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Leserbrief: Azetylsalizylsäure (ASS)-Resistenz und „ASS-Non-Responder”

Dr. U.P. aus Borna schreibt: >> Von der „Stroke unit“ einer Universität werden Patienten entlassen, bei denen mit dem PFA-100-Test eine ASS-non-responder-Situation festgestellt wurde. Daraus wird abgeleitet, dass lebenslang (!) Clopidogrel eingenommen werden soll. Uns scheint dies eine Ausweitung der Indikation von Clopidogrel zu sein. Völlig unkritisch wird eine solche Anweisung auch gegeben bei Patienten, die nach wie vor 15 Zigaretten am Tag rauchen. <<

Antwort: >> Eine „Aspirin-Resistenz” wird bei ca. 25% aller Menschen angenommen (1). Klinisch ist sie dadurch definiert, dass unter einer Prophylaxe mit ASS ein kardiovaskuläres Rezidivereignis auftritt. Dazu können viele Faktoren beitragen: eine genetisch bedingte Unwirksamkeit von ASS, Einnahmefehler, Arzneimittelinteraktionen, erhöhte Plättchenreagibilität (Entzündungen, Gefäßeingriffe), Kardioembolien u.v.m. Die klinische Definition der „Aspirin-Resistenz” ist unspezifisch und im klinischen Alltag wenig hilfreich.

Seit über 40 Jahren werden diverse, mehr oder weniger aufwändige Thrombozytenfunktionstests verwendet, um die Fähigkeit der Plättchenaggregation in vitro zu bestimmen. Diese Tests basieren auf verschiedenen laborchemischen Verfahren: Plättchenaggregometrie, Plättchen-Mikroaggregationstest, Plättchenzählung, Flußzytometrie, Thromboxanausscheidung im Urin u.a. (2). Die Tests sind meist schlecht oder gar nicht standardisiert.

Seit 1996 steht ein Schnelltest der Firma Dade-Behring zur Verfügung (3). Bei diesem sog. „PFA-100-Test” wird Zitratblut durch eine Membran geleitet, die mit Typ-I-Kollagen und Adrenalin oder ADP behaftet ist. Diese Moleküle sind in vivo und in vitro starke Aktivatoren der Plättchenaggregation.

Bei intakten Thrombozyten gerinnt das Blut an der Membran nach einer bestimmten Zeit (ca. 70-180 s). Wenn die Thrombozyten medikamentös (z.B. durch ASS) effektiv gehemmt sind, kommt es nicht zum thrombotischen Membranverschluss. Wenn es trotz ASS-Behandlung zum Verschluss durch Gerinnsel kommt, liegt eine „Non-Responder”- oder eine „Teil-Responder”-Situation vor.

Dieser Befund wird bei 9-40% der mit ASS Behandelten erhoben, je nach Autor und Testlabor. Die Labors arbeiten mit unterschiedlichen Normwerten, und es fehlen Standards. Das Testergebnis wird durch sehr viele Faktoren beeinflusst, wie z.B. die verwendeten Aktivatorsubstanzen, zirkadiane Schwankungen, Stress, Blutgruppe, Rauchen, Cholesterinspiegel, Diabetes u.v.a. Eine „Non Responder”-Situation in vitro muss also nicht einer klinischen ASS-Resistenz entsprechen.

Kleinere klinische Studien ergaben, dass eine ASS-Non-Responder-Konstellation in vitro einen prädiktiven Wert hat für ein thromboembolisches Rezidiv unter ASS-Therapie. Gum et al. konnten bei 326 Patienten zeigen, dass Non-Responder im Aggregometer-Test (5,2% aller) innerhalb einer Nachbeobachtungszeit von 680 Tagen ein 2,5-fach erhöhtes Risiko für ein kardiovaskuläres Sekundärereignis haben (24% vs. 10%; 4). Grundmann et al. aus Tübingen fanden bei 12 von 35 Patienten (34%) mit Schlaganfallrezidiv unter ASS mittels PFA-100-Test einen Non-Responder Status, in einer Kontroll-Gruppe mit 18 Patienten ohne Schlaganfallrezidiv dagegen keinen Non-Responder (5).

Auf Grund dieser vorläufigen Erkenntnisse an sehr kleinen Gruppen werden nun vielerorts Thrombozytenfunktionstests angewendet. Häufig wird aus einer „Non-Responder”-Situation eine Therapieempfehlung für Clopidogrel abgeleitet. Dies ist zurzeit nicht durch prospektive Studien ausreichend evaluiert. Es fehlt der überzeugende Nachweis, dass Clopidogrel bei ASS-Non-Respondern ein Rezidiv verhindern kann. Es gibt auch eine Resistenz gegen Clopidogrel (insgesamt bei ca. 24%), und eine Doppelresistenz gegen ASS und Clopidogrel findet sich bei etwa der Hälfte der Patienten mit ASS-Resistenz (6).

Die vorliegenden Tests sind zudem nicht ausreichend evaluiert und nicht standardisiert. Sie könnten aber hilfreich werden bei der Lösung eines großen klinischen Problems. Wenn eine Universitätsklinik den PFA-100-Test anwendet, so sollte dies im Rahmen einer klinischen Studie geschehen. Dann ist es sinnvoll. <<

Literatur

  1. Helgason, C.M., et al.: Stroke 1994, 25, 2331; s.a. AMB 2002, 36, 62a.
  2. Matzdorff, A.: Semin. Thromb. Hemost. 2005, 31, 393.
  3. Feuring, M., et al.: Semin. Thromb. Hemost. 2005, 31, 411.
  4. Gum, P.A., et al.: J. Am. Coll. Cardiol 2003, 41, 961.
  5. Grundmann, K., et al.: J. Neurol. 2003, 250, 63.
  6. Lev, E.I., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2006, 47, 27.