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Die Therapie mit Glukokortikosteroiden ist ein Risikofaktor für COVID-19-assoziierte pulmonale Aspergillosen bei intensivpflichtigen Patienten

Die invasive pulmonale Aspergillose (IPA) ist eine gefürchtete Komplikation bei schwerkranken, meist immungeschwächten Patienten; als opportunistische Infektion hat sie Sterblichkeitsraten von 30-60% [1]. Neben den bekannten Risikogruppen können auch Patienten mit schweren viralen Pneumonien eine IPA entwickeln, beispielsweise bei Influenza, Parainfluenza, RSV (Respiratory Syncytial Virus) und Coronaviren wie SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) oder MERS (Middle East Respiratory Syndrome; [2], [3], [4], [5]). Bei Patienten mit schweren Verläufen von Influenza-Pneumonien kann die IPA bei bis zu 28% auftreten und ist dann mit längerem Krankenhausaufenthalt bzw. erhöhter Letalität assoziiert ([2][6][7]). Bei IPA infolge schwerer Virusinfektionen mit ARDS werden mehrere Pathomechanismen diskutiert:

  • direkte Schädigung des pulmonalen Epithels durch das Virus;
  • strukturelle Veränderungen des Lungengerüsts infolge von ARDS;
  • beeinträchtigte zelluläre Immunität infolge von Lymphopenie;
  • gestörtes Gleichgewicht zwischen pro- und antiinflammatorischen Zytokinen (vgl. [8]);
  • Immunmodulation durch begleitende Therapie mit Glukokortikosteroiden;
  • mikrobielle Selektion durch begleitende Antibiotikatherapie.

Die beiden letzten Faktoren sind Folge der Therapie. Bei der Behandlung von COVID-19 haben Glukokortikosteroide einen gewissen Überlebensvorteil nach 28 Tagen gezeigt (vgl. [9]), allerdings nur bei schwerkranken intubierten Patienten, wobei die optimale Dosierung und optimale Behandlungsdauer unklar blieb. Bei Patienten mit COVID-19, die nicht intubiert oder intensivpflichtig waren, fand sich kein Vorteil [10]. Seit der Publikation zum positiven Effekt von Glukokortikosteroiden bei Patienten mit COVID-Pneumonie auf Intensivstationen wird bei nahezu allen Patienten 6 mg Dexamethason täglich für 10 Tage verordnet [10]. Seither steigt auch die Zahl der Berichte über IPA bei diesen Patienten, die in dieser Situation CAPA („COVID-19-Associated Pulmonary Aspergillosis“) genannt und zunehmend als ernsthaftes Problem erkannt wird ([11],[12],[13],[14],[15],[16],[17]). Patienten, die wegen einer COVID-19-Pneumonie intubiert werden müssen, bleiben meistens längere Zeit intubiert und intensivpflichtig, so dass es wichtig ist zu wissen, wie der Krankheitsverlauf langfristig ist. Die Charité Berlin mit mehreren Standorten und zum Teil auf COVID-19 spezialisierten Intensivstationen hat wohl die meisten schwerkranken COVID-19-Patienten in Deutschland und Europa behandelt. Kürzlich wurden Ergebnisse zum Auftreten von CAPA vor und nach Einführung der Dexamethason-Therapie auf Intensivstationen bei Patienten mit COVID-19 publiziert [18].

Methodik: In diese retrospektive Studie wurden alle Patienten eingeschlossen, die wegen einer COVID-19-Pneumonie auf den 13 Intensivstationen der Charité im Jahr 2020 behandelt worden waren. Für die Diagnose CAPA wurden die Kriterien der „European Confederation of Medical Mycology“ (ECMM) benutzt (s.u.). Univariate und multivariate Analysen wurden angewendet, um Risikofaktoren für CAPA zu identifizieren. Für diese Untersuchung konnte auf ein etabliertes System des Hygiene-Instituts zurückgegriffen werden, das alle pathogenen Erreger auf den Intensivstationen erfasst. Auf den Intensivstationen der Charité werden u.a. regelmäßig Untersuchungen auf Aspergillose bei intubierten Patienten durchgeführt. Hierdurch konnten alle Patienten identifiziert werden, bei denen mittels Kultur aus Bronchialsekret Aspergillen-Spezies nachgewiesen wurden oder bei denen im Blut der Aspergillus-spezifische Antigentest (Galactomannan-Test) positiv war.

Die Definition der CAPA ist für die Aussagekraft einer solchen Studie entscheidend; daher wurden die ECMM-Kriterien angewendet, die 2020 erarbeitet und publiziert wurden [19]. Zu diesen Kriterien zählen der direkte Nachweis der Erreger (Mikroskopie, Kultur) aus bronchoskopisch oder nicht-bronchoskopisch gewonnener bronchioalveolärer Spülflüssigkeit. Zusätzlich wurden diese Flüssigkeiten und Serum mit einem speziellen Aspergillus-spezifischen Antigentest (Enzym-Immun-Antigen-Test von BIO-Rad) untersucht. Ein PCR-Test wurde nicht verwendet, da er zu oft falsch positiv ist durch Kontamination mit in der Umwelt vorhandenen Aspergillen. Ein endgültiger Beweis ergab sich bei Gestorbenen durch die Autopsie. Die Diagnose mögliche oder wahrscheinliche CAPA wurde anhand der oben erwähnten mikrobiologischen Nachweise gestellt sowie zusätzlich durch die folgenden klinischen und radiologischen Kriterien: refraktäres Fieber über 3 Tage oder Fieber > 48 Stunden trotz breiter antibiotischer Therapie bei entsprechenden radiologischen Kriterien im hochauflösenden CT. Ohne klinisches Korrelat wurde somit die Diagnose CAPA trotz des eindeutigen mikrobiologischen Nachweises nicht gestellt. Im Juli 2020 wurde die Dexamethason-Therapie (6 mg/d für 10 Tage) für schwerkranke Patienten mit COVID-19 auf allen Intensivstationen der Charité eingeführt. In der untersuchten Kohorte wurden 21% der Patienten mit der extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) behandelt.

