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Koronarstents: Revolution durch Resorption?

Die Idee resorbierbarer Koronarstents beschäftigt seit Jahren die Hersteller medizintechnischer Produkte. Tatsächlich wirkt dieses Konzept auf den ersten Blick revolutionär:

· Der Stent verschwindet, nachdem er seine Aufgabe – die Verhinderung der Restenose in den ersten Monaten – erfüllt hat und hinterlässt ein Gefäß ohne Fremdkörper, ohne inflammatorische Residuen und mit normaler Vasomotorik.

· Es gibt keine Interferenz mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren (CT, MRI).

· Es gibt keine Interferenz im Falle einer später erforderlichen Bypass-OP, auch nach mehrfacher koronarer Intervention.

· Da es nach der Resorption des Stents theoretisch kein Risiko einer Stent-Thrombose gibt, ist eine duale antithrombozytäre Therapie (DAPT), wie nach Implantation antiproliferativ beschichteter Stents (Drug eluting stents = DES), nicht erforderlich.

· Von visionären Befürwortern resorbierbarer Stents wird bereits diskutiert, ob durch eine prophylaktische Implantation in instabile Plaques oder in nur geringgradig stenosierte Gefäßabschnitte „kranke” Gefäße wieder „gesund” gemacht und neben den herkömmlichen Antiproliferativa auch andere Arzneimittel (Clopidogrel, Statine) lokal appliziert werden können.

Im Januar 2011 erhielt der erste bioabsorbierbare Koronarstent (Absorb®, Fa. Abbott) die europäische CE-Zertifizierung. Der Stent besteht aus einem Milchsäure-Polymer (Poly-L-Lactic-Acid = PLLA), das nach Implantation vollständig resorbiert werden kann, und ist mit Everolimus beschichtet. Zunächst soll der Stent allerdings nur in ausgewählten Größen und in ausgewählten europäischen Zentren eingesetzt werden. Der „full commercial launch” in Europa wurde erst für 2012 angekündigt (1). Bei Betrachtung der Zulassungsdaten wird klar, dass der Hersteller gute Gründe für eine zurückhaltende Markteinführung hat.

Über die behördlichen Zulassungen kardiovaskulärer Implantate, die anderen Gesetzen folgen als die von Arzneimitteln, haben wir im vergangenen Jahr berichtet (2). Einheitliche Kriterien, wie sie bei Arzneimittelstudien selbstverständlich sein sollten (z.B. Randomisierung, Verblindung, statistisch adäquate Patientenzahlen und Nachbeobachtungszeiten, klinische Endpunkte etc.) können bei der Qualitätsbeurteilung von Implantaten wegen der invasiven und meist irreversiblen Applikation naturgemäß nicht ohne weiteres verwirklicht werden. Die FDA hat damals angekündigt, Kriterien zu formulieren, an denen Qualität und Zulässigkeit von Implantat-Zulassungsstudien gemessen werden sollen (klare Vordefinition von Endpunkten für Sicherheit und Effektivität, deren Evaluationszeitpunkt sowie der Gewichtung der einzelnen Komponenten bei kombinierten Endpunkten, exakte Darlegung der Patientenzahlen einschließlich der Bilanz der eingeschlossenen und analysierten Patienten).

Die wissenschaftliche Evidenz, auf deren Basis nun der erste bioabsorbierbare Stent (BAS) zugelassen wurde, fällt gemessen an diesen Kriterien mehr als dürftig aus. Die Zulassung erfolgt aufgrund der Ergebnisse der beiden ABSORB-Studien. Es handelt sich dabei um zwei nicht-randomisierte, nicht-kontrollierte Längsschnittstudien mit sehr kleinen Patientenzahlen. Zunächst wurden in einer ersten Phase 30 Patienten mit einfachen Koronarstenosen (kurzstreckige Stenosen, Stenosegrad um 60%) eingeschlossen. Primäre Endpunkte waren kardiale UAW (MACE = Major adverse cardiac events, also ein kombinierter Endpunkt aus Tod, Myokardinfarkt, Revaskularisation) und Stent-Thrombosen nach 30 Tagen, nach 6, 9, 12 und 24 Monaten sowie in geplanten regelmäßigen Nachbeobachtungszeiträumen bis zu 5 Jahren. Die Zwei-Jahres-Daten (3) zeigten eine MACE-Rate von 3,4% (ein Patient mit Nicht-ST-Hebungs-Myokardinfarkt) und keine Spätkomplikationen wie etwa Stent-Thrombosen. Zusätzlich erhobene invasive und nicht-invasive Daten (Angiographie, intravaskulärer Ultraschall, optische Kohärenztomografie) ergaben, dass nach zwei Jahren rund ein Drittel des Stents in der Gefäßwand resorbiert ist, bei allerdings relativ hohem „Late lumen loss” (Re-Stenose-Grad 27%). In einer zweiten Phase wurden 101 Patienten eingeschlossen, denen ein BAS „der zweiten Generation” mit etwas veränderter Geometrie implantiert wurde. Bildgebende und klinische Daten der ersten 45 Patienten mit einer Nachbeobachtungszeit von sechs Monaten wurden kürzlich publiziert (4) und zeigten eine MACE-Rate um 5,0% (2 Patienten) ohne Stent-Thrombosen sowie bessere luminale Resultate (Re-Stenose-Grad 5,4%) als beim Vorgängermodell. Für 2011 ist eine erste randomisierte multizentrische Studie an geplanten 500 europäischen Patienten angekündigt, die den BAS gegen einen konventionellen Drug eluting stent (DES) mit einem permanenten Kobalt-Chrom-Gerüst desselben Herstellers vergleichen soll. Außerdem soll eine globale Studie folgen, die auch US-amerikanische Zentren einschließt.

