisol; vgl. 1). Die meisten Patienten nehmen frühmorgens etwa zwei Drittel und am Nachmittag ein Drittel der ermittelten Tagesdosis ein. Manche Patienten bevorzugen jedoch die Verteilung auf drei Einnahmen, wie es in Großbritannien und in Schweden üblich ist. Bei allen Patienten soll initial die kleinste HK-Tagesdosis ermittelt werden, mit der sie sich unter alltäglichen Stressbedingungen noch wohl fühlen. Dauerhaft höhere Dosierungen sind wegen unerwünschter metabolischer Effekte des GK zu vermeiden (2, 3). Laborwerte sind nicht geeignet, die optimale Dosis zu ermitteln. Die HK-Tagesdosis variiert bis auf wenige Ausnahmen zwischen 15 und maximal 25 mg/d. Die Halbwertzeit (HWZ) von HK im Plasma nach oraler Gabe beträgt etwa 90 Minuten. Die „biologische HWZ“, d.h. die Wirkung auf die biologischen Effektoren ist jedoch erheblich länger. Entsprechendes gilt auch für andere GK.

Manchen Patienten fällt jedoch aus beruflichen oder anderen persönlichen Gründen die Einnahme einer zweiten und/oder dritten HK-Tagesdosis schwer. Wird die zweite oder dritte mit dem behandelnden Arzt vereinbarte Dosis versäumt, dann besteht bei unerwartetem Stress das Risiko einer GK-Mangel-Krise (Addison-Krise; vgl. 1). Deshalb wäre eine einmal morgendliche Einnahme des GK, das den Bedarf des ganzen Tages abdeckt, für viele Patienten wünschenswert.

In osteuropäischen Ländern war Prednisolon (P) mit einer Plasma-HWZ von 2-3 Stunden das Standard-GK für die Substitutionstherapie bei NNRI, so auch in der DDR, wo HK nicht zur Verfügung stand.

Neuere Studien bei Kindern und Jugendlichen mit Adrenogenitalem Syndrom (AGS; adrenaler 21-Hydroxylasemagel), die zwecks Unterdrückung der überschießenden Androgensynthese und zur Substitution des HK-Mangels dauerhaft mit einem GK behandelt werden müssen, haben ergeben, dass das Verhältnis der glukokortikoiden Potenz zwischen P und HK nicht, wie bisher angenommen, ca. 4:1, sondern ca. 6:1 ist (4, 5).

Bleicken et al. von der Charité Berlin verglichen 2008 die Lebensqualität von Patienten mit NNRI, die nach der deutschen Wiedervereinigung entweder mit HK oder mit P für mehrere Jahre substituiert worden waren, und fanden keine signifikanten Unterschiede (6). Kroetz et al. führten bei einem Teil des gleichen Patientenkollektivs Knochendichtemessungen mit der DXA-Methode durch (7). Es hatten 27 Patienten seit ca. 20 Jahren HK und 25 gut vergleichbare Patienten P eingenommen. Der Z-Score (Knochendichte, altersbezogen) war bei den P-Patienten an LWS und Schenkelhals etwas niedriger als bei den HK-Patienten, aber sehr wenige Patienten hatten klinisch eine Osteoporose. Die mittlere tägliche HK-Dosis betrug 20,5 mg, während die tägliche P-Dosis zwischen 5 und 7,5 mg lag. Bei einem Umrechnungsfaktor der GK-Potenz zwischen P und HK von ca. 6 entspricht das täglichen HK-Dosen von ≥ 30 mg. Die etwas geringere Knochendichte nach Substitution mit P ist wahrscheinlich auf eine relative Überdosierung von P zurückzuführen.

Eine Arbeitsgruppe um K. Meeram am Imperial College in London (8) führt seit mehreren Jahren klinische Studien zur GK-Substitution bei NNRI-Patienten mit niedrigeren Tagesdosen von P (3-5 mg einmal morgens) durch. In einer neueren Publikation dieser Arbeitsgruppe wurden kürzlich metabolische Befunde bei Patienten mit primärer oder sekundärer NNRI verglichen, die entweder mit HK (n = 82; meist 3 Dosen täglich; mittlere Tagesdosierung 20,5 mg) oder mit P (n = 63; einmalig morgens; mittlere Tagesdosierung 3,7 mg) substituiert worden waren (9). Sie fanden keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich HbA1c, Gesamt- und LDL-Cholesterin, Blutdruck und Körpergewicht. Die Zufriedenheit der Patienten mit der nur einmaligen Einnahme von P war tendenziell besser als bei HK.

Die Leitlinien der US-amerikanischen Endocrine Society zu Diagnose und Therapie der NNRI aus dem Jahr 2016 (10) berücksichtigen bereits die neuen Erkenntnisse über die größere Potenz von P in der Substitutionstherapie und empfehlen Tagesdosen von 3-5 mg besonders für Patienten, die für die Einnahme von mehreren Tagesdosen von HK nicht gut geeignet sind. In Deutschland stehen für die niedrig dosierte P-Therapie, also auch für die Substitutionstherapie, Tabletten zu 1, 2 und 5 mg zur Verfügung.

