Die Einnahme eines ACE-Hemmers wird – gleichgültig, ob eine Hypertonie vorliegt oder nicht – allen Typ-1-Diabetikern mit Mikroalbuminurie empfohlen (1). Diese Empfehlung basiert auf sorgfältigen Studien, die gezeigt haben, daß ACE-Hemmer das Fortschreiten der Albuminurie verlangsamen (2). Eine Zunahme der Albuminurie wird in diesem Zusammenhang als Surrogat-Endpunkt für das Fortschreiten der diabetischen Nephropathie angesehen. Dennoch bleiben zu dieser Indikation der ACE-Hemmer einige Fragen offen. So waren die Patienten in den betreffenden Studien doch sehr heterogen: es wurden solche mit geringer Albuminurie und geringer Niereninsuffizienz bis hin zu großer Albuminurie und fortgeschrittener Nephropathie untersucht. Da die Mikroalbuminurie oft schon während der ersten 5 Jahre des Diabetes beginnt (3), bedeutet diese Empfehlung aber auch, daß relativ junge Patienten viele Jahre lang ACE-Hemmer einnehmen sollten. Auch wenn sich ACE-Hemmer im Hinblick auf das Fortschreiten der Albuminurie als protektiv erwiesen haben, so sind einige Studien doch zu klein, um dies statistisch beweisen zu können. Darüber hinaus ist nicht klar, ob ACE-Hemmer ihre Wirkung durch Senkung des systemischen und/oder des intrarenalen Blutdrucks entfalten.
Die „ACE Inhibitors in Diabetic Nephropathy Trialist Group“ hat sich kürzlich in einer sehr sorgfältigen Metaanalyse mit der praktisch wichtigen Frage befaßt, ob es bei der Wirkung der ACE-Hemmer auf die Albuminurie einen Schwellenwert gibt und ob andere Faktoren diese Wirkung beeinflussen (4). Es wurden bei der Suche in MEDLINE und in anderen Bibliographien 12 Studien (5-16) zu diesem Problem gefunden und Daten von insgesamt 698 Patienten ausgewertet. Die zur Auswahl stehenden Studien mußten folgende Kriterien erfüllen: mindestens 10 normotensive Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 und Mikroalbuminurie, Einschluß einer Plazebo- bzw. einer nicht-interventionellen Gruppe sowie eine Nachbeobachtungszeit von mindestens einem Jahr. Zur Bewertung des Behandlungseffekts nach zwei Jahren fanden sich insgesamt 10 Studien mit zusammen 646 Patienten. Die Besonderheit dieser Metaanalyse besteht darin, daß die Originalunterlagen aller Patienten über die jeweiligen Leiter der Einzelstudien angefordert wurden, damit die Einschlußkriterien jedes einzelnen Patienten überprüft und die Daten auf ein vergleichbares Format gebracht werden konnten. Dies geschah wohl in der Absicht, der gelegentlich boshaft geäußerten Meinung zu entgehen, die Analyse verhalte sich zur Metaanalyse wie die Physik zur Metaphysik. Folgende ACE-Hemmer wurden eingesetzt: Captopril (269 Patienten; 5, 6, 10), Enalapril (41 Patienten; 11, 14), Lisinopril (168 Patienten; 7-9, 13), Perindopril 34 Patienten; 12), Ramipril (186 Patienten; 15, 16).
Ergebnisse: ACE-Hemmer verlangsamen die Progression von Mikroalbuminurie zur Makroalbuminurie bei Typ-1-Diabetikern (Odds Ratio = OR = 0,38; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,25-0,57; p < 0,001). Bis auf die PRIMA-Studie (15) fand sich diese Tendenz in allen Studien. Unter ACE-Hemmer-Therapie war auch ein Rückgang von der Mikroalbuminurie zur Normoalbuminurie häufiger als unter Plazebo (OR = 3,07; CI = 2,15-4,44; p < 0,001). In den 10 Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 2 Jahren war die Albumin-Ausscheidungs-Rate in den Verum-Gruppen zu diesem Zeitpunkt 50,5% geringer als in den Plazebo-Gruppen (CI = 29,2%-65,5%). Dieser errechnete antialbuminurische Effekt der ACE-Hemmer war abhängig vom Ausmaß der Mikroalbuminurie zu Beginn der Behandlung: die Albumin-Ausscheidungs-Rate war 74,1% geringer bei Patienten mit 200 µg/min. (oberer Grenzbereich der Mikroalbuminurie) bzw. 17,8% geringer bei 20 µg/min. (unterer Grenzbereich der Mikroalbuminurie; p = 0,04) im Vergleich mit Plazebo. Diese Abhängigkeit wurde in allen Patienten-Untergruppen gefunden. Da es möglich schien, daß auch Veränderungen des systemischen Blutdrucks unter den ACE-Hemmern Einfluß auf die Albumin-Ausscheidung nehmen, wurde auch diese Variable in einem speziellen Analyse-Modell separat untersucht: der antialbuminurische Effekt war auch unter Berücksichtigung der Blutdruckunterschiede deutlich, wenn auch etwas geringer ausgeprägt (45,1% geringere Albumin-Ausscheidungs-Rate im Vergleich zu Plazebo; CI = 18,6%-63,1%; p < 0,001). Lebensalter, Dauer des Diabetes, Güte der Diabeteseinstellung und Geschlecht hatten keinen Einfluß auf diese ACE-Hemmer-Wirkung. Fazit: Diese sorgfältige Metaanalyse zeigt, daß verschiedene ACE-Hemmer die Mikroalbuminurie bei normotensiven Typ-1-Diabetikern verringern und die Progression zur Makroalbuminurie verlangsamen. Dieser als günstig einzuschätzende Effekt ist um so größer je stärker die Mikroalbuminurie ist. Veränderungen im systemischen Blutdruck allein können diese Wirkung der ACE-Hemmer nicht erklären. ACE-Hemmer können beim Typ-1-Diabetes unter dem Gesichtspunkt der Nephroprotektion empfohlen werden.
Literatur
1. Coper, M.E.: Lancet 1998, 352, 213.
2. Kasiske, B.L., et al.: Ann. Intern. Med. 1993, 118, 129.
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4. The ACE Inhibitors in Diabetic Nephropathy Trialist Group: Ann. Intern. Med. 2001, 134, 370.
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14. Barnes, L.A., et al. (ESPRIT = European Study for the Prevention of Renal disease In Type 1 diabetes): Nephrol. Dial. Transplant. 2000, 15, 239.
15. Bojestig, M., und Karlberg, B.E. (PRIMA = Project with Ramipril on Insulin dependent patients with MicroalbuminuriA): Diabetologia 1997, 40 Suppl. 1, A544.
16. ATLANTIS = ACE-inhibitor Trial to Lower Albuminuria in NormoTensive Insulin-dependent Subjects: Diabetes Care 2000, 23, 1823.