In unserer Augustausgabe 2011 hatten wir gefragt: ”Unerwünschte Arzneimittelwirkungen: Sollen Patienten direkt an die Behörden berichten dürfen?” und über die Erfahrungen des niederländischen Pharmakovigilanzzentrums Lareb mit einem Web-basierten Meldesystem für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) von Patienten berichtet (1). Zu diesem Thema hatten wir bereits früher einen überzeugenden Artikel von Ethan Basch im N. Engl. J. Med. zur „fehlenden Stimme der Patienten” in der Arzneimittel- und Therapiesicherheit und Umfrageergebnisse bei Patienten am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center referiert (2-4).
In der überarbeiteten europäischen Richtlinie zur Pharmakovigilanz, die im Juli 2012 in Kraft treten wird, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch Patienten vermutete UAW melden können (5). Die Meldungen sollen vereinfacht und den Patienten Wege für eine UAW-Meldung zur Verfügung gestellt werden. Die International Society of Drug Bulletins (ISDB) hatte bereits im Jahre 2005 in ihrer Berliner Erklärung zur Pharmakovigilanz angemahnt, direkte Patientenberichte zu UAW einzubeziehen (6).
Andrew Herxheimer hat uns dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass in Europa vielerorts an diesem Thema gearbeitet wird. Im Auftrag von Health Action International (HAI), einer weltweit agierenden, auf den Konsumentenschutz abzielenden Non-Government Organisation (NGO), hat Herxheimer im vergangenen Jahr in vielen europäischen Ländern recherchiert, ob und wie weit ein ”Direct Patient Reporting” (DPR) dort etabliert ist (7). Die Informationsbeschaffung lief überwiegend über Interviews mit Vertretern von Gesundheitsbehörden und NGO. Zudem wurde ein Literatur-Review zu DPR durchgeführt, die Web-Seiten der Zulassungsbehörden durchforstet und Konsumentenorganisationen befragt. Die Ergebnisse werden hier zusammengefasst mit den jeweiligen Internetadressen zur weiteren Information.
Wie berichtet, werden in den Niederlanden bereits seit 2003 DPR von der Stiftung Lareb gesammelt (8). Lareb ist unabhängig, leitet aber die Meldungen an die niederländische Arzneimittel-Aufsichtsbehörde weiter. Die Arbeit von Lareb wird in der Laienpresse und in Apotheken beworben. Die Patienten können eine UAW nur elektronisch über die Lareb-Website melden. Jährlich kommen etwa 800 DPR zusammen. 70% der Meldungen werden von den Behörden weiterverfolgt.
Als erstes EU-Land hat Dänemark im Jahr 2003 DPR per Gesetz etabliert. Die Meldungen können telefonisch, elektronisch oder schriftlich bei der Aufsichtsbehörde (Danish Medicines Agency = DMA) gemeldet werden (9). DPR werden dort gleich behandelt wie die UAW-Meldungen von Ärzten oder Apothekern. Im Jahre 2008 kamen insgesamt 565 DPR zusammen, 19% aller UAW-Meldungen.
Auch in Italien besteht für Patienten die Möglichkeit, von der Behörden-Website (Italian Drug Regulatory Agency = AIFA) einen Berichtsbogen herunterzuladen und über UAW zu berichten. Dieser Service wird jedoch kaum verwendet. In den Jahren 2007 und 2008 kamen jeweils nur 50 DPR zusammen.
In Schweden sammelt die unabhängige Konsumentenorganisation Kilen seit 1996 DPR (10). Kilen richtete im Jahr 2000 auch den ersten Internationalen Kongress für ”Consumers Reports on Medicines” aus, und seit 2008 ist die Website der Swedish Medical Products Agency (MPA) ebenfalls für DPR geöffnet. Im ersten Jahr kamen ca. 500 DPR zusammen. Ein Vergleich zwischen Meldungen von Patienten und von Ärzten ergab eine gute inhaltliche Übereinstimmung, wobei die Meldungen von Ärzten einen Schwerpunkt bei Impfstoffen und die der Patienten bei psychotropen Arzneimitteln hatten.
In Belgien gibt es kein offizielles Meldesystem, aber die Konsumentenorganisation Test-Achats/Test-Aankoop (TA) verfügt seit 2006 über eine solche Datenbank. Die Erfassungsbögen sind bei einem Konsumentenmagazin der TA, auf deren Website (11) und bei den Krankenkassen abrufbar. Außerdem liegen Informationsflyer in vielen Apotheken aus. Etwa 20 DPR gehen so monatlich bei TA ein. Seit 2010 werden diese Daten auch an die Behörden (Federal Agency for Medicines and Health Products = FAMPH) übermittelt und regelmäßig als Pressemitteilung publiziert.