Patienten mit primärer NNRI haben neben dem Mangel an HK fast ausnahmslos auch einen Aldosteron-Mangel, der bis zur Entdeckung der starken mineralokortikoiden Potenz von 9-alfa-fluoridiertem HK (Fludrokortison) sehr schlecht therapierbar war (oral eingenommenes Aldosteron wird in der Leber fast komplett inaktiviert). Mit dem Präparat Astonin® H steht ein hoch wirksamer oraler Aldosteron-Ersatz zur Verfügung (einmalige Tagesdosis 50 bis maximal 200 µg = ½-2 Tabletten Astonin® H). HK hat neben der glukokortikoiden auch eine schwache mineralokortikoide Wirksamkeit; bei P ist sie noch geringer. Werden Patienten mit primärer NNRI von HK auf P umgestellt, muss manchmal die Astonin® H-Dosis um ½ Tablette erhöht werden. Die optimale Dosis von Astonin® H ist diejenige, bei der ca. 2 Wochen nach Dosisänderung das Serum-Kalium im Normbereich und die Renin-Aktivität oder -Konzentration im oberen Normbereich liegt (11).

Vor einigen Jahren (2011) hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) aufgrund einer einzigen Publikation (12) ein „Modified release“-HK-Präparat (Plenadren®; jetzt Shire Deutschland GmbH) für die Substitution bei NNRI als Orphan Arzneimittel zugelassen. Diese in der Regel nur einmal am Morgen einzunehmenden Tabletten (zu 20 mg bzw. 5 mg) setzen einen kleineren Teil der Dosis sofort, den größeren Teil verzögert frei, so dass bis in den Abend hinein HK im Serum messbar ist. Nach der offenen Zulassungsstudie bei Patienten mit primärer NNRI (Vergleich zwischen 30 mg/d konventionellem HK, verteilt auf 3 Dosen und 30 mg Plenadren® einmal morgens) entschieden sich die meisten Patienten für die nur einmal tägliche Einnahme. Plenadren®, das heftig beworben wird, kostet ca. 15 mal so viel wie konventionelles generisches HK. Die Bioverfügbarkeit ist um ca. 20% geringer als die des konventionellen HK. Vergleichsstudien zwischen Plenadren® und P gibt es nicht und werden vom Hersteller auch vermutlich nicht veranlasst werden.

Fazit: Die meisten Patienten mit primärer oder sekundärer Nebennierenrinden-Insuffizienz (NNRI) werden mit 2, manchmal 3 Tagesdosen Hydrokortison (= Kortisol; 15 bis maximal 25 mg/d) substituiert. Die Substitution mit Prednisolon stand bisher im Verdacht, mehr metabolische Nebenwirkungen als Hydrokortison im Sinne cushingoider Symptome zu verursachen. Neuere Studien zur Substitution bei NNRI haben ergeben, dass die Wirksamkeit von Prednisolon größer ist als bisher angenommen wurde. In einer Studie aus London war das metabolische Profil bei NNRI-Patienten unter Substitution mit einmal morgens Prednisolon (mittlere Tagesdosis 3,7 mg) nicht verschieden von dem bei Patienten, die dreimal am Tag Hydrokortison (mittlere Tagesdosis 20,5 mg) eingenommen hatten. Die Substitution mit Prednisolon ist besonders geeignet für Patienten, die Hydrokortison aus beruflichen oder Compliance-Gründen nicht zwei- oder dreimal am Tag einnehmen können oder möchten.

Literatur

  1. AMB 2014, 48, 33. Link zur Quelle
  2. Zelissen, P.M., et al.: Ann. Intern. Med. 1994, 120, 207. Link zur Quelle
  3. Oelkers, W.: N. Engl. J. Med. 1996, 335, 1206. Link zur Quelle
  4. Caldato, M.C., et al.: Arq. Bras. Endocrinol. Metabol. 2004, 48, 705. Link zur Quelle
  5. Leite, F.M., et al.: Arq. Bras. Endocrinol. Metabol. 2008, 52, 101. Link zur Quelle
  6. Bleicken, B., et al.: Eur. J. Endocrinol. 2008, 159, 811. Link zur Quelle
  7. Kroetz, K.R., et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2012, 97, 85. Link zur Quelle
  8. Amin, A., et al.: Brit. Med. J. 2014, 349, g4843. Link zur Quelle
  9. Smith, D.J.F., et al.: Endocr. Connect. 2017, 6, 766. Link zur Quelle
  10. Bornstein , S.R., et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2016, 101, 364. Link zur Quelle
  11. Oelkers, W., et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 1992, 75, 259. Link zur Quelle
  12. Johannsson, G., et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2012, 97, 473. Link zur Quelle