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Langzeiteinnahme von Protonenpumpenhemmern: erhöhtes Risiko für Demenz und chronische Niereninsuffizienz?

Zusammenfassung: Eine große, auf AOK-Daten basierende pharmakoepidemiologische Kohortenstudie aus Deutschland ergab, dass die Dauereinnahme von Protonenpumpenhemmern (PPI) bei älteren Patienten mit erhöhter Inzidenz von Demenz assoziiert ist. Daneben wurden auch Depression, Schlaganfall, Diabetes und Polypharmakotherapie als Risikofaktor für Demenz identifiziert.

In einer retrospektiven Beobachtungsstudie aus den USA und Australien fand sich bei Langzeiteinnahme von PPI auch eine Assoziation mit chronischer Niereninsuffizienz, ein wesentlicher Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und höhere Letalität. PPI sind Wirkstoffe, deren Nutzen-Schaden-Verhältnis bei korrekter Indikation positiv ist. Sie sollten aber möglichst kurzzeitig bei Beschwerden oder als Begleitmedikation eingenommen werden. Eine Dauermedikation sollte indikationsgerecht auf ein notwendiges Minimum beschränkt bleiben. Wir betrachten die Aufhebung der Verschreibungspflicht für manche Protonenpumpenhemmer im Jahr 2009 in Deutschland als Fehler angesichts der weit verbreiteten nicht indizierten Langzeitmedikation und der möglichen Neben- und Wechselwirkungen.

Protonenpumpenhemmer (PPI) zählen zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln mit einem hohen Anteil an Langzeit-Verordnungen. Im Jahr 2014 wurden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 3,5 Mrd. DDD verordnet mit seit Jahren steigender Tendenz (1). Es entstanden 2014 Nettokosten von 0,7 Mrd. €! Die rezeptfreien PPI sind darin nicht enthalten. Vor allem bei älteren Patienten sind sowohl Indikation als auch Therapiedauer häufig unangemessen (2). Dadurch können auch seltene und ungewöhnliche Nebenwirkungen – wie wiederholt berichtet – eine beträchtliche Inzidenz erreichen, so z.B. Schädigungen des Nervus opticus (3), häufigere Darm- und Lungeninfektionen (2), interstitielle Nephritiden (4, 5), Elektrolytverschiebungen (6), Arzneimittelinteraktionen (7) sowie Schenkelhalsfrakturen bei Frauen (8). Eine aktuell publizierte pharmakoepidemiologische Studie aus Deutschland fand nun auch eine Assoziation zwischen PPI-Langzeiteinnahme und Demenz (9) und eine andere, retrospektive Beobachtungsstudie aus den USA und Australien eine Assoziation mit akuter und chronischer Niereninsuffizienz (10).

Die prospektive deutsche Kohortenstudie (9) analysierte Diagnose- und Verschreibungsdaten der AOK. Zu Studienbeginn (2004) wurden 73.679 Personen identifiziert, die den Einschlusskriterien entsprechend ≥ 75 Jahre alt waren und keine Demenz hatten. Die Daten der Personen wurden über insgesamt sieben Jahre (eingeteilt in Intervalle zu 18 – 18 – 18 – 18 – 12 Monaten) nachverfolgt. 2.950 (4,0%) Patienten nahmen regelmäßig PPI ein, definiert als eine PPI-Verschreibung (Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol, Esomeprazol oder Rabeprazol) in jedem Quartal innerhalb eines Intervalls. Im Verlauf des Beobachtungszeitraums von fünf Jahren entwickelten 29.510 Patienten (40%) eine oder mehrere Demenzformen, definiert durch dokumentierte entsprechende ICD-Codes in zumindest zwei Quartalen innerhalb eines Intervalls. Die PPI-Einnahme war mit einem signifikant erhöhten Risiko für das Auftreten einer Demenz assoziiert (Hazard Ratio = HR: 1,44; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,36-1,52; p < 0,001). Weitere, mit einer erhöhten Inzidenz von Demenz assoziierte Faktoren waren: männliches Geschlecht, Depression, Schlaganfall, Diabetes und Polypharmakotherapie. Nach Ausschluss dieser Faktoren war die Assoziation noch etwas ausgeprägter (HR: 1,66; CI: 1,57-1,76). Für die drei meistverschriebenen PPI (Omeprazol, Pantoprazol, Esomeprazol) ergaben sich in Subgruppenanalysen keine wesentlichen Unterschiede. Bei gelegentlichem PPI-Gebrauch (Verschreibung in < 6 Quartalen innerhalb eines Intervalls) fand sich eine deutlich schwächere Assoziation (HR: 1,16; CI: 1,13-1,19) als bei regelmäßigem Gebrauch – als Hinweis auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Eine Analyse nach Altersgruppen (75-79, 80-84 und ≥ 85 Jahre) ergab ein mit zunehmendem Alter abnehmendes Demenzrisiko sowohl durch PPI-Einnahme als auch durch die anderen genannten Faktoren. Dies könnte nach Ansicht der Autoren darauf zurück zu führen sein, dass im Alter möglicherweise andere Faktoren in Pathogenese und Verlauf einer Demenz zunehmend eine Rolle spielen.