Die Fallserien können allenfalls als basale „Machbarkeitsstudien” ohne klinische Relevanz bezeichnet werden. In erster Linie handelt es sich um Resultate bildgebender Untersuchungen, die das Verhalten des BAS hinsichtlich Resorption und Re-Stenose belegen sollen. Studiendesign, Patientenzahlen und Nachbeobachtungszeiten erlauben keine klinischen Vergleiche mit konventionellen Stents. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Ergebnisse in zum Teil hochrangigen Journals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Der Suchbegriff „bioabsorbable stent ABSORB” in Pubmed ergibt zurzeit zehn Treffer derselben Arbeitsgruppe aus den vergangenen drei Jahren, davon zwei Publikationen in Lancet, eine in Circulation und drei im JACC. Wie es auf Grundlage dieser Evidenz zu einer Marktzulassung eines völlig neuartigen Implantatsystems kommen kann, ist für uns nicht nachvollziehbar, besonders in Anbetracht der bereits bekannten Einschränkungen dieser Technik:

· Die vollständige Resorption des BAS benötigt Jahre. In dieser Zeit sind aber auch reine Metallstents (BMS) und in der Regel auch DES schon gut endothelialisiert und haben nur noch geringe Komplikationsraten. Kürzere Resorptionszeiten bedeuten einen früheren Verlust der mechanischen Stabilität und höhere Restenose-Raten. So war es bei einem resorbierbaren Stent auf Magnesiumbasis (Fa. Biotronik) in der PROGRESS-AMS-Studie (5). Ob die erforderliche Dauer einer DAPT durch einen BAS verkürzt werden kann, erscheint in Anbetracht dessen sehr fraglich.

· Moderne Kobalt-Chrom-Stents bieten mittlerweile sehr gute Kompromisse aus hoher Flexibilität und hoher Radialkraft bei geringen elastischen Rückstellkräften („Recoil”). Der aus wesentlich dickeren Stent-Streben bestehende resorbierbare Stent erreicht derzeit nicht die mechanischen Eigenschaften eines modernen Kobalt-Chrom-Stents. Aus diesen Gründen erscheint es derzeit sehr unwahrscheinlich, dass BAS in der jetzigen Art jemals bei kalzifizierten Stenosen, Bifurkationen oder kleinlumigen Gefäßen angewendet werden können.

· Bei den herkömmlichen Stents ist die Bedeutung einer optimalen Anpassung an die Gefäßwand zur Reduktion des Thromboserisikos bekannt. Wie sich die zurzeit deutlich sperrigeren BAS diesbezüglich verhalten, ist unbekannt.

Fazit: Die Markteinführung des ersten resorbierbaren Koronarstents auf Milchsäurebasis beruht auf einer nicht-randomisierten Längsschnittstudie mit sehr kleiner Patientenzahl und ohne Vergleichsgruppe. Die wesentlichen klinischen Daten werden Postmarketing-Studien überlassen. Von einer Anwendung außerhalb dieser klinischen Studien raten wir ab. Nach derzeitigem Kenntnis- und Entwicklungsstand sehen wir potenzielle künftige Indikationen dieser Stents allenfalls bei einer Minderheit der KHK-Patienten mit nicht-kalzifizierten, einfach zugänglichen Stenosen in gering angulierten Gefäßabschnitten.

Literatur

  1. http://www.abbott.com/PressRelease/2011Jan10.htm Link zur Quelle
  2. AMB 2010, 44,09. Link zur Quelle
  3. Serruys, P.W.,et al.: Lancet 2009, 373, 897. Link zur Quelle
  4. Serruys, P.W.,et al.: Circulation 2010, 122, 2301. Link zur Quelle
  5. Waksman, R.,et al. (PROGRESS-AMS = Clinical Performance Angiographic Results of CoronaryStenting with Absorbable Metal Stents): JACCCardiovasc. Interv. 2009, 2, 312. Link zur Quelle