Viele Patienten sind davon überzeugt, dass teurere Arzneimittel generell besser sind als preisgünstige. Es ist schwierig und zeitaufwändig, mit diesem Irrglauben aufzuräumen. Indirekte Argumentationshilfe bieten jetzt die Ergebnisse einer eindrucksvollen Untersuchung von Rebecca L. Waber et al. zum Einfluss des Preises auf die schmerzlindernde Wirkung von Plazebo, das als wirkliches Schmerzmittel (Verum) ausgegeben wurde. Die Untersuchung wurde vom Massachusetts Institute of Technology unterstützt und im JAMA veröffentlicht (1).
82 freiwillige Probanden erhielten zweimal 15 schmerzhafte Stromstöße auf den Unterarm. Begonnen wurde mit 10 Volt, Steigerung in Stufen von 2,5 Volt bis zur Grenze des individuell Erträglichen (maximal 80 Volt). Zwischen dem ersten und dem zweiten Durchgang erhielten sie eine Tablette Plazebo. Sie wurden aber informiert, es sei ein von der FDA neu zugelassenes Opioid mit besonders rasch einsetzender Wirkung. Einer Gruppe (A) wurde zusätzlich gesagt, die Tablette koste 2,50 US-$, der anderen Gruppe (B), sie erhalte ein Discount-Produkt, das nur 0,10 US-$ gekostet habe. Die Schmerzintensität wurde, wie bei solchen Untersuchungen üblich, in Zahlen auf einer Skala angegeben, die von „kein Schmerz” bis „unerträglich” reichte. Als Wirksamkeit der Plazebo-Tablette wurde die Differenz der angegebenen Schmerzintensität vom ersten und zweiten Durchgang bezeichnet. Die Untersucher waren über die Gruppenzugehörigkeit der Probanden nicht informiert.
Von 85% der Teilnehmer in Gruppe A (teure Tablette) wurde bei maximaler Reizung eine deutliche Schmerzreduktion angegeben, aber nur von 61% der Gruppe B (Discount-Tablette; p = 0,02). Ein ähnlich deutlicher Unterschied zwischen Gruppe A und Gruppe B wurde auch bei Reizung mit der halben Intensität festgestellt. Das als teures Schmerzmittel ausgegebene Plazebo war signifikant wirksamer als die angebliche Discount-Version.
Die schmerzlindernde Wirkung und speziell der Wirkungsunterschied in dieser Untersuchung sind also Plazebowirkungen, d.h., sie sind nicht pharmakologisch, sondern psychologisch zu erklären. Der mitgeteilte Preis hat höhere bzw. geringere Erwartungen erweckt, die sich dann auch erfüllt haben. Es ist das Verdienst dieser Untersuchung, solche Effekte quantitativ erfasst zu haben. Ähnliche Plazeboeffekte, die schwer zu messen sind, gibt es vermutlich auch bei Verum-Präparaten. Man kann also wahrscheinlich verallgemeinern und sagen: ein Arzneimittel hat – neben anderen – auch eine durch den Preis bestimmte Plazebowirkung, die zur (gefühlten) Gesamtwirkung beiträgt. Der Nachweis einer solchen „Plazebowirkung des Arzneimittelpreises” zeigt, wie wichtig das ärztliche Gespräch ist, das die Therapie begleiten muss. Ein Arzt, der sehr individuell erklärt, wie das verschriebene Medikament wirkt und warum es eingenommen werden soll, kann mit einem solchen Gespräch sehr nachhaltig Hoffnungen und Erwartungen wecken und auch Wirkungen erzielen. Er muss also nicht teure Originalpräparate empfehlen, selbst wenn er weiß, dass sie vom Patienten möglicherweise schon wegen ihres höheren Preises als wirksamer empfunden werden als preiswerte Generika. Wir sind überzeugt, dass das ärztliche Gespräch wichtiger und wirksamer ist als die beschriebene Plazebowirkung des Arzneimittelpreises. Ein großes Engagement des Arztes kann wahrscheinlich die Gesamtwirkung eines Arzneimittels steigern. Allerdings ist uns zu dieser vermuteten Korrelation keine Studie bekannt. Sie ist dringend erforderlich. Das Gespräch über die medizinische Wirkung eines Arzneimittels einerseits und aufgebauschte Versprechungen und Plazebowirkungen andererseits ist schwierig und zeitaufwändig, auch weil die Hersteller bei Ärzten und Patienten vor allem für neue und hochpreisige Medikamente werben. Aber soviel Zeit muss sein…
Fazit: In dieser Studie mit freiwilligen Probanden wurden wirkstofffreie Tabletten (Plazebo) als neuartige, entweder teure oder billige Opioid-Schmerztabletten ausgegeben und in einer Schmerz erzeugenden Versuchsanordnung geprüft. Dabei waren die angeblich teureren stärker schmerzlindernd als die angeblich billigeren. Auch der mitgeteilte Preis eines Arzneimittels hat also Plazebowirkung. Wir sehen als Konsequenz dieses Befundes natürlich nicht die generelle Verschreibung teurerer Präparate, sondern die Nutzung der psychologischen und plazebopharmakologischen Wirkung des überzeugenden und engagierten Arztgesprächs.
Literatur
- Waber, R.L., et al.: JAMA 2008, 299, 1016. Link zur Quelle