Die Studie beschreibt lediglich eine statistische Assoziation; es handelt es sich also nicht um den Beweis eines kausalen Zusammenhangs. Als potenziellen, hypothetischen Pathomechanismus führen die Autoren an, dass (manche) PPI die Blut-Hirn-Schranke überwinden, dort mit Enzymen und lysosomalen Protonenpumpen interagieren und dadurch (bei Mäusen nachgewiesen) zu einer Zunahme des Beta-Amyloids führen können.

Die Studie ist in ihrer Aussagekraft begrenzt, weil Informationen zum sozioökonomischen und Bildungsstatus fehlen, die als zusätzliche Einflussgrößen in Frage kommen. Im begleitenden Editorial (11) gibt ein Epidemiologe der University of Pittsburgh, Pennsylvania, zu bedenken, dass gerade bei alten Patienten mit Polypharmakotherapie auch andere Arzneimittel als potenzielle Störfaktoren sowohl mit PPI-Gebrauch als auch mit Demenz assoziiert sein könnten. Er regt an, dass alle typisch geriatrischen Arzneimittel routinemäßig hinsichtlich kognitiver und/oder neuropathologischer Wirkungen untersucht werden sollten.

Wie viele andere Arzneimittel können PPI selten eine akute interstitielle Nephritis und andere akute Nierenschäden verursachen (4, 5). Rezidivierende Schübe von interstitieller Nephritis und eine durch PPI induzierte Hypomagnesiämie (6) könnten die Nierenfunktion chronisch beeinträchtigen. Zur Klärung dieser Frage werteten B. Lazarus et al. in einer retrospektiven Beobachtungsstudie zwei umfangreiche Datenbanken aus (10). Eine davon ist die der Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC)-Studie, in der seit Jahrzehnten unterschiedliche medizinische Daten von Einwohnern verschiedener Gemeinden in mehreren US-Staaten dokumentiert werden (vgl. 12). In diese Studie zur Einnahme von PPI (10) konnten ab 1996 insgesamt 10.482 Personen im mittleren Alter von ca. 63 Jahren eingeschlossen werden, deren glomeruläre Filtrationsrate (GFR) initial mindestens 60 ml/min/1,73 m2 betrug. Ihre Medikation wurde initial und ab 2006 jährlich bis 2011 (Studienende) durch telefonische Abfragen erfasst. Als Indikator für chronische Nierenerkrankungen bzw. -insuffizienz galten Informationen aus Entlassungsberichten von Krankenhäusern, die dokumentierte Diagnose Endstadium einer Niereninsuffizienz („endstage kidney disease“) oder der Tod der Person an einer Nierenkrankheit.