In Großbritannien liegen seit 2008 die sog. ”New Yellow Cards” für DPR in den Apotheken aus. Zusätzlich besteht für Patienten die Möglichkeit, auf der Website der Medicines Agency (MHRA) eine UAW-Meldung zu hinterlassen (12). Im Jahr 2009 kamen monatlich etwa 100 DPR zusammen.
In Norwegen können Patienten seit 2010 UAW an die norwegische Medicines Agency direkt melden. Die Meldung erfolgt elektronisch über die Website der Agency oder das Online-Portal der norwegischen Behörden. Täglich kommen 1-2 Berichte herein, es wird geschätzt, dass die Meldungshäufigkeit etwa der der Ärzte entspricht.
Auch in Deutschland können Patienten UAW direkt an die beiden zuständigen Behörden, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI), oder die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) melden. Allerdings werden die Patienten um eine ärztliche Einschätzung gebeten, da für eine genaue Beurteilung oft weitere Informationen benötigt werden, die der behandelnde Arzt in der Regel besser aus seinen Patientenunterlagen bereitstellen kann. Meldungen von Patienten werden als „Consumer report” aber auch dann in die Datenbank aufgenommen, wenn keine ärztliche Bestätigung vorliegt.
In Deutschland wurden Patienten bislang nicht ausdrücklich zur Meldung vermuteter UAW aufgefordert. Die Hinweise zur Meldung, z.B. auf der Internetseite des BfArM, hinterlassen vielmehr den Eindruck, dass eine direkte Meldung von Patienten nicht akzeptiert wird (13). Mit der Umsetzung der europäischen Richtlinie müssen auch in Deutschland patientenfreundliche Hinweise zur Meldung und Meldewege zur Verfügung gestellt werden.
Untersuchungen des niederländischen Lareb zeigten, dass Meldungen durch Patienten ausreichend medizinische Informationen enthalten, um bewertet werden zu können. Bei den Meldungen von Ärzten/Apothekern und Patienten gab es Ähnlichkeiten hinsichtlich häufig gemeldeter UAW und diese häufig verursachenden Arzneimittel. Unterschiede gab es bei Schweregrad und Ausgang der berichteten UAW (14). Patienten benutzten z.B. häufiger subjektive Kriterien des Schweregrads wie „lebensbedrohlich” oder „erhebliche Behinderung” und gaben häufiger an, sich nicht von der UAW erholt zu haben („Non-recovery”). Spontanmeldungen von UAW dienen in erster Linie zur Generierung von Signalen. Unter Signalen versteht man Hinweise auf Risiken, die in der Regel zunächst durch weitere Untersuchungen bestätigt oder widerlegt werden müssen. Eine kürzlich ebenfalls vom Lareb publizierte Studie zeigte, dass Meldungen von Patienten in vergleichbarem Ausmaß zur Signalgenerierung beitragen wie Meldungen aus anderen Quellen (15).
Fazit: Patienten sollten auch in Deutschland und Österreich stärker in die Pharmakovigilanz einbezogen werden. Wie in der europäischen Richtlinie vorgesehen, müssen ihnen Möglichkeiten für eine unkomplizierte Meldung von vermuteten UAW eröffnet werden. Gut informierte und mündige Patienten sind heute wesentlich an Entscheidungen zu ihrer Therapie beteiligt und haben somit auch Einfluss auf ihren Krankheitsverlauf. Sie sind oft die ersten, die Erfolg oder Misserfolg der Therapie und UAW erkennen. Die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass UAW-Meldungen von Patienten die Meldungen von Ärzten und Apothekern sinnvoll ergänzen.
Literatur
- AMB 2011, 45,63. Link zur Quelle
- Basch, E.: N. Engl. J. Med. 2010,362, 865. Link zur Quelle
- http://outcomes.cancer.gov/tools/pro-ctcae.html Link zur Quelle
- AMB 2010, 44,56. Link zur Quelle
- http://ec.europa.eu/… Link zur Quelle
- http://www.isdbweb.org/… Link zur Quelle
- http://www.haiweb.org/… Link zur Quelle
- www.lareb.nl Link zur Quelle
- http://laegemiddelstyrelsen.dk Link zur Quelle
- http://www.kilen.org Link zur Quelle
- http://www.test-achats.be Link zur Quelle
- http://yellowcard.mhra.gov.uk Link zur Quelle
- http://www.bfarm.de/DE/Pharmakovigilanz/form/functions/formpv-node.html Link zur Quelle
- de Langen, J., et al.:Drug Saf. 2008, 31, 515. Link zur Quelle
- van Hunsel, F., et al.:Pharmacoepidemiol. Drug Saf. 2011, 20, 286. Link zur Quelle