Ergebnisse: Insgesamt wurden im Jahr 2020 522 Patienten mit COVID-19-Pneumonie auf den Intensivstationen der Charité behandelt und entsprechend untersucht. Männer überwogen, und das mediane Alter lag bei 66 Jahren. Von diesen 522 Patienten entwickelten 47 (9%) CAPA. Im Detail: Während des Aufenthalts auf den Intensivstationen wurden bei 65 (17%) Patienten Aspergillen-Spezies nachgewiesen und weiter untersucht. Aspergillus fumigatus war am häufigsten. Bei 18 Patienten wurde der Nachweis als Kolonisation, also als klinisch nicht relevant eingestuft. Bei den anderen bestand eine klinisch relevante CAPA. Von diesen wurde bei 2 Patienten (3%) die Diagnose post mortem histologisch bestätigt. Von den 457 Patienten ohne Nachweis von Aspergillen wurden 168 randomisiert als Kontrollen ausgewählt. Multivariate Analysen zeigten die Behandlung mit Dexamethason als einen unabhängigen Risikofaktor für CAPA (Odds Ratio = OR: 3,110, 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,112-8,697). Von den 47 Patienten mit CAPA starben 30 (60%) während des Krankenhausaufenthalts, von den Kontrollen 80 (43%). Im Median waren die Patienten ohne CAPA 24 Tage und mit CAPA 33 Tage im Krankenhaus. Eine weitere Nachverfolgung fand nicht statt. Aber aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass von Patienten mit schwerem intensivpflichtigem COVID-19 nach Entlassung aus dem Krankenhaus im Verlauf des nächsten halben Jahres weitere fast 30% sterben [20]. Dies ist u.a. auf inflammatorische Prozesse zurückzuführen, die lange nach der Infektion fortdauern (8). Aus dem zeitlichen Vergleich der Studienergebnisse wird deutlich, dass die Zahl der CAPA nach Einführung der Dexamethason-Behandlung stetig anstieg. Bis Juli 2020 wurde bei 4,5% Patienten CAPA diagnostiziert (6 von 134), von Juli bis Dezember 2020 stieg der Anteil auf 10,6% (41 von 388). Dieser Anstieg war statistisch signifikant (p = 0,049 im Chi-Quadrat-Test; Relatives Risiko = RR: 4,286; CI: 1,779-9,234).

Patienten mit CAPA hatten höhere IL-6-Spiegel im Blut (1005 ng/ml vs. 451 ng/ml; p < 0,008), hatten häufiger ein akutes Lungenversagen (ARDS = Acute Respiratory Distress Syndrome; 60% vs. 41%; p = 0,024) und benötigten häufiger ein Nierenersatz-Verfahren (60% vs. 41%; p = 0,024). Ein weiterer Risikofaktor für das Auftreten von CAPA war daher der Schweregrad-Score SAPS („Simplified Physiological Score“; vgl. [21]): OR: 1,063; CI: 1,028-1,098).

Fazit

In dieser sorgfältig retrospektiv durchgeführten Studie wurde ein erhöhtes Risiko für COVID-19-assoziierte pulmonale Aspergillose (CAPA) und erhöhte Letalität bei Patienten mit COVID-19-Pneumonie auf Intensivstation unter Behandlung mit Dexamethason nachgewiesen. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die Behandlung mit Glukokortikosteroiden ist ein bekannter Risikofaktor für invasive pulmonale Aspergillosen (IPA) und bei intensivpflichtigen Patienten mit COVID-19 auch für andere respiratorische Infektionen [22]. Für den Fall, dass es wieder häufiger zu schweren COVID-19-Pneumonien kommen sollte, wäre es klinisch wichtig, die optimale Dauer und Dosis der Glukokortikosteroid-Therapie genauer zu kennen, um zu vermeiden, dass der nachgewiesene kurzfristig positive Effekt bei intubierten Patienten langfristig verlorengeht. Erneut muss darauf hingewiesen werden, dass es für eine Glukokortikosteroid-Therapie bei nicht intensivpflichtigen COVID-19-Patienten keinen Vorteil und somit keine Indikation gibt [23].

Literatur

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  2. Magira, E.E., et al.: Open Forum Infect. Dis. 2019, 6, ofz247. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6639596/pdf/ofz247.pdf. Erratum: Open Forum Infect. Dis. 2019, 6, ofz458. (Link zur Quelle)
  3. Hwang, D.M., et al.: Mod. Pathol. 2005, 18, 1. (Link zur Quelle)
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  7. Huang, L., et al.: Clin. Respir. J. 2019, 13, 202. (Link zur Quelle)
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  15. Chong, W.H., et al.: Infection 2022, 50, 43. (Link zur Quelle)
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  23. Agarwal, A., et al.: BMJ 2020, 370, m3379. (Link zur Quelle)