Die Inzidenz der Einnahme von PPI war 1996 nur etwa 3%, 2011 jedoch 27%! In der nicht adjustierten Auswertung war die Hazard ratio (HR) für die Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz bei Personen, die PPI einnahmen, im Vergleich mit denen, die keine einnahmen, 1,45 (95%-Konfidenzintervall = CI: 1,11-1,9). Bei Adjustierung entsprechend demografischer, sozioökonomischer und klinischer Faktoren änderte sich das Ergebnis nicht: HR: 1,5; CI: 1,14-1,96. Auch beim Kontrollvergleich mit Personen, die Histamin-2-Rezeptor(HR-2)-Antagonisten einnahmen – bei gleicher Indikation wie die PPI verordnet – blieb das Risiko für chronische Nierenkrankheiten erhöht. Aus den Daten der ARIC-Studie wurde auch das Risiko für akute Nierenerkrankungen bei Einnahme von PPI ermittelt. Nach Adjustierung war es etwas höher als das für chronische Nierenkrankheiten (Gruppe PPI vs. Gruppe Nicht-PPI: HR: 1,64; CI: 1,22-2,21). Für alle Unterschiede war der p-Wert < 0,001.

Um ihre Ergebnisse mit Informationen aus einer anderen Datenbank zu vergleichen, erhielten die Autoren Zugang zur „Geisinger Health System Replication Cohort“. In dieser jüngeren Kohorte von insgesamt ca. 248.000 Personen (Alter im Mittel 50 Jahre) wurde die initial (ab 1997) ermittelte GFR von mindestens 60 ml/min/1,73 m2 am Ende des Beobachtungszeitraums (2014) erneut gemessen. GFR-Werte < 60 ml/min/1,73 m2 oder die Diagnose „endstage kidney disease“ wurden als chronische Nierenkrankheit gewertet. Hier wurde zusätzlich gefragt, ob der PPI einmal oder zweimal am Tag eingenommen wurde. In der Geisinger-Kohorte mit jüngeren Personen war die HR von PPI vs. Nicht-PPI unadjustiert: 1,20; CI: 1,15-1,26. Nach Adjustierung änderte sich das Ergebnis nicht wesentlich. Bei Patienten, die PPI zweimal am Tag eingenommen hatten, war die HR etwas höher. Bei solchen, die HR-2-Antagonisten eingenommen hatten, war das Risiko für chronische Nierenkrankheiten – wie in der ARIC-Studie – gleich hoch wie bei solchen, die keine PPI eingenommen hatten.

Die Ergebnisse auch dieser Studie sind lediglich Assoziationen. Die Autoren erörtern ausführlich die eingeschränkte Aussagekraft ihrer Methoden und Ergebnisse. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass PPI bei langfristiger Einnahme das Potenzial für morphologische und funktionelle Nierenschädigungen haben.

In einem Editorial im gleichen Heft des JAMA Intern Med. fassen A.J. Schoenfeld und D. Grady verschiedene Nebenwirkungen der PPI zusammen (13). Neben chronischen Nierenkrankheiten wird auch die Inzidenz akuter Nierenkrankheiten, speziell der akuten interstitiellen Nephritis, mit Odds ratios von 2,52 bzw. 3,00 aufgrund anderer Publikationen höher veranschlagt als in der Studie von Lazarus et al. (10).

Literatur

  1. Schwabe, U., undPaffrath, D. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2015. Springer-Verlag BerlinHeidelberg 2015. S. 761.
  2. AMB 2008, 42, 49. Link zur Quelle
  3. AMB 1997, 31, 78a. Link zur Quelle
  4. Blank,M.L., et al.: Kidney Int. 2014, 86, 837. Link zur Quelle
  5. Klepser,D.G., et al.: BMC Nephrol. 2013, 14, 150. Link zur Quelle
  6. AMB2008, 42, 89 Link zur Quelle . Park, C.H., et al.: PLoS One 2014, 9,e112558. Link zur Quelle
  7. AMB 2009, 43, 73. Link zur Quelle
  8. AMB2012, 46, 30a. Link zur Quelle
  9. Gomm, W., et al. (AgeCoDe = German study on Ageing,Cognition and Dementia in primary care patients): JAMA Neurol. 2016, 73, 410. Link zur Quelle
  10. Lazarus, B., et al.: JAMA Intern. Med. 2016, 176,238. Link zur Quelle
  11. Kuller, L.H.: JAMA Neurol. 2016, 73, 379. Link zur Quelle
  12. AMB 2010, 44, 43 Link zur Quelle. AMB 2000, 34, 37. Link zur Quelle
  13. Schoenfeld, A.J., und Grady, D.:JAMA Intern. Med.2016, 176, 172. Link zur Quelle