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Therapie mit Statinen. Schlechte Compliance älterer Patienten

In mehreren großen Multicenter-Studien und zuletzt in der Heart Protection Study (1) konnte die Wirksamkeit der Statine im Hinblick auf Gefäßereignisse sowohl für die Primär- als auch Sekundärprävention nachgewiesen werden. Obwohl sich in der MIRACL-Studie (2) auch einige frühe (pleiotrope) Effekte von Statinen beim akuten Koronarsyndrom fanden, ist für die in den großen Studien (1, 3, 4) gefundenen protektiven Wirkungen eine kontinuierliche Behandlung von mindestens 1-2 Jahren bzw. eine dauerhafte Behandlung notwendig. Unter den Bedingungen der Interventionsstudien waren die tatsächliche Einnahme der vorgesehenen Medikamente (Compliance) und die Kontinuität der Medikamenteneinnahme (Adhärenz) gut, nämlich bei 80-90% der Patienten. Allerdings werden solche Studien logistisch und ärztlich intensiv begleitet. Darüber hinaus sind Patienten in randomisierten Studien meist stark selektiert und überwiegend jünger als 65 Jahre.

Im JAMA wurden nun die Ergebnisse zweier großer pharmakoepidemiologischer Studien zur Adhärenz älterer Patienten (> 65 Jahre) bei Statintherapie unter „Normalbedingungen“ veröffentlicht (5, 6). C.A. Jackevicius et al. aus Ontario, Kanada nutzten für ihre Erhebung die vernetzten Daten der staatlichen Versicherung sowie der ambulanten Verordnungs- und Krankenhaus-Datenbanken des Staates Ontario (5). So konnten Häufigkeit und Dauer der Statinverordnung bei den 11 Mio. Einwohnern untersucht werden. Etwa 10% der Einwohner > 65 Jahren hatten Statine verordnet bekommen. In die Studie wurden Patienten eingeschlossen, die im Zeitraum 1994-1998 mindestens einmal ein Statin verschrieben bekommen und die in den letzten 12 Monaten zuvor kein Statin eingenommen hatten. Anhand der in der Folgezeit dokumentierten Verordnungen und Abgaben wurde bei allen Patienten die Medikamenteinnahme über 2 Jahre analysiert. Als Adhärenz wurde eine jeweils neue Statinverschreibung nach 120 Tagen definiert, wobei eine ärztliche Verordnung maximal 100 Tage ausreichte. Die Medikamentenkosten werden in Kanada – bis auf eine Zuzahlung von zwei Dollar je Verordnung – komplett von der Versicherung übernommen.

Eingeschlossen wurden Patienten (Durchschnittsalter 71 Jahre) mit folgenden Hauptdiagnosen: 1. Akutes Koronarsyndrom (n = 22379), 2. chronische KHK (n = 36106), 3. Primärprävention (n = 85020). Am häufigsten wurden Simvastatin (30%), Atorvastatin (29%) und Pravastatin (25%) verordnet.

Die medikamentöse Adhärenz nahm kontinuierlich innerhalb der ersten 2 Jahre nach der ersten Verordnung ab. Nach 6 Monaten nahmen mindesten 25% der Patienten in allen 3 Gruppen ihre Medikamente nicht mehr regelmäßig ein. Nach 2 Jahren waren es 60% in Gruppe 1, 64% in Gruppe 2 und 75% in Gruppe 3. 46% der nicht-adhärenten Patienten lösten zu einem späteren Zeitpunkt wieder Rezepte ein; sie nahmen also ihre Medikamente nicht kontinuierlich ein. Die Autoren folgern aus ihren Ergebnissen, daß dringend Konzepte zur Verbesserung der medikamentösen Adhärenz erarbeitet werden müssen.

In der zweiten Studie untersuchten Autoren der Harvard Medical School in einer retrospektiven Kohortenstudie bei einer vergleichbaren US-amerikanischen Patientenpopulation die Adhärenz unter einer Statintherapie bei insgesamt 34501 älteren Versicherten in den Jahren 1990-1999. Die Patienten rekrutierten sich hierbei aus Medicaid-Versicherten mit niedrigem Einkommen ohne Zuzahlung und Mitgliedern einer Zusatzversicherung mit etwas höherem Einkommen und Zuzahlung von fünf Dollar pro Rezept. Anhand der eingelösten Rezepte wurde der Prozentsatz von tatsächlichen Therapietagen errechnet.

In dieser Studie lag der Patientenanteil mit regelmäßiger Statineinnahme nach 3 Monaten bei 79%, nach 6 Monaten bei 56% und nach 60 Monaten bei nur noch 35%. Die Kriterien einer medikamentösen Adhärenz, definiert als mindestens 80% medizierter Therapietage, erfüllten danach 60%, 43% und 23% nach 3, 6 und 60 Monaten. Die Adhärenz war unabhängig vom Einkommen, allerdings besonders gering bei Patienten > 75 Jahren und bei gleichzeitiger Depression. Demgegenüber nahmen Patienten mit schwerer KHK die Medikamente signifikant regelmäßiger ein. Ereignete sich aber unter laufender Statintherapie ein Herzinfarkt, nahm die Adhärenz in der Folgezeit ab. Vermutlich wurde das Medikament dann von den Patienten als unwirksam erachtet. Im gesamten Studienzeitraum fand sich ein leichter Anstieg der Adhärenz, was vermutlich auf die Publikation der großen Studien zurückzuführen ist. Die Autoren folgern, daß die sehr gute Adhärenz in den großen Studien nicht auf die normale Verordnungssituation übertragbar und daß der errechnete Nutzen einer Statintherapie entsprechend zu relativieren ist.

In einem begleitenden Editorial (7) wird die Wichtigkeit dieser beiden Studien betont. Gerade die Altersgruppe mit dem größten Therapienutzen nimmt die Medikamente langfristig nicht regelmäßig ein. Neben speziellen nun zu entwickelnden Adhärenz-Management-Programmen können Compliance und Adhärenz aber auch durch einfache Methoden verbessert werden. Einen positiven Einfluß haben nachweislich die frühe Verordnung im Krankenhaus sowie die eingehende Medikamenteninformation und Nachsorge durch den Arzt. Darüber hinaus sollten Patienten nach einem (erneuten) „Gefäßereignis“, selbst wenn es unter der Einnahme eines Statins aufgetreten ist, über den Nutzen der sekundären Prävention informiert werden.

Fazit: Es reicht nicht, ein in Studien als wirksam erkanntes Medikament zu verordnen. Es muß auch mit geeigneten Maßnahmen, z.B. wiederholt Informationen, dafür gesorgt werden, daß es korrekt und regelmäßig eingenommen wird.

Literatur

  1. HPS = Heart Protection Study: Lancet 2002, 360, 7 und 23; s.a. AMB 2002, 36, 69a.
  2. Schwartz, G.G., et al. (MIRACL = Myocardial Ischemia Reduction with Aggressive Cholesterol Lowering): Am. J. Cardiol. 1998, 81, 578und JAMA 2001, 285, 1711; s.a. AMB 2001, 35, 37.
  3. Shepherd, J., et al. (WOSCOPS = West Of Scotland COronary Prevention Study): N. Engl. J. Med. 1995, 333, 1301; s.a. AMB 1995, 29, 92.
  4. Scandinavian Simvastatin Survival Study (4S): Lancet 1994, 344, 1383; s.a. AMB 1995, 29, 4.
  5. Jackevicius, C.A., et al.: JAMA 2002, 288, 462.
  6. Benner, J.S., et al.: JAMA 2002, 288, 455.
  7. Applegate, W.B.: JAMA 2002, 288, 495.